„Ein bisschen“, gab Elias schließlich zu, und ein Hauch von Farbe kehrte in seine blassen Wangen zurück.
„Hervorragend“, strahlte Emma. „Magst du es eher herzhaft, so richtig stark, oder lieber süß wie ein Sieg?“
Max legte sein Handy langsam auf den Tisch. Er hatte vergessen, die E-Mail an den Vorstand zu senden. Er war fasziniert. Er sah seinen Sohn, der sonst in sich zusammengesunken im Rollstuhl saß, sich plötzlich aufrichten. „Herzhaft“, entschied Elias, und seine Stimme war fester als zuvor.
„Gute Wahl“, nickte Emma anerkennend und notierte es auf ihrem Block. Als Elias‘ Serviette vom Schoß rutschte – ein Moment, der sonst peinliches Schweigen und hektisches Helfen ausgelöst hätte –, fing Emma sie noch im Fall auf und legte sie ihm mit einer beiläufigen Eleganz zurück, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Es war keine Geste der Hilfe für einen Behinderten, sondern eine Geste der Höflichkeit unter Gleichen.
„Ich bringe euch das Essen gleich“, versprach sie und huschte in Richtung Küche davon.
Elias schaute ihr nach. Ein kleines, fast unsichtbares Lächeln spielte um seine Lippen. Max spürte einen Kloß im Hals. Wann hatte er seinen Sohn das letzte Mal so lächeln sehen?
Das Essen kam, und wieder durchbrach Emma die unsichtbaren Barrieren. Sie servierte Max sein Steak mit professioneller Distanz, doch bei Elias hielt sie inne. „Darf ich?“, fragte sie leise und deutete auf das Besteck. Elias nickte.
Mit flinken, unaufgeregten Bewegungen schnitt sie das Fleisch und das Gemüse in mundgerechte Stücke. Sie tat es nicht hastig, als wäre es eine lästige Pflicht, und auch nicht mit übertriebener Fürsorge. Sie tat es einfach, damit Elias sein Essen genießen konnte, ohne kämpfen zu müssen. „So“, sagte sie fröhlich und schob den Teller ein Stück näher. „Jetzt gehört die Beute dir.“
Max starrte auf seinen Sohn. Er wartete auf den Moment der Frustration, den Moment, in dem Elias die Gabel fallen lassen würde. Doch er kam nicht. Elias aß. Er aß mit Appetit, ruhig und konzentriert. „Schmeckt es?“, fragte Emma im Vorbeigehen. Elias kaute, schluckte und nickte kräftig. „Ja.“
Ein einfaches Wort. Doch für Max wog es schwerer als Gold. Er lehnte sich zurück, sein eigenes Essen vergessen. Er beobachtete Emma, wie sie zwischen den Tischen wirbelte. Sie hatte etwas, das man nicht kaufen konnte. Sie hatte eine Gabe. Er hatte die teuersten Therapeuten Deutschlands bezahlt, Logopäden, Psychologen, Spezialisten. Sie alle hatten Diagnosen gestellt und Übungspläne geschrieben. Aber keiner von ihnen hatte es geschafft, dass Elias sich innerhalb von zehn Minuten öffnete.
Warum? Die Frage nagte an Max. Was machte diese Kellnerin anders als er, der Vater? Die Antwort traf ihn schmerzhaft: Sie sah Elias nicht als Problem, das gelöst werden musste. Sie sah ihn einfach als Elias.
„Ist alles in Ordnung, Herr Wagner?“ Ein Oberkellner stand plötzlich neben ihm, beflissen und nervös. Max schrak aus seinen Gedanken. „Ja… ja, alles bestens.“ Sein Blick wanderte zurück zu seinem Sohn. Elias wirkte entspannter, die Schultern waren gelockert. Ein fremdes Gefühl breitete sich in Max‘ Brust aus – eine Mischung aus Scham und Bewunderung. Er hatte versagt, wo eine Fremde triumphierte.
„Papa?“, fragte Elias plötzlich. Max zuckte zusammen. „Ja, Elias?“ „Darf ich noch ein Eis?“ Max blinzelte. Elias forderte nie etwas. Er nahm hin, was man ihm gab. „Natürlich“, sagte Max, und seine Stimme klang belegt. Er winkte Emma heran. „Ein Eis für den Abenteurer?“, fragte sie, noch bevor sie am Tisch war. Elias grinste breit. „Vielleicht.“
Als der Abend endete und Max die Rechnung anforderte, zögerte er. Er zog seine Brieftasche aus feinstem Kalbsleder. Der Betrag auf der Rechnung war irrelevant für ihn. Er griff nach einem Schein, dann nach einem zweiten, einem dritten. Er legte eine Summe auf das kleine Tablett, die dem Wochenlohn der Kellnerin entsprach. Es war keine Arroganz. Es war der verzweifelte Versuch, Danke zu sagen für etwas, das unbezahlbar war.
„Kommen wir wieder?“, fragte Elias, als sie das Restaurant verließen. Max blieb stehen. Er sah in die hoffnungsvollen Augen seines Sohnes. „Ja, Elias. Wir kommen wieder.“