Emma, die gerade Tische abräumte, fand das Trinkgeld. Sie starrte auf die Scheine, ihre Hände zitterten kurz. Ein warmes, ehrliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie wusste nicht, wer der Mann im teuren Anzug wirklich war, aber sie wusste, dass dieses Geld ihre Miete für den nächsten Monat retten würde.
Emma wusste nichts von Max Wagners Gedankenwelt. Für sie war der Alltag ein ständiger Kampf gegen die Uhr und das leere Bankkonto. Wenn sie das Restaurant verließ, fielen die Lichter der Stadt hinter ihr zurück und sie tauchte ein in eine Welt aus Sorgen und Verantwortung.
Ihre kleine Wohnung am Stadtrand war sauber, aber die Möbel waren alt und zusammengewürfelt. Im Schlafzimmer hustete ihre Mutter. Es war ein trockenes, rasselndes Geräusch, das Emma jedes Mal zusammenzucken ließ. Die Medikamente waren teuer, die Krankenkasse übernahm nicht alles, und Emma arbeitete Doppelschichten, um die Rechnungen zu bezahlen.
Zwei Tage nach der Begegnung mit Elias war das Restaurant voll. Es war Hektik pur. Ein Gast beschwerte sich über den Wein, ein anderer schnippte ungeduldig mit den Fingern. Der Restaurantleiter, ein cholerischer Mann mit zu wenig Geduld, herrschte Emma an, schneller zu sein. In ihrer Schürzentasche vibrierte das Handy. Eine Nachricht ihrer Schwester: Mama hat wieder Schmerzen. Wir brauchen das neue Rezept. Hast du das Geld?
Emma schloss für eine Sekunde die Augen. Der Lärm des Restaurants verschwamm zu einem Rauschen. Sie wollte schreien, weinen, weglaufen. Aber sie konnte nicht. Sie straffte die Schultern, setzte ihr Lächeln auf – ihre Rüstung – und ging zurück an die Arbeit.
„Entschuldigung“, sagte eine tiefe Stimme. Emma drehte sich um, bereit für die nächste Beschwerde. Doch da stand er. Max Wagner. Er trug wieder einen Anzug, der mehr kostete als ihr Auto, aber sein Gesichtsausdruck war anders als beim letzten Mal. Er wirkte… suchend.
„Emma“, sagte er ruhig. „Herr… Herr Wagner“, stammelte sie überrascht. „Sie sind zurück? Wo ist Elias?“ „Er ist zu Hause. Ich bin hier, um mit Ihnen zu sprechen.“ Die Kollegen starrten. Der Chef starrte. Ein Mann wie Max Wagner kam nicht in ein Restaurant, um mit dem Personal zu plaudern, es sei denn, etwas war schiefgelaufen. „Habe ich… habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte Emma, und die Angst kroch ihr den Nacken hoch. Sie konnte es sich nicht leisten, diesen Job zu verlieren.
„Nein“, sagte Max schnell, und seine harte Miene wurde weicher. „Ganz im Gegenteil. Haben Sie fünf Minuten?“ Emma sah zu ihrem Chef, der verwirrt nickte. Niemand sagte Nein zu Max Wagner.
Sie gingen in eine ruhige Ecke der Lobby. „Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden“, begann Max. „Ich bin ein Geschäftsmann. Ich erkenne Talent, wenn ich es sehe. Aber was ich bei Ihnen gesehen habe, ist mehr als Talent. Es ist eine Gabe.“ Emma verstand nicht. „Ich verstehe nicht…“ „Elias“, sagte Max, und allein bei dem Namen veränderte sich seine Stimmlage. „Er spricht seit zwei Tagen nur von Ihnen. Von der Frau, die ihn wie einen Abenteurer behandelt hat. Er hat seit Jahren nicht mehr so viel gesprochen.“
Max holte tief Luft. Es fiel ihm schwer, das Folgende auszusprechen, denn es bedeutete, seine eigene Unzulänglichkeit einzugestehen. „Ich kann ihm alles kaufen, Emma. Spielzeug, Reisen, Ärzte. Aber ich kann ihm anscheinend nicht das geben, was er wirklich braucht: Das Gefühl, verstanden zu werden. Sie haben das in fünf Minuten geschafft.“
Er zog eine Visitenkarte und einen gefalteten Vertrag aus seiner Tasche. „Ich möchte Sie einstellen. Als persönliche Betreuerin für Elias. Nicht als Kindermädchen, sondern als… Gefährtin. Als jemand, der ihm hilft, die Welt zu entdecken.“ Er nannte eine Summe. Emma musste sich am Stuhl festhalten. Das Gehalt war astronomisch. Es würde ihre Sorgen mit einem Schlag auslöschen. Die Medikamente der Mutter, die Schulden, die Angst.
„Warum ich?“, flüsterte sie. „Ich bin nur eine Kellnerin.“ „Nein“, widersprach Max fest. „Sie sind der Mensch, der meinen Sohn zum Lächeln gebracht hat. Denken Sie darüber nach.“