Das Schreien des Babys hallte durch die leere Villa wie eine geisterhafte Melodie, die keinen Trost kannte. Die Wände des Anwesens, einst Zeugen von Lachen und Festlichkeiten, schienen nun die Kälte und Trauer widerzuspiegeln, die sich seit dem Tod von Mrs. Collins über das Haus gelegt hatten.
Janelle saß im Kinderzimmer, ihre Hände zitterten leicht, während sie das zerbrechliche kleine Mädchen wiegte. Die dunklen Locken des Babys waren feucht vom Schweiß, und das winzige Gesicht war fleckig von Stunden untröstlichen Weinens.
„Sie nimmt die Flasche nicht, Janelle“, hatte die Chef-Nanny vor wenigen Minuten panisch gesagt, bevor sie aus dem Zimmer gestürmt war. „Sie hat nicht mehr richtig gegessen, seit ihre Mutter gestorben ist. Ich… ich kann das nicht mehr ertragen.“
Nun war Janelle allein. Sie blickte auf das Kind in ihren Armen hinab. Emma Collins, kaum drei Monate alt. Ihre winzigen Fäuste ruderten schwach in der Luft, während sie einen weiteren heiseren Schrei ausstieß. Ihre Lippen zitterten vor Hunger und Verlassenheit.
Die Tragödie um den plötzlichen Tod von Mrs. Collins hing wie ein erstickender Nebel über dem Haus. Eine Lungenentzündung, hieß es. In einem Moment war sie lebendig, lachend im Garten mit ihrem Baby. Im nächsten war sie fort. Seitdem hatte sich der Vater, der Milliardär Nathan Collins, in seiner Arbeit vergraben. Er war unfähig, sich dem Schmerz seines Verlustes zu stellen. Das Personal flüsterte, dass er seine Tochter kaum noch ansah, weil sie ihn zu sehr an seine verstorbene Frau erinnerte.
Und nun litt das Baby dafür.
Janelle versuchte es erneut. Sie kippte die teure Glasflasche vorsichtig in Richtung Emmas Mund. „Bitte, süßes Mädchen“, flüsterte sie verzweifelt. „Du musst essen.“
Aber der Säugling drehte den Kopf schwach zur Seite, stieß den Gumminippel ab. Das Schreien war einem jämmerlichen Wimmern gewichen, das Janelles Herz noch mehr brach als das laute Weinen.
Janelles Herz krampfte sich zusammen. Sie konnte nicht zusehen, wie ein weiteres Baby verhungerte. Nicht nach dem, was sie selbst durchlitten hatte.
Vor drei Monaten hatte Janelle ihren eigenen neugeborenen Sohn begraben.
Sie erinnerte sich noch lebhaft an das sterile Krankenhauszimmer, an das gedämpfte Flüstern der Krankenschwestern, die ihr Beileid bekundeten. Und sie erinnerte sich an den grausamsten Teil der Natur: Ihre Milch war eingeschossen, als wollte sie ihre leeren Arme verhöhnen.
Ihr Körper hatte nicht verstanden, dass ihr Kind fort war. Er produzierte weiter Milch, selbst nachdem ihr Herz gebrochen war. Und jetzt, wo sie Emma im Arm hielt, spürte sie diesen tiefen, körperlichen Schmerz wieder. Ihre Brüste spannten, schwer und voll, eine schmerzhafte Erinnerung an das Leben, das sie nicht ernähren konnte.
Janelle biss sich auf die Lippe und blickte nervös zur Tür. Das Haus war still. Mr. Collins war, wie immer, im Büro oder auf Reisen. Die Nanny hatte aufgegeben.
„Ich kann dich nicht verhungern lassen“, flüsterte sie in die Stille. „Vergib mir, wenn das falsch ist.“
Mit zitternden Händen knöpfte sie ihre Uniform auf. Sie zog das Baby näher an ihre warme Haut. Der Duft von Babypuder und Milch mischte sich mit dem salzigen Geruch ihrer eigenen Tränen.
Sobald ihre Brust Emmas Lippen berührte, geschah das Wunder. Der Säugling dockte instinktiv an.
Janelle keuchte leise auf, als das schwache Saugen des Babys stärker wurde. Emmas winziger Körper, der stundenlang unter Spannung gestanden hatte, entspannte sich zum ersten Mal. Die Stille, die nun einkehrte, war nicht mehr bedrohlich, sondern friedlich.
Tränen verschleierten Janelles Sicht, während sie sanft über Emmas Wange strich. „Das ist es, süßes Mädchen“, murmelte sie. „Iss. Bleib am Leben. Deine Mama ist nicht hier, aber ich bin es.“
Sie war so sehr auf das Kind und diesen Moment der intimen Rettung konzentriert, dass sie das Geräusch schwerer Schritte auf dem Parkett nicht hörte.
„Janelle.“
Die tiefe, ihr unbekannte Stimme ließ sie auf der Stelle erstarren. Das Blut wich aus ihrem Gesicht.
Langsam, mit klopfendem Herzen, drehte sie den Kopf.
Im Türrahmen stand Nathan Collins. Sein maßgeschneiderter Anzug war wie immer makellos, aber seine scharfen Augen waren weit aufgerissen vor Schock. Sein Gesicht war eine Maske aus Unglauben und aufsteigendem Zorn.
Für einen Moment sprach niemand. Das einzige Geräusch war das sanfte Schmatzen von Emma, die friedlich trank, völlig unbewusst der Spannung, die in der Luft knisterte wie Elektrizität vor einem Gewitter.
„Was tust du da?“, fragte er. Seine Stimme war leise, aber gefährlich. Ein Grollen, das aus der Tiefe seiner Brust kam.
Janelles Mund wurde trocken. Sie zog hastig ihre Bluse zusammen, um sich zu bedecken, aber Emma wimmerte protestierend, als die Nahrungsquelle entzogen wurde.
„Sir, ich… ich kann es erklären.“
„Erklären?“ Seine Augen verengten sich. Er trat in den Raum, seine Präsenz füllte ihn aus und ließ ihn kleiner wirken. „Ich gehe für einen Tag weg und komme nach Hause, um mein Dienstmädchen zu finden, das mein Kind stillt?“
Seine Stimme erhob sich mit jedem Wort, donnernd und schneidend. „Haben Sie den Verstand verloren?“
Janelle spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Die Angst, ihren Job zu verlieren, war riesig, aber die Angst um das Baby war größer.
„Sie hat nicht gegessen“, sagte sie leise, ihre Stimme zitterte. „Sie hat die Flasche stundenlang verweigert. Sie schrie vor Schmerzen. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Sie brauchte Milch.“
„Glauben Sie, das ist Ihr Platz?“, bellte er. „Meine Tochter zu füttern, als wäre sie Ihre eigene? Das ist eine Grenze, die Sie nicht überschreiten dürfen!“
„Sie verhungerte!“, schnappte Janelle zurück, bevor sie sich stoppen konnte.
Die Worte hingen in der Luft, mutig und trotzig.
Nathan Collins starrte sie an. Niemand widersprach ihm. Niemals. Sein Gesicht war unlesbar, eine Mischung aus Wut und Verwirrung.
Janelle blickte auf Emma hinab, die nun eingeschlafen war, ihre kleine Faust ruhte vertrauensvoll auf Janelles Brust. Der Anblick gab ihr Kraft.
„Feuern Sie mich, wenn Sie wollen“, flüsterte Janelle, und eine einzelne Träne rollte über ihre Wange. „Aber sie brauchte mich. Und ich konnte sie nicht leiden sehen.“
Nathan nahm einen tiefen Atemzug. Sein Blick wanderte von Janelles trotzigem Gesicht zu seiner schlafenden Tochter. Für den Bruchteil einer Sekunde weichte der harte Ausdruck in seinen Augen auf.
„Sie haben das vor mir verheimlicht“, sagte er, seine Stimme war jetzt ruhiger, aber immer noch angespannt. „Warum?“
Janelles Lippen bebten. „Weil Sie es nicht verstehen würden“, sagte sie. „Und weil… weil ich vor drei Monaten mein eigenes Baby verloren habe.“
Nathan erstarrte. Die Stille im Raum wurde schwer. „Sie… was?“
„Ich habe meinen Sohn begraben“, flüsterte sie. Die Tränen flossen nun frei. „Und ich hatte immer noch Milch. Mein Körper hörte nicht auf, Mutter zu sein, auch wenn mein Kind fort war. Als ich Ihre Tochter leiden sah, wie sie nach Nahrung suchte, die die Flasche ihr nicht geben konnte… ich konnte mich nicht abwenden.“
Der Raum fiel in Schweigen, nur unterbrochen vom sanften Atmen des Babys.
Nathan Collins sah sie lange an. Es war, als würde er sie zum ersten Mal wirklich sehen – nicht als Angestellte in einer Uniform, sondern als Mensch, als Mutter, die einen Schmerz trug, der seinem eigenen so ähnlich war.
Er wandte sich ab und ging zum Fenster, den Rücken zu ihr gekehrt.
„Bringen Sie sie in mein Büro, wenn sie aufwacht“, sagte er steif. „Wir müssen reden.“
Als er ging, fühlte Janelle, wie ihr Herz sank. War das das Ende? Oder der Anfang von etwas, das sie sich noch nicht vorstellen konnte?
Janelle saß steif auf der Kante eines schweren Lederstuhls in Mr. Collins’ Büro. Ihre Finger drehten nervös den Saum ihrer Schürze. Jede Sekunde fühlte sich an wie eine Stunde. Sie spielte seine Worte immer wieder ab: Wir müssen reden.
Was würde er sagen? Würde er sie anschreien? Die Polizei rufen wegen Übergriffigkeit?
Das Geräusch seiner schweren Schritte ließ ihren Magen krampfen. Er kam langsam herein und schloss die Tür hinter sich mit einem leisen Klicken. Emma schlief friedlich in einem kleinen Korb, den Janelle mitgebracht hatte.
Nathan Collins stellte sich hinter seinen massiven Eichenschreibtisch, setzte sich aber nicht. Er starrte hinaus auf das weitläufige Anwesen.
„Sie haben mich nicht gefragt.“ Seine Stimme war ruhig, aber da war eine Schärfe darin, die Janelles Herz hämmern ließ.
„Ich hatte keine Zeit“, sagte sie leise. „Sie schrie. Sie lief blau an. Ich geriet in Panik.“
Er drehte sich um, seine scharfen Züge waren unlesbar. „Sie gerieten in Panik und entschieden, mein Kind zu füttern, als wäre es Ihr eigenes.“
Janelle schluckte schwer. Sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Sir, ich weiß, es klingt falsch für jemanden wie Sie. Aber nach dem Tod ihrer Mutter hat sie jeden abgewiesen. Sie brauchte Wärme. Hautkontakt. Trost. Nicht nur Kalorien. Ich war die Einzige, die ihr das geben konnte.“
Nathan ging näher, seine Augen fixierten Emmas friedliches Gesicht im Korb.
„Und was ist mit Ihnen?“, fragte er unerwartet. „Haben Sie nicht daran gedacht, was das mit Ihnen machen würde?“
Janelle war verwirrt. „Sir?“
„Sie haben Ihren Sohn vor drei Monaten verloren“, sagte er, seine Stimme nun seltsam belegt. „Jedes Mal, wenn Sie mein Kind an Ihre Brust legen… erinnert es Sie nicht an ihn? Reißt es die Wunde nicht wieder auf?“
Janelle atmete zitternd ein. Die Frage war grausam und doch voller Einsicht.
„Ja“, flüsterte sie. „Jedes Mal. Es tut weh. Aber… es heilt auch. Zu wissen, dass diese Milch, dieses Leben, nicht verschwendet wird. Dass es ein anderes Kind am Leben hält.“
Stille.
„Wenn Sie wollen, dass ich gehe, verstehe ich das“, sagte sie weich. „Aber bitte, Sir… finden Sie jemanden, der sie nicht nur füttert, sondern sie hält. Lassen Sie sie nicht wieder hungern.“
Es gab eine lange Pause, bevor Nathan sprach. Er ging um den Schreibtisch herum und lehnte sich dagegen, die Arme verschränkt.
„Ich dachte, ich hätte alles verloren, als meine Frau starb“, sagte er, seine Stimme tief und rau. „Ich konnte Emma nicht ansehen, weil sie ihre Augen hat. Ich habe mich versteckt. Ich habe versagt.“
Er blickte Janelle an. „Aber als ich heute hereinkam und Sie mit ihr sah… es war das erste Mal seit Monaten, dass Emma ruhig aussah. Dass sie… ganz aussah.“
Janelle blinzelte überrascht. „Sie sind nicht wütend?“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Zuerst war ich es. Ich fühlte mich ersetzt. Aber jetzt erkenne ich, dass ich sie im Stich gelassen habe, während Sie eingesprungen sind.“
Er ging hinüber zum Korb und strich sanft mit dem Finger über die winzige Hand seiner Tochter. „Sie lebt wegen Ihnen“, murmelte er.
Janelles Augen füllten sich mit Tränen. „Ich tat nur, was jede Mutter tun würde.“
„Das ist es ja“, antwortete er sanft. „Sie gaben ihr das, was sie am meisten brauchte. Nicht nur Nahrung. Sondern Liebe.“
Er richtete sich auf und atmete tief durch. Der Geschäftsmann in ihm wich dem Vater.
„Ich möchte, dass Sie bleiben“, sagte er fest.
Janelles Augen weiteten sich. „Bleiben?“
„Ja. Aber nicht als Dienstmädchen, das Böden schrubbt. Ich möchte Sie als Emmas primäre Betreuerin einstellen. Als ihre… Amme. Ihre Pflegemutter. Nennen Sie es, wie Sie wollen.“
Janelles Herz pochte wild in ihrer Brust. „Sir, das ist zu viel. Ich kann nicht…“
„Sie haben es bereits getan“, unterbrach er sie. „Und ich vertraue Ihnen mehr als jedem Arzt oder jeder Nanny, die ich bezahlt habe. Sie haben sie gerettet, als ich es nicht konnte.“
Die Nachricht von Mr. Collins’ Entscheidung verbreitete sich schnell unter dem Personal. Einige waren schockiert, andere nickten anerkennend. Aber für Janelle und Nathan spielte das keine Rolle.
In den folgenden Wochen veränderte sich die Atmosphäre in der Villa. Wo einst drückende Stille herrschte, hörte man nun leises Glucksen und sanfte Wiegenlieder.
Janelle saß oft auf der Terrasse, Emma an ihrer Brust, während Nathan von seinem Büro aus zusah. Er begann, früher nach Hause zu kommen. Er begann, seine Tochter zu halten, lernte von Janelle, wie man sie beruhigte, wie man Vater war.
Janelle stillte Emma, bis sie alt genug für feste Nahrung war. Aber ihre Rolle endete nicht dort. Sie blieb. Sie wurde ein fester Bestandteil der Familie, eine Konstante der Liebe in Emmas Leben.
Jahre später, an Emmas fünftem Geburtstag, saßen sie gemeinsam im Garten. Emma rannte lachend über den Rasen. Nathan wandte sich an Janelle, die neben ihm saß.
„Ich habe dir nie richtig gedankt“, sagte er. „Für diesen Tag im Kinderzimmer.“
Janelle lächelte, ihre Augen folgten dem kleinen Mädchen, das sie wie ihr eigenes liebte. Sie dachte an ihren Sohn, den sie verloren hatte, und an die Tochter, die sie gewonnen hatte.
„Sie hat mich auch gerettet, Nathan“, antwortete sie. „Wir haben uns gegenseitig gerettet.“
Für den Außenstehenden war es vielleicht skandalös – ein Dienstmädchen, das das Kind des Herrn stillte. Aber für sie war es der Moment, in dem aus Trauer Hoffnung wurde und aus zwei gebrochenen Seelen eine Familie entstand.