Der Hausmeister hätte eigentlich gar nicht in diesem Flur sein sollen.
Der Wischmopp quietschte leise, als Karl Neumann ihn den langen Marmorkorridor hinunterschob. Die späte Nachmittagssonne warf goldene Strahlen auf den glänzenden Boden des Birkental-Turms. Er rückte seine verblichene Schirmmütze mit dem Logo einer alten Werft zurecht und pfiff leise vor sich hin, eine Angewohnheit aus den Nachtschichten.
Er wollte nur ein tropfendes Rohr im Ostflügel reparieren, als er plötzlich innehielt. Das Pfeifen verstummte.
Er lauschte. Da war es wieder: ein gedämpftes, kleines Schluchzen, als wolle sich jemand verstecken.
Er ließ den Eimer stehen, folgte dem Geräusch um eine Ecke zu einer unscheinbaren Feuertür und erstarrte.
Ein kleines Mädchen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, saß neben einer Putzkammer auf dem eiskalten Boden, die Knie fest an die Brust gezogen. Ihr Rucksack lag achtlos daneben, die Haare waren zerzaust, die Wangen von getrockneten Tränen gezeichnet.
Karl sah sich um. Keine Erwachsenen, kein Sicherheitsdienst. Nur dieses Mädchen, das inmitten eines der teuersten Bürogebäude Münchens weinte. Da zog sich ihm das Herz zusammen.
Er kniete sich langsam zu ihr hinunter, damit seine Knie knackten. „Hey, Kleine, alles in Ordnung?“
Sie sah mit großen, verängstigten Augen zu ihm auf, sagte aber nichts. Stattdessen schlang sie die Arme noch fester um ihre Beine.
Karl griff in die braune Papiertüte unter seinem Arm und zog das Leberkäsbrötchen heraus, das er sich am Morgen für das Abendessen eingepackt hatte. Es war nicht mehr warm, aber es war alles, was er hatte. Er brach es vorsichtig in zwei Hälften.
„Hier“, sagte er sanft und hielt es ihr hin. „Ich weiß nicht, was passiert ist, aber glaub mir, ein gutes Brötchen heilt mehr als nur Hunger.“
Sie zögerte, ihre Augen huschten von seinem Gesicht zu dem Brötchen. Dann nahm sie langsam die Hälfte entgegen. Während sie schweigend kaute, setzte Karl sich neben sie auf den kalten Fliesenboden, seine schmerzenden Knie ignorierend.
„Ich bin Karl“, sagte er, „Nur der Hausmeister hier. Aber du siehst aus, als könntest du einen Freund gebrauchen.“ Das Mädchen flüsterte schließlich, so leise, dass er es kaum hörte: „Ich heiße Sophie.“ „Freut mich, Sophie.“
Was Karl nicht wusste: Sophies Nachname war von Birkental. Und ihrer Mutter gehörte dieses Gebäude.
Sophie knabberte weiter und blickte immer wieder zu den großen Glastüren am Ende des Flurs, als würde sie auf jemanden warten oder sich vor jemandem fürchten. Karl fragte nicht nach. Er hatte gelernt, dass Schweigen eine eigene Sprache hat. Doch als er die roten Abdrücke an ihrem Oberarm sah, klein, wie von Fingerabdrücken, als hätte sie jemand zu fest gepackt, verkrampfte sich sein Kiefer.
„Willst du noch ein bisschen hier sitzen?“, fragte er ruhig. Sophie nickte leicht. Also blieb er.
Etwa dreißig Minuten später öffnete sich der Aufzug am Ende des Flurs. Kein Ping, nur dieses kalte, mechanische Gleiten.
Heraus trat eine hochgewachsene Frau, Anfang dreißig, scharf gekleidet in einem maßgeschneiderten grauen Hosenanzug und roten Designerschuhen. Ihre Ausstrahlung füllte den Gang wie ein Donnerschlag. Sie telefonierte.
„Mir egal, was der Aufsichtsrat sagt. Sagen Sie der Rechtsabteilung, sie soll die Stellung halten. Ich bin in 15 Minuten da.“
Dann blieb sie abrupt stehen. Ihr Blick fiel auf den Hausmeister in seiner blauen Uniform, der auf dem Boden neben ihrer Tochter saß und anscheinend ein belegtes Brötchen mit ihr teilte. Das Telefon rutschte ihr aus der Hand an ihre Seite.
„Sophie?!“
Das Mädchen sprang auf. „Mama!“ Sie rannte zu der Frau und umklammerte ihre Taille. Karl erhob sich mühsam und klopfte sich den Staub von den Knien. „Sie hat hier unten geweint. Ich dachte, ich leiste ihr Gesellschaft.“
Claudia von Birkental verengte die Augen. Sie war Vorstandsvorsitzende der Birkental AG. Ihr Familienname prangte in goldenen Lettern an der Fassade. Sie war es gewohnt, Macht, Schweigen und Respekt zu ernten. Doch dieser Hausmeister sah ihr direkt in die Augen, als wären sie gleichgestellt.