Bis Ende der Woche war es das Gerücht des Gebäudes: Der Hausmeister arbeitete jetzt direkt unter der Vorstandsvorsitzenden. Seine neue Position: Leiter Gebäudetechnik und Betriebsabläufe. Er überwachte nun alles, von den mechanischen Systemen bis zu den Notfallplänen. Er trug keine Uniform mehr, sondern ein sauberes Hemd und ein Tablet.
Aber die größte Veränderung war Sophie. Jeden Tag nach der Schule kam sie bei Karls neuem Büro vorbei, plumpste auf den Stuhl und erzählte von ihrem Tag. „Du bist der einzige Erwachsene, der so zuhört, als würde es wirklich zählen“, sagte sie einmal.
Eines Abends hörte Karl auf seinem Kontrollgang lautes Geschrei. Zwei Männer in Anzügen, einer davon derselbe Juniorpartner, der Sophie angeschrien hatte, machten einen Lieferanten nieder. „Hey“, sagte Karl ruhig. Die Männer drehten sich um. „Na sieh mal einer an“, spottete der Juniorpartner. „Herr Beförderung. Der Wischmobmann, der jetzt Prinzessinnenbeschützer spielt.“ „So redet man nicht mit dem Personal“, entgegnete Karl. In diesem Moment hallte eine Stimme durch den Raum wie eine scharfe Klinge. „Möchten Sie das bitte wiederholen?“ Claudia von Birkental trat hinter einer Säule hervor. „Karl hat mehr Integrität in einer Hand, als Sie in Ihrer gesamten Zeit hier gezeigt haben.“ Sie sah den Juniorpartner kalt an. „Sie sind fertig hier. Räumen Sie Ihr Büro.“ Sie wandte sich zu Karl. „Sie haben die volle Autorität, diese Abteilung neu zu strukturieren. Sie haben es sich verdient.“
Sechs Monate später stand Karl in der Aula von Sophies Schule und zupfte nervös am Kragen seines Sakkos. Claudia hatte ihn gebeten zu kommen. Dann trat Sophie auf die Bühne, ein Blatt Papier in der Hand. Ihre Stimme zitterte, doch dann sah sie Karl im Publikum und lächelte.
„Das ist für den Menschen, der mir gezeigt hat, dass Freundlichkeit keine Schwäche ist“, begann sie zu lesen. „Dass wahre Stärke leise ist und dass Helden nicht immer Anzüge tragen. Manchmal schieben sie einen Wischmob.“ Ein paar Lacher gingen durchs Publikum. Claudia lächelte mit Tränen in den Augen neben Karl. „Er wusste nicht, wer ich bin. Aber er hat sich neben mich gesetzt, mir die Hälfte seines Brötchens gegeben und mir das Gefühl gegeben, sicher zu sein, als niemand sonst da war. Das hat alles verändert.“ Karls Augen brannten. „Ich hoffe“, schloss Sophie, „wenn ich groß bin, kann ich so sein wie er.“ Stille. Dann tobender Applaus.
Später zurück im Turm, nahm Claudia Karl beiseite. „Wissen Sie, dieses Gebäude hatte noch nie eine Leitung für soziale Verantwortung.“ „Ich bin nicht gerade PR-Material“, lachte Karl. „Doch“, sagte sie. „Weil Sie verstehen, was diesem Ort gefehlt hat. Menschen.“
In den Monaten danach veränderte Karl die Seele des Gebäudes. Hausmeister bekamen bessere Krankenversicherungen; Kinderbetreuung wurde für berufstätige Mütter eingerichtet.
Und an der Wand im Eingangsbereich, gleich neben dem Flur, in dem Sophie einst geweint hatte, hing nun ein gerahmtes Foto. Ein Mann in Hausmeisteruniform im Schneidersitz auf dem Boden, der einem kleinen Mädchen die Hälfte eines Brötchens reichte. Darunter eine Messingtafel mit der Gravur: „Freundlichkeit ist die leise Revolution.“ Denn am Ende reparierte Karl nicht nur Böden. Er reparierte Herzen.