Der Tag lag wie ein schwarz-weißer Schleier über dem weitläufigen Anwesen der Familie Stern. Dutzende Limousinen säumten die Auffahrt. Vor einem Altar aus weißem Marmor stand der Sarg. Er war klein, strahlend weiß, und in ihm lag Laya, die siebenjährige Tochter des Millionärs.
„Halten Sie Abstand“, zischte einer der Männer im dunklen Anzug, ein Onkel, der Laya zu Lebzeiten kaum beachtet hatte. Er stieß den Jungen, der sich dem Sarg näherte, mit steifer Hand zurück. „Das ist nicht für dich.“
Der Junge, Daniel, nicht älter als neun, ballte die Fäuste. Seine verwaschene blaue Latzhose und das dunkle, ungebändigte Haar kontrastierten scharf mit der teuren Trauergemeinde. Seine dunklen Augen brannten nicht vor Angst, sondern vor Schmerz.
„Sie war meine Freundin“, flüsterte er.
Im Sarg lag die einzige Tochter des Millionärs. Sie trug ein zartes, lavendelfarbenes Kleid, eine einzelne weiße Blume ruhte auf ihrer Brust. Ihr Gesicht war unnatürlich still. Nur eine Nacht zuvor war sie plötzlich zusammengebrochen, hohes Fieber, dann hatte die Atmung ausgesetzt. Die Ärzte, die in die Villa gerufen worden waren, hatten der Mutter am Morgen mitgeteilt, dass es vorbei sei. Kein Puls, keine Hoffnung.
Daniel weigerte sich, dies zu akzeptieren. Laya war keine Prinzessin, die er nur aus der Ferne kannte. Sie war seine einzige echte Freundin gewesen. Sie schlich in die Küche, wenn die Gouvernante nicht aufpasste, klaute Kekse und rannte barfuß über den polierten Marmor.
„Du störst nicht“, pflegte sie jeden anzufahren, der Daniel, den Sohn des Dienstmädchens, tadelte. „Er ist mein Freund.“
Nun lag sie still. Daniels Kehle brannte. Er beugte sich vor. „Warum hast du nicht auf mich gewartet?“, flüsterte er. „Du hast versprochen, dass wir diesen Sommer auf den großen Baum klettern. Du sagtest, du hättest keine Angst mehr.“
„Zurücktreten!“, knurrte ein Mann schärfer, seine polierten Schuhe knirschten auf dem Kies. „Das ist nicht dein Platz. Du bist nur der Sohn des Dienstmädchens. Zeig Respekt!“
„Ich zeige keinen Respekt“, schrie Daniel zurück, seine kleine Stimme überschlug sich. „Sie war meine Freundin! Sie hat mit mir geredet, als es sonst niemand tat! Sie hasste es, in diesem großen Haus allein zu sein!“
Die Mutter, Emilia Stern, in einem perfekt sitzenden schwarzen Anzug, riss das Gesicht vom Sarg hoch. Ihre Augen waren von Tränen gerötet, aber ihre Trauer hatte sich in Wut verwandelt.
„Glaubst du, das ist der richtige Zeitpunkt für Märchen?“, presste sie hervor, ihre Stimme brach bei dem Wort. „Mein Kind ist tot! Tot! Steh nicht hier und tu so, als hättest du sie besser gekannt als ich!“
„Ich tue nicht so!“, brüllte Daniel, seine Stimme zerriss die feierliche Stille.
Er streckte die Hand aus, zögerte nicht, das feine Lavendelkleid zu berühren. Seine Finger strichen über Layas Schläfe. Dann erstarrte er.
Hitze, nicht Eis. Nicht die eisige Kälte, die er vom Tod seiner Großmutter kannte.
„Sie ist warm!“, keuchte er und drehte sich zur Mutter um. „Sie ist nicht weg!“
Die Menge um sie herum schrak zusammen. Wispern durchschnitt die Luft. Emilias Gesicht verzerrte sich, Wut kämpfte mit zerbrechlicher Hoffnung.
„Wag es ja nicht, mit mir solche Spiele zu spielen!“, schrie Emilia, ihre Stimme brach in Schluchzen. „Wag es ja nicht, mir falsche Hoffnung zu geben! Ich habe sie gehalten, als sie aufhörte zu atmen! Ich habe die Monitore gesehen!“
Daniel schüttelte den Kopf. Er packte ihre Hand und zerrte sie verzweifelt zum Sarg. „Die Ärzte haben sich geirrt! Fühlen Sie selbst! Sie ist nicht kalt! Bitte! Beerdigen Sie sie nicht, wenn ich recht habe! Legen Sie sie nicht in die Erde, ohne es zu wissen!“
Die Trauergäste brachen in ein Chaos aus Gemurmel aus. Einige schüttelten den Kopf, nannten es die wilde Fantasie eines Kindes. Andere drängten sich vor, Neugier stach in ihre Trauer. Der Priester brach mitten im Gebet ab, seine Stimme versagte.
Emilia wollte den Jungen anschreien, ihn wegschieben, sich selbst vor einer weiteren Wunde schützen. Doch seine raue Verzweiflung stoppte sie. Ihre zitternde Hand sank endlich, ihre Fingerspitzen berührten Layas Stirn.