LILO PULVER ist jetzt über 95 Jahre alt, ihr Leben ist so traurig
Bern – Wenn das Kino der Nachkriegszeit ein Lächeln gehabt hat, dann war es das von LILO PULVER. Mit funkelnden Augen, klarer Stimme und einer Mischung aus Schelmerei und Eleganz eroberte sie in den 1950er- und 1960er-Jahren die Leinwände in Deutschland, der Schweiz und weit darüber hinaus. Heute ist die Schauspielikone über 95 Jahre alt. Und hinter dem Glanz einer außergewöhnlichen Karriere liegt eine Lebensgeschichte, die gleichermaßen von Triumph und tiefer Traurigkeit erzählt.
Schon früh wurde die in Bern geborene LISELOTTE „LILO“ PULVER zum Gesicht eines neuen Optimismus. Filme wie „Ich denke oft an Piroschka“ (1955), „Im Spessart“ (1958) oder BILLY WILDERS Politkomödie „Eins, Zwei, Drei“ machten sie zum Star, ihr unnachahmliches Lachen zur Marke. Doch während das Publikum in ihr den „Wildfang“ sah, trug die Künstlerin privat Lasten, die man ihrem heiteren Spiel nicht ansah. „Mein Lächeln ist mein Blick auf die Welt“, sagte sie einmal, „aber dahinter verbergen sich Tränen, die ich in meinem Herzen bewahre.“ Es ist ein Satz, der den Ton für ein Leben setzt, in dem helles Licht und tiefe Schatten dicht nebeneinander liegen.
Geboren am 11. Oktober 1929 begann PULVERs Weg auf der Theaterbühne, bevor sie im Film zum Phänomen wurde. Ihr komödiantisches Timing, ihre Musikalität, die Fähigkeit, Leichtigkeit und Ernst miteinander zu verweben – all das hob sie aus der Riege ihrer Zeitgenossinnen hervor. Zugleich bewies sie in ernsten Stoffen wie „Die Buddenbrooks“ (1959) oder „Die Nonne“ (1966) dramatische Tiefe. Auszeichnungen wie BAMBI, GOLDENE KAMERA und internationale Nominierungen bestätigten das, was das Publikum längst wusste: Diese Schauspielerin konnte weit mehr, als nur charmant sein.
Hinter der Kamera schrieb LILO PULVER eine Liebesgeschichte, die zur tragenden Säule ihres Lebens wurde. 1961 heiratete sie den Schauspieler HELMUT SCHMIDT. Zwei Kinder, MARK TELL und MELISANDE, machten das Glück vollkommen. Doch die Familie blieb von schweren Schicksalsschlägen nicht verschont. Der frühe Tod der Tochter MELISANDE, die mit nur einundzwanzig Jahren verstarb, riss eine Wunde, die nie wirklich heilte. Freunde berichten, wie sehr dieser Verlust die Eltern prägte: In der Öffentlichkeit das tapfere Lächeln, im Privaten eine Stille, die man nicht füllen konnte. PULVER sprach später offen darüber, dass der Schmerz Teil ihrer Biografie geworden sei – ein unsichtbarer Schatten, der sie Demut lehrte und zugleich eine zarte, unaufdringliche Menschlichkeit in ihre Arbeit trug.
Auch beruflich kannte ihre Laufbahn nicht nur aufsteigende Linien. Chancen, die kommen, und Chancen, die man ziehen lassen muss – auch das gehört zur Bilanz eines langen Künstlerlebens. Es gab Angebote, die PULVER aus vertraglichen Gründen nicht annehmen konnte, Rollen, die andere berühmt machten, Wege, die sich nicht fügen wollten. Doch anstatt rückwärts zu leben, wählte sie die Haltung der Dankbarkeit. „Das Leben ist nicht, was man verpasst“, betonte sie sinngemäß, „sondern das, was man schafft.“ Es ist diese Gelassenheit, die ihre späten Interviews prägt und erklärt, warum so viele Menschen in ihr mehr sehen als eine Leinwandfigur: eine Frau, die strahlt, ohne zu blenden.
Nach dem Tod ihres Mannes 1992 zog sich LILO PULVER immer stärker in die Privatheit zurück. Sie pflegte den Kreis der Familie, hielt an Gewohnheiten fest, die ihr Halt gaben, und fand in der Natur einen stillen Gegenpol zur einst lärmenden Filmarbeit. Wer das Glück hatte, sie bei Ehrungen oder Galas zu erleben, spürte sofort die unverwechselbare Mischung aus Würde und Wärme. Keine Pose, kein Pathos – dafür ein Blick, der Geschichten erzählt, und ein Lächeln, das Erinnerung ist und Gegenwart zugleich.
Heute lebt die Grande Dame des deutschsprachigen Kinos bewusst zurückgezogen. Gesundheitlich meistert sie die Herausforderungen des Alters mit Disziplin, Humor und jenem pragmatischen Optimismus, der sie seit Jahrzehnten begleitet. Ein geordneter Tagesablauf, Spaziergänge im Grünen, die Pflege des Gartens, ein gutes Buch – es sind die einfachen Dinge, die zählen. „Ich möchte hundert werden“, ließ sie einmal augenzwinkernd wissen, „und ich tue, was ich kann.“ Es klingt heiter, ist aber auch Ausdruck eines Willens, den man ihren Figuren oft unterstellte und der wohl immer ein Teil von LISELOTTE PULVER war.
Dass ihr Leben „so traurig“ sei, wie es die zugespitzte Überschrift behauptet, greift zu kurz und trifft zugleich einen wahren Kern. Traurig sind die Verluste, die sie ertragen musste – und deren Echo bis heute spürbar ist. Traurig ist auch die Einsicht, dass Ruhm nicht vor Schicksal schützt. Doch wer PULVER auf ihre Trauer reduziert, verfehlt ihr Vermächtnis. Denn inmitten der Brüche ihres Lebens steht eine große, bei aller Bescheidenheit souveräne Künstlerin, die Generationen Freude geschenkt hat. Ihre Rollen sind zeitlos, weil sie Wahrhaftigkeit atmen. Ihr Lachen ist legendär, weil es nie nur Oberfläche war.
Auffällig ist, wie sehr LILO PULVER mit zunehmendem Alter die Deutungshoheit über ihre Biografie behalten hat. Sie hat Grenzen gezogen, ohne kalt zu wirken. Sie hat sich geehrt feiern lassen, ohne sich feiern zu lassen. Sie hat aus Erinnerungen kein Museum gemacht, sondern eine Landschaft, in der sie gern spazieren geht. Ihre Memoiren, Interviews und seltenen Auftritte erzählen von einer Frau, die sich nicht definieren lässt – nicht vom Erfolg, nicht vom Leid, nicht von Erwartungen. Sie ist Künstlerin geblieben, auch ohne Kamera: Eine, die beobachtet, ordnet, verdichtet – und in der Stille weiterarbeitet, indem sie das Wesentliche bewahrt.
Für die Filmgeschichte bleibt LILO PULVER ein Fixstern. Sie steht für ein Kino, das Herz hat, Verstand besitzt und den Mut zur Leichtigkeit nie als Schwäche missversteht. Für ihr Publikum ist sie mehr: eine Begleiterin durch Jahrzehnte, verlässlich wie eine Melodie, die man unwillkürlich mitsummt. Und für die, die ihr nahe standen, ist sie die Frau, die beides konnte – lachen und lieben, fallen und weitergehen.
Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Melodie dieses sehr langen Lebens: In der Versöhnung von Licht und Schatten. In der Einsicht, dass Trost nicht im Vergessen liegt, sondern im Erinnern, das nicht weh tun muss. In der großen, leisen Geste, sich selbst treu zu bleiben – auch dann, wenn die Welt einem andere Rollen zuweisen will.
Am Ende dieses Porträts steht kein Ausrufungszeichen, sondern ein Dank. Danke für die Figuren, die uns leicht gemacht haben. Danke für die Ernsthaftigkeit, die nie schwer wurde. Danke für ein Lächeln, das ein Versprechen war: Dass Kunst tröstet, ohne zu lügen. LILO PULVER ist über 95 Jahre alt. Ihr Leben war nicht nur traurig. Es war groß – und ist es noch. Und solange ihr Lachen in unseren Köpfen nachklingt, bleibt die Leinwand ein bisschen heller.