Geboren 1856 in Bremen hatte er sein Handwerk in Paris gelernt in einem Studio, das bekannt war für technische Innovation und soziales Engagement. Engel kehrte nach Deutschland zurück und eröffnete sein Studio in Hamburg. Was Thomas jedoch am meisten überraschte, waren die wenigen Zeitungsberichte, die er fand.
In der Hamburger Nachrichten vom März 1891 stand eine kleine Notiz über einen Streit, bei dem Engel beschuldigt wurde, Klientel zu bedienen, die das Ansehen des fotografischen Gewerbes beschädigt. Die Zunft der Fotografen hatte versucht, ihm die Lizenz zu entziehen, war aber gescheitert.
Ein anderer Artikel, diesmal ohne Namen, aber mit eindeutiger Beschreibung seiner Adresse, warnte anständige Hamburger davor, gewisse Studios zu besuchen, die keine Unterscheidung zwischen Kunden treffen. Thomas verstand langsam, was dies bedeutete. Leopold Engel war einer jener Fotografen gewesen, die alle Kunden bedienten, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder sozialem Stand. In einer Gesellschaft, die zunehmend nach Rasse und Reinheit kategorisierte, war dies keine neutrale Position, sondern eine politische Aussage. Doch Engel hatte nicht nur fotografiert.
Der Begriff Dokumentation auf seiner Rechnung deutete auf etwas anderes hin. Er hatte nicht nur Erinnerungen geschaffen, sondern Beweise. Thomas suchte weiter und fand schließlich, was er brauchte. Sechs weitere Fotografien aus Engelsstudio, alle mit demselben Wasserzeichen.
Alle zeigend Menschen, die offensichtlich nicht dem germanischen Ideal entsprachen. Und bei allen allen waren die Hände in seltsamen unnatürlichen Positionen. Die Identifizierung der Familie Schneider erwies sich als mühsamer als erwartet. Der Name war so gewöhnlich in Hamburg, daß die Standesamtregister hunderte von Einträgen aufwiesen. Thomas musste systematisch vorgehen.
Er begann mit dem Jahr 1892 und arbeitete sich rückwärts, suchte nach Schneiders, die in der Nähe der Großen Reichenstraße lebten, wo Engelsstudio gewesen war. Nach Wochen der Suche fand er einen vielversprechenden Eintrag. Helene Schneider, geboren 1854 in Hamburg, verheiratet 1874 mit Samuel Okonquo, einem Seemann aus dem Gebiet, das später Nigeria werden sollte. Die Ehe war in der Katharinenkirche geschlossen worden.
Ein Detail, das Thomas überraschte. Die Kirche war nicht bekannt dafür, besonders progressiv zu sein. Die Geburtsurkunden der Töchter folgten Marie, geboren 1874 und Kara geboren 1876. Beide waren in Hamburg geboren und getauft. Beide trugen den Namen Schneider Okongwo, obwohl in späteren Dokumenten der zweite Teil des Namens oft weggelassen wurde.
Thomas fand Schulunterlagen, die zeigten, dass beide Mädchen eine Volksschule in der Neustadt besucht hatten, wobei Marie besonders in Mathematik brillierte und Kara eine Begabung für Sprachen zeigte. Die Lehrerbemerkungen waren gemischt. Manche lobten den Fleiß der Mädchen, andere notierten Schwierigkeiten mit Integration oder benötigt besondere Aufmerksamkeit wegen familiärer Umstände, Formulierungen, die in dieser Zeit oft als verschlüsselte Kritik an der Herkunft verstanden wurden. Die Familie betrieb eine Pension in der Bernhardstraße, nur 10 Minuten zu Fuß
vom Hafen entfernt. Das Haus gehörte ursprünglich Helenes Eltern, die es ihr hinterlassen hatten. Eine ungewöhnliche Situation, da Töchter normalerweise nicht erberechtigt waren, wenn Söhne existierten. Doch Helene war Einzelkind und ihre Eltern, beide Weber, hatten das Haus durch jahrzehnte harter Arbeit abbezahlt.
Die Pension zur Hoffnung war in Hafenverzeichnissen aufgeführt und bot saubere Betten für ehrbare Seeleute zu fairen Preisen. Aus späteren Polizeiberichten, die Thomas in einem anderen Archiv fand, ging hervor, dass die Pension einen guten Ruf hatte. Keine Berichte über Trunkenheit.
Schlägereien oder Prostitution die üblichen Probleme solcher Etablissel arbeitete, wenn er nicht auf See war, als Hafenarbeiter. Ein Knochenjob, der Männer vor ihrer Zeit verbrauchte. Doch die rechtliche Situation der Familie war komplizierter als erwartet. Thomas entdeckte Dokumente aus dem Jahr 1886, in denen Helenes Cousin, ein gewisser Friedrich Paulsen, versuchte, das Erbe anzufechten.