Es war eine Nacht im Jahr 2000, die damals lediglich als eine weitere exzentrische Feier der New Yorker High Society in die Klatschspalten einging. Doch heute, fast ein Vierteljahrhundert später, wirken die Bilder dieser Veranstaltung wie stumme Zeugen eines Albtraums, der die Welt bis ins Mark erschüttern sollte. Im schummrigen Licht des angesagten Hudson Hotels in New York lud das deutsche Supermodel Heidi Klum zu ihrer legendären Halloween-Party. Das Motto, das sie wählte, könnte aus heutiger Sicht kaum zynischer und makabrer sein: „Hookers and Pimps“ – zu Deutsch: „Nutten und Zuhälter“.

Was als provokanter Scherz gedacht war, bekommt einen bitteren Beigeschmack, wenn man betrachtet, wer sich unter den Gästen befand. Denn mitten im Getümmel, zwischen falschen Wimpern und aufreizenden Kostümen, bewegte sich ein Mann, dessen Name heute untrennbar mit Missbrauch und Arroganz verbunden ist: Prinz Andrew, der Herzog von York. Und er war nicht allein. An seiner Seite, fast wie ein Schatten, wich ihm eine Frau nicht von der Seite, die heute als eine der verabscheuungswürdigsten Kriminellen der modernen Justizgeschichte gilt: Ghislaine Maxwell.
Der Prinz und die Madame: Ein Tanz auf dem Vulkan
Die Aufnahmen dieses Abends sind verstörend. Sie zeigen einen entspannten Prinz Andrew, der sich sichtlich wohlfühlt. Er lacht, er trinkt Wasser – ein Detail, das insofern Brisanz birgt, als dass er Jahre später in einem verhängnisvollen BBC-Interview behaupten sollte, er könne aufgrund eines Traumas aus dem Falklandkrieg nicht schwitzen. Doch auf dieser Party im Jahr 2000 wirkte er alles andere als krank oder traumatisiert. Er wirkte wie ein Mann, der das Spiel der Macht genießt.
Noch beunruhigender ist die Frau an seiner Seite. Ghislaine Maxwell, die Tochter des in Ungnade gefallenen Medienmoguls Robert Maxwell, trug an diesem Abend eine blonde Perücke, ein bauchfreies Top und goldene Hosen. Sie lächelte in die Kameras, während sie gleichzeitig – so wissen wir es heute aus Gerichtsdokumenten – als „Madame“ für den Pädophilen Jeffrey Epstein fungierte. Sie war es, die junge Mädchen rekrutierte, ihren Willen brach und sie den mächtigen Freunden Epsteins zuführte. Dass sie auf dieser Party, deren Motto sexuelle Ausbeutung trivialisierte, so eng mit dem Sohn der Queen posierte, ist eine Ironie, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Heidi Klum: Nur die Gastgeberin oder Teil des Kreises?
Und wo steht Heidi Klum in diesem düsteren Szenario? Die Gastgeberin selbst präsentierte sich an jenem Abend in einem hautengen, schwarzen PVC-Katzenanzug, der tief blicken ließ. Sie posierte mit dem Prinzen, lachte mit den Gästen. Bis heute beteuert das Model, Jeffrey Epstein nicht gekannt zu haben. Ihr Sprecher erklärte, sie habe Prinz Andrew lediglich zweimal in ihrem Leben getroffen und Ghislaine Maxwell nicht näher gekannt. Ihr Name tauche auch nicht in den berüchtigten Flugprotokollen des „Lolita-Express“ auf.
Doch die Zweifel bleiben, genährt durch die Aussagen eines Opfers, das im Zentrum des Skandals steht: Virginia Giuffre (geborene Roberts). In einer eidesstattlichen Aussage aus dem Jahr 2011 gab Giuffre an, Heidi Klum auf Partys mit Jeffrey Epstein gesehen zu haben. Schlimmer noch: Sie behauptete, Klum sei zusammen mit anderen Prominenten in Epsteins Privatjet mitgeflogen.

Hier stehen Aussage gegen Aussage. Warum sollte Virginia Giuffre, die mit ihrem Mut das Kartenhaus von Epstein und Maxwell zum Einsturz brachte, lügen? Sie hätte nichts davon, einen Weltstar wie Heidi Klum ohne Grund zu belasten; im Gegenteil, sie riskierte damit Klagen wegen Verleumdung. Giuffres Aussage war jedoch differenziert: Sie wisse nicht, ob Klum auf Epsteins Insel war, aber sie habe sie auf Partys gesehen. Diese Diskrepanz zwischen Heidi Klums totalem Dementi und Giuffres Erinnerungen wirft einen langen Schatten auf die Glaubwürdigkeit der glitzernden Modewelt.
Das Netz der Macht und das Schweigen der Elite
Der Artikel der Daily Mail aus dem Jahr 2015, der diese Party wieder ins Gedächtnis rief, ist heute brisanter denn je. Er entstand zu einer Zeit, als Ghislaine Maxwell noch auf freiem Fuß war, ein Leben in Luxus führte und in einem 16,5 Millionen Dollar teuren Townhouse in Manhattan residierte. Sie war Teil der Elite, eingeladen zur Hochzeit von Chelsea Clinton, bestens vernetzt mit Ex-Präsident Bill Clinton und eben auch mit den Royals.
Es ist dieses Netzwerk aus Geld, Macht und gegenseitigen Gefälligkeiten, das Epstein und Maxwell jahrelang schützte. Wie konnte es sein, dass eine Frau, deren Vater die Pensionskassen tausender Mitarbeiter plünderte und die selbst tief in den Missbrauch Minderjähriger verstrickt war, weiterhin in den höchsten Kreisen verkehrte? Die Antwort liegt in der Skrupellosigkeit dieser Gesellschaftsschicht. Wer nützlich war, wer Türen öffnen konnte – so wie Maxwell es für Epstein tat und Epstein für sie –, der wurde nicht hinterfragt.
Die offenen Fragen und die Forderung nach Wahrheit
Heidi Klum mag rechtlich unbelastet sein. Es gibt keine Fotos von ihr mit Epstein, keine belegten Flüge. Doch die bloße Nähe zu diesem toxischen Zirkel – das gemeinsame Feiern mit einem Prinzen, der sich später Missbrauchsvorwürfen stellen musste, und einer verurteilten Sexualstraftäterin – hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
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Wenn Virginia Giuffre sagt: „Du musst heute lächeln, du tanzt heute Abend mit einem Prinzen“, und wir dann Bilder sehen, wie Andrew seinen Arm um ihre Taille legt, während Maxwell zufrieden daneben steht, dann wissen wir: Das Böse versteckt sich oft hinter einem Lächeln und einem teuren Anzug.
Wir müssen vorsichtig sein mit Vorverurteilungen. Heidi Klum ist keine Täterin, solange nichts anderes bewiesen ist. Doch wir dürfen auch nicht aufhören, Fragen zu stellen. Warum gibt es immer noch versiegelte Akten? Warum werden die vollständigen Listen der Passagiere des „Lolita-Express“ nicht veröffentlicht?
Die Welt hat ein Recht darauf zu erfahren, wer wirklich alles in den Sumpf von Jeffrey Epstein und Ghislaine Maxwell verwickelt war. Die Party im Jahr 2000 war vielleicht für viele Gäste nur ein rauschendes Fest. Für die Opfer von Epstein und Maxwell war diese Ära jedoch der Beginn eines jahrelangen Martyriums. Es ist an der Zeit, dass das Licht der Wahrheit auch in die dunkelsten Ecken der VIP-Lounges fällt. Solange Donald Trump oder andere Mächtige die letzten Akten nicht freigeben, bleibt der Verdacht bestehen – und mit ihm das Unbehagen, wenn wir die alten Fotos von Glanz und Glamour betrachten.
Die Geschichte lehrt uns: Nichts bleibt für immer verborgen. Und vielleicht ist das Foto aus dem Hudson Hotel nur das erste Puzzleteil, das uns die ganze, hässliche Wahrheit offenbart.