Es ist eine Wendung, die das Blut in den Adern gefrieren lässt und die Grenzen dessen sprengt, was wir für möglich halten. Im tragischen Mordfall des achtjährigen Fabian aus Güstrow, einem Fall, der Deutschland wochenlang in Atem hielt, gerät nun die Person ins Zentrum der Ermittlungen, die eigentlich das größte Opfer sein sollte: seine eigene Mutter, Dorina L. Die Polizei hat “gravierende Widersprüche” in ihren Aussagen entdeckt, Ungereimtheiten, die so schwer wiegen, dass sie das gesamte bisherige Bild der Tat auf den Kopf stellen.
Was wir bisher zu wissen glaubten, war bereits ein Albtraum. Fabian, ein fröhlicher, als “Mamakind” beschriebener Junge, verschwand am 10. Oktober spurlos. Er war an diesem Tag krank und nicht zur Schule gegangen. Vier Tage lang suchte die Stadt, hoffte und bangte. Dann die grausame Entdeckung: Fabians Leiche wurde gefunden, versteckt, der Versuch einer Verbrennung war offensichtlich. Der Verdacht fiel schnell auf Gina H., die Ex-Freundin des Vaters, Matthias R. Sie war es, die die Leiche fand, und ihre Beziehung zur Familie war Berichten zufolge angespannt. Sie wurde verhaftet. Der Fall schien klar, eine Tat aus Eifersucht oder Rache.

Doch nun, Wochen später, bricht dieses Kartenhaus zusammen. Die Ermittler sind auf Details gestoßen, die Dorina L.s Version der Ereignisse ins Wanken bringen. Es ist der Albtraum eines jeden Ermittlers: die Möglichkeit, dass die trauernde Mutter, die öffentlich zusammenbrach, eine furchtbare Rolle gespielt haben könnte.
Das Netz der Widersprüche: Was die Ermittler zweifeln lässt
Die Polizei hält sich aus ermittlungstaktischen Gründen bedeckt, doch aus Kreisen, die mit solchen Fällen vertraut sind, dringen die möglichen Arten von Widersprüchen durch, die nun geprüft werden. Es geht um das Fundament jeder Ermittlung: Zeit, Ort und Verhalten.
Der erste und klassischste Widerspruch betrifft die Zeitachse. Dorina L. war die letzte Person, die Fabian lebend gesehen hat. Ihre Angaben, wann er das Haus verlassen haben soll – angeblich allein und ohne sein Handy –, müssen lückenlos überprüfbar sein. Doch was, wenn forensische Daten ein anderes Bild zeichnen? Was, wenn Handydaten, Bewegungsprofile oder Zeugenaussagen belegen, dass ihre Angaben nicht stimmen können? Wenn der Todeszeitpunkt, den die Gerichtsmedizin ermittelt hat, nicht zu dem Zeitpunkt passt, an dem Fabian das Haus verlassen haben soll, entsteht eine fatale Lücke, die Dorina L. erklären muss.
Der zweite Widerspruch ist ihr eigener Aufenthaltsort. Wo war Dorina L. in den kritischen Stunden? Hat sie das Haus verlassen? Hat sie jemanden getroffen? In der heutigen Zeit hinterlässt jeder von uns digitale Spuren – Handy-Logins in Funkmasten, Kreditkartenzahlungen, Aufnahmen von Überwachungskameras. Wenn Dorina L. behauptet hat, zu Hause gewesen zu sein, ihre Daten aber etwas anderes belegen, ist das mehr als nur eine Ungenauigkeit. Es ist ein Hinweis auf eine mögliche Lüge.
Der dritte und vielleicht beunruhigendste Widerspruch ist ihr Verhalten. Erfahrene Ermittler und Kriminalpsychologen sind darauf geschult, authentische Trauer von einer inszenierten Darbietung zu unterscheiden. Ja, Trauer ist individuell. Manche Menschen erstarren, andere brechen zusammen, wieder andere funktionieren rein mechanisch. Dorina L.s Cousine, Claudia Kauer, beschrieb einen völligen Zusammenbruch, als die Mutter vom Fund der Leiche erfuhr. “Sie kam überhaupt nicht mehr klar”, sagte sie.
Doch Ermittler achten auf subtile Signale. Gab es eine verdächtige Verzögerung, bevor sie Fabian als vermisst meldete? [06:45] Brauchte sie Zeit, um eine Geschichte zu konstruieren oder Spuren zu verwischen? Wie verhielt sie sich während der viertägigen Suche? War sie aktiv beteiligt oder hielt sie sich auffallend zurück, mied vielleicht sogar bestimmte Suchgebiete? [07:15] Auch die Tatsache, dass sie ausschließlich über ihre Anwältin kommunizierte, ist ambivalent. Einerseits ein verständlicher Schutz vor den Medien in einer traumatischen Zeit, andererseits die perfekte Strategie, um sich nicht in spontanen, unkontrollierten Aussagen zu verraten. [08:50]
Das dunkelste aller Szenarien: Täterwissen und Mittäterschaft
Der schwerwiegendste Verdacht, der nun im Raum steht, ist der des “Täterwissens”. [05:39] Hat Dorina L. Details über den Fundort oder den Zustand der Leiche preisgegeben, die sie unmöglich hätte wissen können – es sei denn, sie war selbst dort? Hat sie vielleicht sogar Hinweise gegeben, bevor Fabian offiziell gefunden wurde? Solche Momente sind in Kriminalfällen oft der Wendepunkt, der Moment, in dem sich der Verdacht gegen eine Person erhärtet.

Diese neue Entwicklung wirft zwangsläufig eine weitere, noch düsterere Frage auf: Welche Rolle spielt dann Gina H., die Frau, die immer noch in Untersuchungshaft sitzt? Die Ermittler müssen nun Szenarien prüfen, die man sich kaum vorstellen mag.
Das erste Szenario: Dorina L. ist die alleinige Täterin und hat Gina H. brillant als Sündenbock inszeniert. [14:24] Sie wusste von dem Konflikt zwischen ihrem Ex-Partner und Gina H. und nutzte sie als perfekte Ablenkung. Sie legte Spuren, manipulierte die Situation so, dass Gina H. die Leiche finden musste, und platzierte vielleicht sogar Beweise, die sie belasten. In diesem Szenario wäre Gina H. unschuldig und das zweite Opfer einer grausamen Inszenierung.
Das zweite, fast noch verstörendere Szenario: eine monströse Allianz. [13:27] Könnten Dorina L. und Gina H. zusammengearbeitet haben? Was, wenn beide Frauen ein gemeinsames Motiv hatten, das sich gegen den Vater, Matthias R., richtete? [13:53] Ein gemeinsamer Hass, ein Racheplan, der so extrem war, dass er das Leben eines unschuldigen Kindes opferte. Vielleicht brachte Dorina L. ihren Sohn selbst zu Gina H., und beide waren an der Tat und der anschließenden Vertuschung beteiligt. [15:01] Wenn die Ermittler Kommunikationsdaten zwischen den beiden Frauen am Tattag finden, würde diese Theorie plötzlich plausibel.
Warum? Die unerträgliche Frage nach dem Motiv
Wenn der Verdacht sich bewahrheitet, steht die Frage im Raum, die niemand zu stellen wagt: Warum sollte eine Mutter ihr eigenes Kind töten? Die Kriminalpsychologie kennt dieses Phänomen unter dem Begriff “Filizid”. [19:38] Die Motive sind vielfältig und für Außenstehende oft unbegreiflich.
Gab es eine akute Überforderung? [11:06] War Dorina L. alleinerziehend, am Ende ihrer Kräfte, vielleicht durch finanzielle oder psychische Probleme? Manchmal geschieht eine Tötung im Affekt, aus einer Situation der totalen Überlastung heraus. Oder litt sie an einer unentdeckten psychischen Erkrankung, einer Psychose, die ihre Wahrnehmung der Realität verzerrte? [11:29]
Ein weiteres bekanntes Motiv ist eine neue Beziehung. [12:02] Passte Fabian nicht in ein neues Lebenskonzept? Stand er einem neuen Partner im Weg, der vielleicht selbst keine Kinder wollte?
Das grausamste Motiv wäre Rache am Vater. [12:35] In toxischen Trennungen wird das Kind manchmal zur ultimativen Waffe. Die Tötung des Kindes, um den anderen Elternteil auf die schlimmstmögliche Weise zu bestrafen und ihm das Wertvollste zu nehmen. Es ist eine Form extremer Grausamkeit, die aber dokumentiert ist.
Die Unschuldsvermutung gilt – auch im Angesicht des Grauens
Bei all diesen Spekulationen und schrecklichen Möglichkeiten muss eines klar sein: Es gilt die Unschuldsvermutung. [22:53] Nur weil es Widersprüche gibt, ist Dorina L. nicht automatisch schuldig. Es gibt auch Argumente, die für ihre Unschuld sprechen.
Ihre von der Cousine beschriebene, authentisch wirkende Trauer ist ein starkes Indiz. [23:03] Einen solchen Zusammenbruch über einen längeren Zeitraum vor so vielen Menschen zu fälschen, erfordert ein Maß an Kaltblütigkeit, das selten ist.
Auch können Widersprüche in Aussagen menschliche Fehler sein. [24:05] Eine Mutter, die gerade ihr Kind verloren hat, steht unter einem unvorstellbaren Schock. Das Gedächtnis ist in solchen Extremsituationen unzuverlässig. Details verschwimmen, Zeitangaben werden verwechselt. Was wie eine Lüge aussieht, kann die verzweifelte Konfusion eines traumatisierten Menschen sein.
Und auch Ermittler sind nicht unfehlbar. [24:34] Sie können falschen Spuren folgen, Beweise überinterpretieren und sich in eine Theorie verrennen. Es wäre eine doppelte Tragödie, wenn eine unschuldige Mutter, die ihr Kind verloren hat, nun auch noch fälschlicherweise des Mordes beschuldigt würde.
Auffällig bleibt die Rolle des Vaters, Matthias R., der sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat und schweigt. [25:05] Auch seine Rolle wird von den Ermittlern zweifellos durchleuchtet.
Der Fall Fabian ist noch lange nicht abgeschlossen. Er ist von einer Tragödie zu einem komplexen psychologischen Rätsel geworden, das uns zwingt, in menschliche Abgründe zu blicken. Die Ermittler stehen vor der schwierigsten Aufgabe: die Wahrheit von einer schrecklichen Inszenierung zu unterscheiden. Wir schulden es Fabian, dass diese Wahrheit ans Licht kommt – egal, wie unbequem und schmerzhaft sie auch sein mag.