Doch Sophies Blut befleckte den Boden, und Naomis Wangen waren von Tränen nass. Für Außenstehende schien alles klar: Ein pensionierter Polizeihund hatte eine Zivilistin in der Küche eines Kindes angegriffen. Der Wagen des Tierschutzes rollte in die Einfahrt. Der Beamte stieg aus, Leine in der Hand, ruhig und bestimmt.
Buzz stand regungslos da, die Ohren aufgestellt, aber der Körper still. Anthony kniete nieder, übergab Naomi in die Arme eines Sanitäters und befestigte selbst die Leine am Halsband des Schäferhundes. Buzz drückte seinen Kopf sanft gegen Anthonys Hand, bevor er zum offenen Transporter trat. Kein Widerstand, kein Sträuben – nur ein letzter Blick zurück, fest und ruhig, als wolle er sagen, dass noch mehr ans Licht kommen würde.
Die Tür schloss sich mit einem schweren Schlag. Das Geräusch hallte durch das Haus. Anthony nahm Naomi wieder in die Arme und wiegte sie, während die Sirenen in der Ferne verklangen. In seiner Brust brannten Fragen, die er noch nicht auszusprechen wagte. Dankbarkeit für Buzz’ Gehorsam mischte sich mit der Angst vor dem, was die Welt nun glaubte.
Er wandte sich der Küche zu: ein umgestürzter Stuhl, eine halbleere Schüssel auf dem Tisch. Sein Blick fiel auf den Löffel, der über die Fliesen lag. Ein blasser rosa Fleck klebte am Metall, kaum sichtbar, aber fehl am Platz. Der Geruch, der aus der Schüssel stieg, war schwach, doch scharf genug, um ihm den Magen umzudrehen. Anthony griff nach einem Papiertuch, das Herz hämmerte, als er sich bückte.
Der Löffel könnte die Antwort sein. Vorsichtig hob er ihn mit dem Papiertuch auf, hielt ihn fern von Naomis Reichweite. Das Licht glitt über das Metall, das den rosafarbenen Streifen offenlegte – schwach, aber beunruhigend. Er hatte schon hunderte Male Haferbrei für seine Tochter angerührt, doch diese Farbe gehörte hier nicht hin.
Er legte den Löffel auf die Arbeitsplatte, weit entfernt vom blutgetränkten Handtuch Sophies, und blickte zur Schüssel zurück. Der Haferbrei war abgekühlt, eine dünne Haut hatte sich gebildet, doch der Geruch traf ihn wie ein Schlag. Kein süßer Duft nach Banane und Zimt – stattdessen ein scharfer, metallischer, fast bitterer Ton. Sein Instinkt schrie ihn an. Naomi regte sich in seinen Armen, schmiegte sich an ihn.
Anthony küsste ihr Haar. „Alles gut, mein Schatz. Daddy ist hier.“ Doch sein Blick blieb auf der Schüssel. Buzz’ letzter Blick flackerte in seinem Kopf – der fixierte Blick auf den Löffel, die gespannte Stille vor dem Angriff.
Buzz hatte nicht grundlos gehandelt. Er hatte auf etwas reagiert, das Anthony noch nicht erkannte.
Anthony holte zwei wiederverschließbare Beutel, schob den Löffel in den einen, dann etwas Haferbrei in den anderen. Seine Bewegungen waren ruhig, beinahe rituell. Er versiegelte beide, legte sie unter einen Stapel Küchentücher. Die Sanitäter waren längst fort, die Nachbarn neugierig auf der Veranda. Anthony ignorierte das Klopfen, hielt Naomi fest, bis draußen alles still wurde.
Das Schweigen, das folgte, war schwer. Buzz war fort, der Van verschwunden, das Echo der Tür hallte in seinen Ohren. Anthony setzte sich mit Naomi auf den Schoß und starrte auf die Beutel. Er dachte daran, die Polizei zu rufen – doch die Vorstellung von Berichten, Erklärungen und Verzögerungen ließ ihn zögern. Er brauchte Antworten. Schnell.
In seinem Kopf tauchte ein Name auf: Dr. Hannah Price. Eine alte Kameradin, Toxikologin, präzise und unerschütterlich. Wenn jemand die Wahrheit finden konnte, dann sie.
Er legte Naomi auf die Couch, deckte sie zu, nahm die Beutel, steckte sie in einen Umschlag und verließ das Haus. Die Straßen von Willowbend lagen still. Der Umschlag auf dem Beifahrersitz fühlte sich schwer an – schwer vor Fragen.
Die kleine Klinik lag außerhalb der Stadt, zwischen einem geschlossenen Baumarkt und einer Werkstatt. Kein Schild, nur eine verblasste Namensplakette: Dr. Hannah Price, DVM, Toxicology and Pathology.
Er trat ein, der Geruch von Desinfektionsmittel und Papier in der Luft. Hannah erschien, bevor er ihren Namen rufen konnte. Silberne Strähnen zogen sich durch ihr dunkles Haar, aber die Augen waren wach wie immer.
„Anthony Cole,“ sagte sie mit einem leichten Lächeln. „Ich habe mich gefragt, wann einer von euch Geistern wieder auftauchen würde.“
„Ich brauche deine Hilfe,“ erwiderte er leise.
Das Lächeln verschwand. „Komm.“
Im Labor legte er den Umschlag auf den Tisch. „Das stammt aus Naomis Frühstück. Etwas stimmt nicht.“
Hannah zog Handschuhe an, öffnete den Beutel mit dem Löffel, schnupperte und runzelte die Stirn. „Das riecht nicht nach Haferbrei.“
„Ich dachte es mir“, sagte Anthony tonlos.
Sie öffnete die Probe mit dem Brei, sog den Geruch ein, schüttelte den Kopf. „Das ist nicht normal. Es hat einen chemischen Unterton – nicht lebensmittelbasiert.“
Anthony spürte, wie ihm der Magen umdrehte. „Buzz wusste es. Er reagierte, bevor ich etwas sah.“
„Dann warst du klug, hierherzukommen. Wenn das ist, was ich denke, darf das nicht im System landen.“
„Kannst du heute Nacht noch testen?“
„Ja. Kein Bericht, keine Spur. Ich mache eine Gaschromatografie – wenn es Gift ist, sehe ich es.“
„Wenn es Gift ist,“ wiederholte Anthony leise.
„Dann hat dein Hund nicht ohne Grund gebissen. Er hat etwas gestoppt, bevor es deine Tochter erreichte.“
Die Worte trafen ihn tief. Buzz hatte sie gerettet. Hannah versprach, ihn zu rufen, sobald sie Ergebnisse hatte.
Gegen Mitternacht klingelte das Telefon. Hannahs Stimme war ruhig, aber ernst.
„Anthony, ich habe zweimal getestet. Der Haferbrei enthielt Spuren von Ethylenglykol.“
Das Blut in seinen Adern fror. „Frostschutzmittel“, flüsterte er.
„Ja. Schon kleine Mengen können Nierenschäden verursachen, besonders bei Kindern.“
Anthony lehnte sich gegen die Wand, das Handy in der Faust. Er hatte Bomben überlebt, Angriffe – aber nichts wie das.
„Er hat sie gerettet,“ hauchte er.
„Das war Absicht, Anthony. Ethylenglykol landet nicht zufällig im Haferbrei.“
Sein Griff verhärtete sich. „Sophie… sie hat Naomi gefüttert.“
„Ich kann niemanden beschuldigen,“ sagte Hannah, „aber das war gezielt.“
Anthony sah zu Naomi, schlafend, ahnungslos. „Danke,“ sagte er leise.
„Sei vorsichtig. Du brauchst mehr als einen Bericht. Du brauchst Beweise.“
Er zog den USB-Stick der Nanny-Cam heraus und sah sich die Aufnahmen an.
7:38 Uhr – Sophie beugt sich über die Schüssel, etwas glitzert in ihrer Hand. Ein kleines Fläschchen. Sie gießt eine Flüssigkeit hinein, rührt, lächelt Naomi an.
Anthony stoppte das Video. Seine Fäuste ballten sich. Buzz hatte es gesehen. Er hatte gehandelt, als der Löffel Naomis Mund erreichte.
Er machte Screenshots, speicherte sie, atmete schwer. Buzz war unschuldig. Sophie war nicht.
Anthony brachte die Beweise zur Polizei – zu Detective Erica Dunn, einer alten Kollegin.
Sie sah sich das Video an, die Augen schmal. „Wenn das stimmt, ist das versuchter Mord an einem Kind.“
„Ich will nur, dass meine Tochter sicher ist – und dass Buzz freikommt.“
„Ich glaube dir. Aber Prozeduren dauern. Der Hund bleibt unter Beobachtung, bis wir es beweisen können.“
Am nächsten Tag brachte Anthony Naomi zum Arzt. Tests bestätigten die Vergiftung – leichte Nierenschäden, aber keine bleibenden. Wäre es weitergegangen, hätte sie sterben können.
Die Schuld lastete schwer auf ihm. Er hatte Sophie vertraut.
Zu Hause durchsuchte er schließlich Sophies Tasche – und fand ein Notizbuch. Die Seiten voller verstörter Sätze: Das Kind ist rein. Ich werde es besser machen. Der Hund beobachtet. Er darf nicht stören.
Dann Zeichnungen – Naomi, der Hund, durchgestrichene Gesichter.
Zwischen den Seiten ein Zeitungsausschnitt: Mutter wegen Kindesvernachlässigung verurteilt.
Das Foto darunter: Sophie.
Anthony ließ das Buch sinken. Alles fiel zusammen – das Gift, der Angriff, die Lügen. Buzz hatte Naomi gerettet, und nun würde Anthony alles tun, um ihn zu befreien.
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