In der eisigen Februarnacht 1947 fand die Dresdenner Polizei in einer verlassenen Hütte am Waldrand 17 menschliche Zähne in einem verrosteten Marmeladenglas. Die Zähne gehörten mindestens vier verschiedenen Personen. Heinrich Schneider, der 52-jährige Bäckermeister mit den zitternden Händen, hatte seine Familie nach der Bombardierung Dresdens in die abgelegene Hütte am Rande der Dresner Heide geführt.
Wie viele Nachbarn verschwanden wirklich, bevor jemand Fragen stellte. Die fünf Kinder Klaus, Greta, Wilhelm, Anna und die kleine Liesel alterten zwischen und Jahren. Ihre Gesichter waren eingefallen wie alte Äpfel. In seinem ledrigen Notizbuch standen exakte Zahlen. 3 Pfund getrocknete Rüben, sieben Konservendosen, 4 kg Haferflocken.

Die Bäckerei in der Dresner Altstadt lag unter Trümmern begraben. Er betete jeden Abend vor dem Holzkreuz an der Hüttenwand. Seine Bibel hatte Wasserschäden von der Flucht aus der zerbombten Stadt. Wilhelm der zweitälteste erkundete täglich die Umgebung auf der Suche nach essbaren Wurzeln oder kleinen Tieren.
Die Luft in der Hütte roch nach Holzrauch und Verzweiflung. Möller trug immer seine goldene Taschenuhr mit der eingravierten Jahreszahl 1890. Seine Güte war ein Lichtblick in den dunklen Wintertagen der Familie. Wilhelm entdeckte seltsame Fleischvorräte in Müllers Speisekammer. Das Fleisch war frisch, dunkelrot, in ordentliche Stücke geschnitten.
Heinrich fragte nicht nach der Herkunft. Martha bereitete schweigend das erste richtige Mal seit Wochen zu. Ihre Wangen bekamen wieder Farbe. Selbst Martha begann nach der Mahlzeit wieder zu sprechen. Sie murmelte Dankgebete und lobte den Geschmack des Unbekannten Fleisches. Heinrich notierte in seinem Buch: “Fleischvorrat gefunden, reicht für 10 Tage.
Die Familie brauchte das Fleisch zu dringend. Seine theologischen Studien hatten ihn gelehrt, gut und böse zu unterscheiden, aber der Hunger war stärker als sein Gewissen. Lisel brachte die Uhr zu ihrem Vater, voller Stolz über ihren Fund. Heinrich erkannte Müllers Uhr sofort. Seine Hände zitterten noch mehr, als er das kalte Metall berührte.
Sie steckte sie in ihre Schürze und befahl Liesel niemandem von dem Fund zu erzählen. Die Mutter hatte wieder ihre Führungsrolle übernommen. Heinrich war zu schwach geworden, die Familie zu leiten. Martha organisierte nun die täglichen Überlebensaufgaben mit militärischer Präzision. Wilhelm entdeckte einen alten Bergwerksstollen eine halbe Stunde Fußmarsch von ihrer Hütte entfernt.
Der Stollen war tief und dunkel, boter Schutz vor neugierigen Blicken. Wilhelm schlug vor, dort Vorräte zu lagern. Martha stimmte sofort zu. Sie begannen, das verbliebene Fleisch in dem kühlen Stollen zu konservieren. Gespannte Drahtseile zwischen den Bäumen sollten Eindringlinge fernhalten. Scharfe Holzpfehle lagen getahnt unter Laub.
Heinrich log geschickt, behauptete, Müller sei nach Süden gezogen. Frau Weber erwähnte, dass bereits sechs Personen aus der Gegend verschwunden sein. Heinrich nickte mitfühlend und bot den Webers etwas zu essen an. Herr Weber lobte den außergewöhnlichen Geschmack. Seine Frau aß nur wenige Löffel und schob den Teller zur Seite.
Sie sagte, das Fleisch erinnere sie an etwas, was sie nicht benennen konnte. Die Webers verließen die Hütte früher als geplant. Anna, die zweitjüngste Tochter, erkundete den Bergwerksstollen genauer. Sie fand dort Gegenstände, die eindeutig verschiedenen Personen gehört hatten. Ein Rosenkranz, ein Ehering, eine zerbrochene Brille mit dicken Gläsern.
Anna konnte noch nicht verstehen, was diese Dinge bedeuteten, aber ihre Albträume wurden schlimmer. Sie hatten niemanden getötet, nur das Verwertbare genutzt. Klaus übergab sich vor Entsetzen. Sie hatte bereits vor Heinrichs erstem Fund gewusst, was sie taten. Sie hatte die Pläne dafür geschmiedet.
Martha hatte sogar den ersten Schritt getan. Sie hatte Förster Müller das vergiftete Brot gebracht. Die Frau, die ihm Moral und christliche Werte beigebracht hatte, war zur Mörderin geworden. Klaus übernahm notgedrungen die Führung der Familie. Er mußte zwischen seinem Gewissen und dem Überleben seiner jüngeren Geschwister wählen.
Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern. Wilhelm entdeckte bei seinen Erkundungen Spuren anderer Familien, die zu ähnlichen Verzweiflungstaten gegriffen hatten. Verlassene Hütten mit verräterischen Knochenresten, versteckte Gruben mit menschlichen Überresten. Das Schneidergrauen war kein Einzelfall. Der Hunger hatte ganze Gemeinden zu Kannibalen gemacht.
Greta erkannte, dass es Alternativen gegeben hätte. Die Schuld zerfraß ihr Gewissen wie Säure. Kellner dokumentierte alternative Überlebensstrategien: Tauschhandel mit amerikanischen Soldaten, essbare Wildpflanzen, Fischfang in versteckten Teichen. Die Schneiders hätten andere Wege gehabt. Sie erinnerte sich an den ungewöhnlichen Geschmack, an Mart seltsames Lächeln beim Kochen, an die Art, wie Heinrich bestimmte Fleischstücke ausgewählt hatte.
Annas kindliche Erinnerungen bewiesen, dass der Abstieg früher begonnen hatte, als alle dachten. Im Herbst 1948 eskalierten die Ereignisse dramatisch. Martha brach unter der psychischen Belastung zusammen. Sie stammelte zusammenhängende Bekenntnisse über sieben Morde. Sieben Menschen hatte die Familie Schneider getötet und verspeist. Die Zahl war höher, als Klausier vermutet hatte.
Heinrich plante die Familie tiefer in den Wald zu führen. Weg von der Zivilisation. Sie teilten die Dresner Heide in Suchquadrate auf. Jede Hütte, jeder Stollen würde durchsucht werden. Ihre kindliche Güte wurde zum Instrument des Untergangs. Klaus sah die Soldaten durch die Bäume nähern. Sergeant Murphy fand im Bergwerkstollen die 17 menschlichen Zähne in dem verrosteten Marmeladenglas.
Dazu Kleidungsstücke von neun verschiedenen Opfern. Heinrichs akribische Aufzeichnungen dokumentierten jeden Mord detail genau. Captain Robert Shaw von der US-Mitärpolizei leitete die Ermittlungen. Shaw hatte bereits Konzentrationslager befreit und Kriegsverbrechen untersucht. Aber die methodische Grausamkeit der Familie Schneider übertraf alles, was er bisher gesehen hatte.
Diese Menschen waren keine verzweifelten Überlebenden, notierte Shan. Sie waren kaltblütige Killer geworden. Rippen hingen wie Fleischerhaken von der Decke. Heinrich hatte sogar Lampenschirme aus menschlicher Haut gefertigt. Die Hütte war ein Museum des Horrors. Franz Weber, ein junger Flüchtling aus Schlesien, die alte Lehrerin Emma Schulz, der Wanderarbeiter Otto Braun, die gesamte vierköpfige Familie Hoffmann aus einem Nachbardorf.