
” Kein Muskel in seinem Gesicht verriet die Wahrheit. Die Männer nickten, einige aus Angst, andere aus unbegreiflicher Neugier. Elisabeth beobachtete alles aus dem Fenster des großen Hauses. Ihr Herz raste, während sie die Gestalten im Nebel sah. Ihr Ehemann hatte aus ihrem Gebet eine Hölle gemacht. Am selben Abend legte Georg die Regeln fest.
Jeder Mann sollte an einem bestimmten Wochentag erscheinen, stets zurelben Stunde, niemals ohne Aufsicht. Johann am Montag, Matthias am Dienstag, Lukas am Mittwoch, Karl am Donnerstag, Peter am Freitag, Franz am Samstag und Anton am Sonntag. Jeder, der das Schweigen brach, würde bestraft. Doch Georg versprach auch Belohnung, besseres Essen, saubere Kleidung, weniger Arbeit und falls ein Kind geboren würde, die Freiheit.
Diese letzte Verheißung ließ Hoffnung aufblitzen in den Augen der Männer, die sonst nichts besaßen, außer ihren Händen. Elisabeth, gezwungen in die Rolle einer Heiligen und Sünderin zugleich, schwieg. Sie hatte keinen Ausweg. Im April begann das Ritual. Der erste war Johann Bauer. An jenem Montag regnete es.
Die Tropfen prasselten auf das Dach, als wollte der Himmel selbst protestieren. Georg stand draußen vor der Tür, rauchte eine Zigarre und sah auf seine Uhr. Drinnen saß Elisabeth auf einem schlichten Bett, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen. Sie roch nach Lavendel und kaltem Schweiß. Als Johann eintrat, verbeugte er sich unbeholfen. Sie sagte kein Wort, eher ebenso wenig.
Alles dauerte kaumzeig Minuten. Danach ging Johann hinaus, bleich und still, während Georg nur nickte, ohne ein Wort. Die folgenden Tage wiederholten das gleiche grausame Muster. Matthias zitterte so stark, dass er kaum stehen konnte. Lukas, der Schreiner, sprach ein Gebet, bevor er die Tür öffnete.
Karl sah Elisabeth nicht einmal an. Peter brachte ihr eine kleine Blume aus dem Garten, legte sie schweigend auf den Tisch. Es war der erste Akt von Menschlichkeit in diesem kalten Plan. Elisabeth bewahrte die Blume, trocknete sie heimlich zwischen den Seiten eines Gebetbuchs. So begann ein Monat, der den Freiherrn von Hohenfeld unsterblich machen sollte, aber nicht so, wie er hoffte. Der Mai brachte keine Ruhe auf das gut hohen Feld.
Die Sonne wärmte die Hügel und der Duft von Heu lag in der Luft, doch über dem Haus lastete eine unsichtbare Dunkelheit. Elisabeth bewegte sich wie ein Schatten durch die Räume. Ihre Augen waren leer, ihre Stimme brüchig. Die Bediensteten flüsterten sie sei krank vom langen Fasten, denn oft verschwand sie in die kleine Kapelle des Hauses und blieb dort stundenlang auf den Knien.
Niemand wagte zu fragen, warum der Freiherr nun täglich das kleine Holzhaus hinter der Scheune besuchte. Er nannte es seine Werkstatt der Hoffnung. Der Arzt Dr. Heinrich Auer kam regelmäßig vorbei, ohne zu ahnen, was er indirekt ermöglicht hatte. Georg nannte die Untersuchung präventivmedizinische Kontrollen, doch sie dienten nur dazu, die körperliche Eignung der Knechte zu bestätigen. Im Innern des Freiherrn tobte ein Sturm. Er betete nicht mehr.
Er dachte nur an das Ziel. Ein Kind, einen Erben, einen Namen, der nicht sterben durfte. Elisabeth dagegen betete um Erlösung und manchmal, wenn sie allein war, sprach sie leise zu den Engeln. Ihr Blick wanderte dann zu dem kleinen Fenster der Werkstatt, das man von der Küche aus sehen konnte.
Sie wußte, wann dort Licht brannte und jedes Mal fühlte sie, wie etwas in ihr starb. Der Mai wurde zum Monat der Wiederholung. Tag für Tag, Woche für Woche kamen die Männer einzeln, schweigend und ging ebenso schweigend. Der Freiherr führte Buch über jeden Besuch, als handle es sich um einen wissenschaftlichen Versuch.
Einmal notierte er: “Dienstag, Matthias, gesund, ruhig, gehorsam, keine Auffälligkeiten. Ein anderes Mal schrieb er: “Freitag Peter” brachte Blume, unzulässig, aber geduldet. Elisabeth las diese Aufzeichnungen später heimlich, als er sie auf dem Schreibtisch liegen ließ. Jede Zeile schnitt tiefer als ein Messer.
Am Mai geschah etwas Unerwartetes. Franz Maurer, der Stallaufseher, weigerte sich, an seinem zugewiesenen Samstag das Haus zu betreten. Er stand draußen, die Mütze in der Hand und sagte mit zitternder Stimme: “Herr, ich kann das nicht mehr tun. Es ist gegen Gott, gegen alles, was recht ist.” Georgs Gesicht verfärbte sich. Seine Stimme wurde hart.
Du wirst tun, was ich dir befehle. Du gehörst mir. Dein Glaube hat hier keinen Platz. Franz kniete nieder und begann laut das Vater unser zu sprechen. Die Knechte, die zufällig in der Nähe waren, hörten es und blickten verstohlen hinüber. Georg trat vor ihn, hob den Stock, doch in diesem Moment erschien Elisabeth in der Tür.
Sie sah die Szene und rief: “Lass ihn, bitte. Er ist nur ein Mensch, kein Werkzeug. Es war das erste Mal, daß sie sich seit Beginn des Abkommens widersetzte. Georg senkte langsam den Arm. Sein Blick blieb kalt. “Dann soll er gehen”, sagte er schließlich. Am nächsten Tag schickte er Fransfort offiziell, um die Aufsicht über ein entferntes Nebengut zu übernehmen.
In Wahrheit sollte er verschwinden, bevor jemand zu viel verstand. Der Sonntag blieb leer. Niemand kam. Elisabeth saß allein in der kleinen Hütte, hörte die Glocken von St. Georg Leuten und fragte sich, ob ihre Seele noch zu retten war. Georg beobachtete sie heimlich aus der Ferne. In seinem Tagebuch notierte er: “Franz versetzt. Der Plan bleibt bestehen.
Ergebnisse abwarten. Der Sommer stand vor der Tür und in den Nächten konnte man das Zirpen der Grillen hören. Doch für die Bewohner des Gutes war die Welt stumm geworden. Nur die Uhr im Salon schlug unaufhörlich die Stunden, als wollte sie die Schuld messen, die über das Haus hohenfeld hereingebrochen war.
Im Juni des Jahres 1864 begann die Luft schwer zu werden. Ein feuchter, warmer Wind zog über die Wiesen und die Hitze legte sich wie ein Schleier auf das Land. Auf dem guthohen Feld herrschte eine unnatürliche Stille. Die Knechte arbeiteten mit gesenkten Köpfen. Die Dienstmädchen wagten kaum zu sprechen. Niemand wusste genau, was sich zwischen dem Freiherrn und seiner Frau abspielte.
Doch jeder spürte, daß das Haus von einer dunklen Macht beherrscht wurde. Elisabeth hatte sich verändert. Ihre Gestalt war blasser geworden, ihre Bewegungen langsamer. Oft saß sie im Garten auf der Steinbank, die Hände im Schoß und starrte auf die Lindenallee, wo das Licht durch die Blätter fiel. An manchen Tagen summte sie leise Kirchenlieder, als wolle sie sich selbst daran erinnern, dass sie noch lebte.
Georg beobachtete sie aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Er war zufrieden, aber auch rastlos. Er hatte das Gefühl, die Zeit arbeite gegen ihn. Wenn Elisabeth nicht bald schwanger würde, drohte sein Plan zu scheitern. Der Arzt kam häufiger vorbei, brachte Kräuter, Toniker, Empfallspaziergänge. Niemand ahnte, dass hinter den verschlossenen Türen der Werkstatt der Hoffnung weiterhin die heimlichen Treffen stattfanden.
Matthias, der Pferdeknecht, war nun zweimal wöchentlich eingeteilt, weil Georg glaubte, er sei vielversprechend. Elisabeth ertrug es schweigend, mit dem Gesicht zur Wand gewandt, die Lippen zu einem stummen Gebet geformt. Eines Tages brachte Peter Schenk, der Gärtner, ihr wieder eine kleine Gabe. Diesmal ein zwei Großmarin. “Für die Seele, gnädige Frau”, flüsterte er. Sie nahm ihn entgegen und in diesem Augenblick trafen sich ihre Blicke.
Zum ersten Mal seit Wochen spürte Elisabeth so etwas wie menschliche Wärme. Als er ging, drückte sie den Zweig an die Brust. Georg beobachtete sie von weitem. Etwas in ihm regte sich. nicht Eifersucht, sondern Mistrauen. In jener Nacht schrieb er in sein Notizbuch Peter zu freundlich, beobachten. Der Sommer brachte auch Gewitter.
In einer Nacht Ende Juni, als die Donnerschläge über das Tal rollten, wachte Elisabeth schweißgebadet auf. Sie glaubte, Stimmen zu hören, das Flüstern der Knechte, das Klirren von Ketten, das Weinen eines Kindes. Sie stand auf, ging barfuß durch den Flur und sah, dass das Licht in der Werkstatt noch brannte.
Georg saß dort allein, die Stirn auf die Hände gestützt, das schwarze Buch vor sich, der Regen prasselte gegen die Fenster und er murmelte unverständliche Worte. Elisabeth blieb im Schatten stehen, wagte nicht, ihn anzusprechen. In diesem Moment erkannte sie, daß ihr Mann den Verstand verloren hatte. Am nächsten Morgen sprach sie ihn nicht darauf an. Er schien ruhig, fast heiter, als wäre nichts geschehen.
Doch seine Augen hatten denselben starren Glanz wie der von Männern, die zu lange in die Dunkelheit geschaut hatten. Im Juli bemerkte sie zum ersten Mal Veränderungen in ihrem Körper. Übelkeit am Morgen, bleiernde Müdigkeit, ein kaum wahrnehmbares Ziehen im Unterleib.