
Sie wagte nicht darüber zu sprechen, doch ihr Blick verriet Hoffnung und Angst zugleich. Als der Arzt sie untersuchte, bestätigte er nach kurzem Zögern: “Gnädige Frau, ich gratuliere. Es scheint, als habe der Himmel ihnen endlich ein Kind geschenkt. Georg stand daneben und in seinen Augen blitzte ein Triumph auf, den er kaum verbergen konnte. Er griff nach Elisabeths Hand, doch sie entzog sie ihm.
In jener Geste lag alles, Scham, Schmerz und stille Verachtung. Der Arzt bemerkte nichts, sprach noch über Kräuter und Schonung und ging. Erst als die Tür sich schloss, sagte Georg leise: “Gott hat uns erhört.” Elisabeth antwortete nicht. Sie sah zum Fenster hinaus, wo das Licht des Nachmittags auf die Felder fiel und dachte: “Nein, nicht Gott, nur du.
” Der Juli verging in einem seltsamen Schwebezustand. Das Guthohnfeld schien nach außen hin wieder in Ordnung. Die Ernte war reichlich, die Scheunen füllten sich und in der Kirche lobte der Pfarrer in seiner Predigt das Gedeihen der christlichen Haushalte. Niemand ahnte, daß sich hinter den Mauern des Herrenhauses ein anderes Drama abspielte.
Elisabeths Schwangerschaft wurde bald sichtbar und das Personal flüsterte heimlich. Der Herr habe endlich Gottes Segen empfangen. Georg ließ Wein ausschenken, blut den Arzt und den Bürgermeister ein, um das Wunder zu feiern. Er sprach von Vorsehung, von göttlicher Gnade, von der Fortsetzung des Namens Hohenfeld. Doch wenn er allein war, laß er heimlich im schwarzen Buch.
Er blätterte zurück zu den Daten der Begegnung, versuchte zu rechnen, zu vergleichen und jedes Mal schloss er das Buch mit zittrigen Händen. Er wusste, er konnte nicht wissen. In seinem Geist begannen Zweifel zu wachsen, wie Efeu an einer Mauer. Elisabeth verbrachte die Tage fast ausschließlich in ihrem Zimmer.
Sie sprach wenig, aß kaum, und wenn sie lächelte, dann nur, wenn sie allein war und das sanfte Schlagen ihres Herzens im Bauch fühlte. Doch in ihren Träumen tauchten die Gesichter der Männer auf, verschwommen, ohne Stimme, aber voller Leid. Manchmal wachte sie mit Tränen auf, flüsterte ein Gebet und schlief wieder ein. Im August wurden die Gewitter häufiger.
Eines Nachts weckte ein Schrei die Bediensteten. Sie rannten in das Herrenhaus, doch Georg ließ niemanden hinein. Als die Haushälterin am Morgen das Zimmer betrat, fand sie die Freifrau bewusstlos, aber lebend. Später erzählte der Arzt, es habe nur ein nächtlicher Schwindel gewesen, eine Folge der Schwangerschaft.
Doch Elisabeth wußte, was sie gehört hatte. Ein Flüstern am Ohr, leise wie Wind, durch eine Kapelle. Dein Kind ist nicht seins. Sie schwieg, doch das Flüstern blieb. Der Freiherr befahl, dass die Knechte das kleine Holzhaus abreißen sollten. “Es hat seinen Zweck erfüllt”, sagte er knapp. Niemand widersprach. Doch bevor die Männer begannen, schlich Peter Schenk, der Gärtner, in der Dämmerung hinein.
Er fand dort das Gebetbuch mit der gepressten Blume und nahm es an sich. Er bewahrte es wie eine Reliquie, ohne zu wissen warum. Im September brachte der Arzt neue Anweisungen. Ruhe, frische Milch, Spaziergänge.
Georg begleitete Elisabeth jeden Nachmittag durch die Obstgärten und die Leute sagten: “Das Paar habe sich wieder versöhnt.” Aber zwischen ihnen lag eine unsichtbare Mauer. Wenn ihre Hände sich zufällig berührten, zuckte Elisabeth zurück. Im Oktober fiel der erste Schnee über die Hügel. Das Haus roch nach Kaminholz und Kräutern. Elisabeths Bauch war nun rund und schwer und der Arzt sagte, das Kind werde im Frühling kommen.
Georg begann das Kinderzimmer vorzubereiten. Er ließ eine Wiege aus Eichenholz anfertigen, reich verziert, mit geschnitzten Lilien und Kreuzen. “Für unseren Erben”, sagte er, als er sie ihr zeigte. Elisabeth antwortete, “Vielleicht ist es eine Tochter.” Er schwieg. In seiner Vorstellung gab es keinen Platz für ein Mädchen. Als der Winter kam, war das gut still.
Nur der Wind sang durch die alten Linden und das Heulen der Wölfe war manchmal in der Ferne zu hören. Elisabeth verbrachte viele Nächte wach, strich über ihren Bauch und flüsterte: “Wer du auch bist, ich werde dich lieben.” Sie wusste, dass sie mit diesem Kind den Preis für alles bezahlen würde. Georg hingegen begann, häufiger Wein zu trinken.
Er sprach in Rätseln, erzählte dem Arzt von Träumen, in denen schwarze Kinder lachten und lachte dann selbst kurz und hart. Dr. Auer schwieg. Er hatte gelernt, keine Fragen zu stellen. Als das Jahr zu Ende ging, lag Schnee über den Feldern. Das gut hohenfeld wirkte friedlich, doch jeder, der an der alten Kapelle vorbeiging, spürte es.
Unter der Erde schlief etwas, das eines Tages aufwachen würde. Der Januar des Jahres 1865 brachte Frost so hart, dass selbst die Dachziegel des Gutshauses Risse bekam. Die Teiche waren zu eiserstarrt und die Knechte hackten täglich Löcher hinein, um das Vieh zu tränken. Das Knirschen des Schnees war das einzige Geräusch auf dem Hof.
Im großen Haus saß Elisabeth am Fenster ihres Schlafzimmers eingehüllt in Decken und sah hinaus auf die weiße Welt. Ihre Hände ruhten auf dem gewölbten Bauch und manchmal summte sie leise eine Melodie aus ihrer Kindheit im Kloster von München. Es war der einzige Trost, der ihr geblieben war. Georg hingegen war wie besessen von der Vorstellung, die Geburt müsse vollkommen verlaufen.
Er hatte die Hebarme aus Augsburg kommen lassen, eine Frau namens Gertrud Stein. Streng, erfahren, schweigsam. Der Arzt Auer kam alle zwei Tage, notierte akribisch den Puls, das Gewicht, die Ernährung. Niemand durfte Fehler machen. Georg schritt durchs Haus wie ein Offizier vor der Schlacht.
Sein Blick war fest, aber in seinen Augen glomm etwas, das an Wahnsinn erinnerte. Eines Abends, während der Wind gegen die Fenster pfiff, wagte Elisabeth eine Frage, die sie lange zurückgehalten hatte. “Georg”, sagte sie mit leiser Stimme. “Wenn das Kind geboren ist, wirst du es lieben, egal wie es aussieht?” Er sah sie lange an, bevor er antwortete. Es wird aussehen wie ich. Sein Ton ließ keinen Zweifel zu.
Sie schwieg. Die Tage vergingen und Elisabeths Zustand verschlechterte sich. Die Nächte wurden von Schmerzen und Fieber unterbrochen. Die Hebame sprach von Wehen vorboten. Doch Elisabeth wusste, dass es mehr war, ein inneres Beben, das aus Angst geboren wurde. Sie träumte von sieben Männern, die um ihr Bett standen, stumm, mit ernsten Gesichtern.
Einer von ihnen, der Gärtner Peter, hielt die gepresste Blume in der Hand und flüsterte: “Erkenne, was du geschaffen hast.” Sie schreckte hoch, schweißgebadet, das Herz raste. Am 15. März, in den frühen Morgenstunden, setzten die Wehen ein. Der Schnee lag noch auf den Feldern, aber in der Ferne hörte man schon das Tropfen des Tauwassers.
Die Geburt dauerte viele Stunden. Gertrud Stein gab Anweisung, der Arzt stand bereit und Georg ging rastlos auf und ab, die Zigarre in der Hand, die er immer wieder anzündete und wieder verlöschen ließ. Kurz nach Mitternacht ertönte ein schwaches Wimmern.
“Ein Mädchen”, sagte die Hebamme, als sie das Neugeborene hob. “Gesund, stark.” Georg trat näher. Im Kerzenschein sah er das Gesicht des Kindes und erstarrte. Die Haut war dunkler, als er erwartet hatte, die Haare leicht gelockt und in den Zügen lag etwas, das ihn an niemanden seiner Familie erinnerte. Er blinzelte, trat einen Schritt zurück, doch niemand sagte etwas.
Der Arzt räusperte sich, die Hebarme hielt den Atem an. Elisabeth streckte die Arme aus. “Gib sie mir”, flüsterte sie. Gertrud legte ihr das Kind in den Arm. Elisabeth küsste es auf die Stirn und begann zu weinen. Leise, erschöpft, aber mit einer Zärtlichkeit, die alles um sie herum verschwinden ließ. Georg stand am Fenster, blickte hinaus in die Nacht.
Draußen fegte der Wind den Schnee über die Felder und in der Ferne läuteten die Glocken von St. Georg. Niemand sprach. Schließlich sagte der Arzt: “Herr Freiherr, ich werde den Namen in die Kirchenbücher eintragen. Wie soll sie heißen?” Georg antwortete mechanisch: “Maria, Maria von Hohenfeld.” Dann verließ er den Raum ohne ein weiteres Wort.
In jener Nacht begann der wahre Zerfall des Hauses, Hohenfeld. Der Frühling des Jahres6 brachte Tauwetter und Vogelgesang, doch im Haus hohenfeld herrschte eine bedrückende Stille. Die Geburt war überstanden. Das Kind lebte, doch niemand wagte darüber zu sprechen. Die Dienerschaft flüsterte hinter verschlossenen Türen.
Sie hatten die Kleine gesehen mit ihrer leicht dunkleren Haut und den schwarzen Locken, die wie eine Frage an Gott selbst wirkten. Elisabeth nannte sie Maria und hielt sie fast ununterbrochen im Arm. Für sie war das Kind Segen und Erlösung zugleich, der Beweis, daß in der Hölle, die ihr Mann geschaffen hatte, noch Liebe wachsen konnte. Georg hingegen sprach kaum.
Er sah das Kind selten an und wenn, dann nur mit einem flüchtigen prüfenden Blick. In seinem Inneren kämpften zwei Stimmen. Die eine sagte: “Das sei sein Erbe, sein Blut, sein Sieg über das Schicksal.” Die andere flüsterte, dass das Gesicht des Kindes ihn verriet. Der Arzt, Dr. Auer, hatte das gleiche bemerkt, doch er schwieg.
In seinen Notizen stand nur: “Mutter gesund, Kind kräftig, Vater nervös.” Die Hebammer hatte das Gut längst verlassen und die Spuren jener Nacht schienen beseitigt. Doch in den Augen der Bediensteten lag etwas Neues, Furcht, nicht vor Strafe, sondern vor Schicksal. Im Maiut Georg die Nachbarn zu einem Taufest ein. Die Kirche von St. Georg war festlich geschmückt.
Der Pfarrer sprach über göttliche Prüfung und das Taufwasser glitzerte im Sonnenlicht. Elisabeth hielt das Kind in weißen Tüchern, während Georg daneben stand, den Blick starr nach vorne gerichtet. Als der Pfarrer fragte, ob er das Kind als sein eigenes anerkenne, nickte Georg knapp. Ein leises Murmeln ging durch die Gemeinde.
Danach, beim Empfang im Herrenhaus, versuchten die Gäste unauffällig das Kind zu betrachten. Eine ältere Dame, die Frau des Richters, flüsterte, ein hübsches Mädchen, aber das Haar, erinnert an südliche Länder. Georg hörte es. Er lächelte, doch seine Hand umklammerte das Glas so fest, dass es beinahe zerbrach. In den folgenden Wochen wuchs Maria heran.
Sie war still, aufmerksam, mit großen dunklen Augen, die alles zu sehen schien. Elisabeth sang ihr Schlaflieder aus ihrer Klosterzeit vor und erzählte ihr Geschichten von Engeln und Erlösung. Manchmal, wenn Georg das hörte, stand er in der Tür, rauchte und sagte nichts. Sein Blick war leer. In der Nacht trank er Wein und blätterte in seinem schwarzen Buch.
Er suchte nach Mustern, Zeichen, Beweisen, irgendetwas, das ihm sagen konnte, welcher der sieben Männer es gewesen war. Aber jede Seite war nur eine Erinnerung an seine eigene Schuld. Im Sommer kam Peter Schenk, der Gärtner, einmal zu Elisabeth, um Kräuter für ein Bad zu bringen. Sie sah ihn zum ersten Mal seit der Geburt. Zwischen ihnen lag eine unausgesprochene Wahrheit. Peter sagte leise: “Sie ist schön.
Gnädige Frau. Elisabeth nickte und antwortete: “Ja, und sie wird frei sein.” Es war das einzige Mal, dass sie miteinander über das Kind sprachen. Doch Georg hatte die Begegnung gesehen. In der Nacht stellte er Peter zur Rede. “Was hast du zu meiner Frau gesagt?”, fragte er, die Stimme eisig.
Peter erwiderte ruhig, nur, dass das Kind schön ist. Georg schlug ihn. Einmal hart, dann noch einmal. “Du wirst schweigen”, zischte er. Peter wischte sich das Blut von der Lippe, sah ihm in die Augen und sagte: “Ich habe geschwiegen, Herr, aber Gott nicht.” Am nächsten Morgen war Peter verschwunden.