Hexenwahn, Ritual oder eiskalter Mord? Der unheimliche Fall Charles Walton
Am Valentinstag 1945 ereignete sich in einem kleinen, unscheinbaren Dorf im Herzen Englands ein Verbrechen, das bis heute Ermittler, Historiker und Verschwörungstheoretiker gleichermaßen beschäftigt. Der Name des Opfers: Charles Walton. Ein alter Landarbeiter, zurückgezogen, harmlos – und doch in den Augen vieler Dorfbewohner eine Gestalt, um die sich düstere Gerüchte rankten. War er ein einfacher Mann, der zur falschen Zeit am falschen Ort war? Oder ein Hexer, der einem uralten Aberglauben zum Opfer fiel?
Ein stilles Dorf – ein grausamer Mord
Lower Quinton, in der Grafschaft Warwickshire, ist ein Ort, der auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches bietet. Nur wenige Straßen, Felder, kleine Cottages – und das Gefühl, dass die Zeit dort langsamer vergeht. Doch am 14. Februar 1945 veränderte sich alles. Charles Walton, 74 Jahre alt, kehrte an diesem Tag nicht wie gewohnt von seiner Arbeit zurück. Seine Nichte Edith, mit der er lebte, schlug Alarm. Gemeinsam mit Nachbarn begab sie sich auf die Suche – und entdeckte schließlich am Rande eines Feldes eine Szene, die jedem Kriminalroman entsprungen sein könnte.
Waltons Leiche war auf grausamste Weise zugerichtet. Mit seiner eigenen Mistgabel aufgespießt, mit einer Sense durch den Hals gestoßen und mit Zeichen versehen, die viele für Symbole hielten. Auf seiner Brust soll ein Kreuz eingeritzt gewesen sein. Die Brutalität ließ selbst erfahrene Ermittler erstarren.
Die erste Spur: ein Raub?
Zunächst lag die Vermutung nahe, dass Walton Opfer eines Raubmords geworden war. Seine Taschenuhr war verschwunden. Doch schnell stellten die Ermittler fest: Abgesehen von dieser Uhr gab es keine Wertgegenstände bei ihm, die den brutalen Mord erklären konnten. War es wirklich wahrscheinlich, dass jemand für eine einfache Uhr ein solches Blutbad anrichtete?
Die zweite Spur: ein Fremder aus dem Kriegsgefangenenlager?
Die 1940er Jahre: Großbritannien war noch mitten im Krieg. In der Nähe von Quinton befand sich ein Lager für italienische Kriegsgefangene. Bald entstand das Gerücht, ein entflohener Gefangener könne der Täter sein. Italiener galten damals in der Bevölkerung oft als Feinde – und so war es für viele Dorfbewohner leichter, einem Fremden die Schuld zu geben, als sich mit der Vorstellung auseinanderzusetzen, der Mörder könnte aus den eigenen Reihen stammen. Doch konkrete Beweise dafür gab es nie.
Die dritte Spur: Hexerei und Aberglaube
Schon bald tauchte ein noch unheimlicheres Motiv auf: Hexerei. Charles Walton, so erzählten einige Dorfbewohner, habe eine merkwürdige Nähe zu Tieren gehabt. Hunde seien still geworden, wenn er sprach, Vögel hätten ihm aus der Hand gefressen, Frösche habe er wie Haustiere gehalten. In einem ländlichen England, in dem alte Mythen und Aberglauben noch lebendig waren, reichte das aus, um Verdacht zu wecken.
Ein altes Buch über Volksglauben in Warwickshire brachte die Ermittlungen auf eine neue Ebene. Darin war von einem Jungen namens Charles Walton die Rede, der Jahrzehnte zuvor Visionen eines schwarzen Hundes gehabt haben soll – ein Omen des Todes. War dieser Junge derselbe Walton, der nun tot auf dem Feld lag? Viele im Dorf begannen, genau das zu glauben.
Der Ermittler und seine unheimlichen Erlebnisse
Scotland-Yard-Ermittler Robert Fabian wurde nach Quinton geschickt, um den Mord aufzuklären. Doch er selbst gab später an, während seiner Nachforschungen mehrfach von schwarzen Hunden verfolgt worden zu sein – ein Detail, das den Mythos um den Fall nur noch nährte. Fabian selbst sprach später vom „Hexenmord“.
Parallelen zu einem Mord an einer alten Frau
Noch merkwürdiger wurde der Fall, als Historiker auf eine Parallele stießen: Siebzig Jahre zuvor war in der Region eine alte Frau namens Ann Tennant ebenfalls mit einer Mistgabel getötet worden. Auch damals war das Motiv angeblich Hexerei. War Waltons Tod eine makabre Wiederholung der Geschichte? Oder hatte jemand gezielt dieses Bild geschaffen, um Angst und Legenden zu nähren?
Der Hauptverdächtige: Alfred Potter
So mysteriös all diese Theorien sind – die Polizei konzentrierte sich bald auf einen Mann: Alfred Potter, Waltons Arbeitgeber. Potter hatte widersprüchliche Aussagen gemacht. Mal behauptete er, Walton zur Mittagszeit gesehen zu haben, mal nicht. Er sprach von einer Kuh, die angeblich an diesem Tag seine Hilfe gebraucht habe – doch die Zeitangaben passten nicht zusammen. Manche glauben bis heute, Potter habe etwas vertuschen wollen. Doch ein klares Motiv wurde nie gefunden, und Beweise gab es ebenfalls nicht.
Der Fund der Taschenuhr
Jahre später tauchte Waltons verschwundene Taschenuhr plötzlich wieder auf – bei Renovierungsarbeiten in seinem eigenen Cottage. Hatte der Mörder sie dort versteckt? Oder war sie einfach übersehen worden? Dieser Fund gab neuen Stoff für Spekulationen, aber keine klaren Antworten.
Ein ungelöstes Rätsel
Der Mord an Charles Walton bleibt bis heute ungelöst. War es ein Raub, ein persönlicher Streit, ein Opfer von Kriegswirren – oder ein Ritualmord, geboren aus Angst vor Hexerei? Keine Theorie konnte je bestätigt werden. Der Fall ist ein Mosaik aus Indizien, Gerüchten und Legenden.
Der Mythos lebt weiter
Bis heute fasziniert der Fall Charles Walton Menschen auf der ganzen Welt. Bücher, Artikel, Fernsehdokumentationen – alle versuchen, das Rätsel zu lösen. Vielleicht war Walton ein unschuldiger alter Mann, der Opfer eines brutalen Mörders wurde. Vielleicht aber auch die Verkörperung einer alten Angst, die tief in der englischen Folklore verwurzelt ist.
Und so bleibt die Frage offen: Wurde Charles Walton wirklich von einem Menschen ermordet – oder war es ein Akt, geboren aus Aberglauben, Hexenwahn und uralten Ritualen?