Der Albtraum von Windsor: Zerquetschter Bleisarg und ein viertes Skelett – Das ungelöste Geheimnis in Heinrich VIII. verbotenem Grab

Article: Die Geschichte präsentiert uns König Heinrich VIII. als machtvollen, selbstbewussten Herrscher. Doch sein Ende war alles andere als königlich. Als die Gruft des Königs in der St.-Georgs-Kapelle in Windsor im Jahr 1813 geöffnet wurde, offenbarte sich den Zeugen kein Bild der Würde, sondern der Anblick eines makabren Kriminalfalls. Der schwer beschädigte Sarg des Königs erzählte eine düstere Geschichte von Verfall, Unglück und einem ungeklärten vierten Toten, der bis heute Historiker fassungslos zurücklässt.
Das 300-Pfund-Problem und die Bleisarg-Zeitbombe
In seinen letzten Lebensjahren war Heinrich VIII. ein Gefangener seines eigenen Körpers. Zeitgenössische Berichte sprechen von einem Gewicht von fast 400 Pfund und entsetzlichen, offenen Beingeschwüren, deren Gestank den königlichen Gemächern vorauslief. Als er im Januar 1547 starb, befand sich sein Körper bereits in einem fortgeschrittenen Zustand des Verfalls.
Die Einbalsamierer sahen sich einer aussichtslosen Aufgabe gegenüber. Sie verschlossen den gigantischen Leichnam in einem enormen Bleisarg. Weil Blei luftdicht abschließt, wurde dieser Behälter jedoch zu einer Zeitbombe. Der Verfall des Körpers erzeugte große Mengen an Gasen, die sich stauten. Eine berüchtigte Legende besagt, dass der Druck im Sarg auf dem Weg zur Beerdigung so extrem wurde, dass die Nähte des Bleis im Sionkloster aufplatzten und ein Hund die austretenden Flüssigkeiten aufleckte. Unabhängig von dieser Anekdote ist gesichert: Der Sarg war bereits schwer beschädigt, bevor er seinen Bestattungsort erreichte.
Das Grabmal, das nie existierte
Die Grablege in Windsor war niemals als endgültige Ruhestätte geplant. Heinrich VIII. legte man provisorisch neben seiner Lieblingsfrau Jane Seymour ab. Er selbst hatte ein gigantisches Grabmal in Auftrag gegeben, das ursprünglich für Cardinal Wolsey gedacht war. Dieses monumentale Bauwerk sollte unter anderem 145 lebensgroße Bronzestatuen und tonnenschwere Kandelaber enthalten. Doch das Projekt verschlang Unsummen und war bei seinem Tod 1547 bei Weitem nicht vollendet.
Trotz der testamentarischen Anordnung des Königs, das Mausoleum fertigzustellen, verfiel das Projekt. Seine Nachfolger – Eduard VI., Maria I. und Elisabeth I. – sahen keinen Grund, weitere Millionen für die Verherrlichung ihres Vaters auszugeben. Der schwarze Steinsarkophag, den Heinrich für sich selbst nutzen wollte, wurde später verkauft und dient heute als Grabmonument für Admiral Nelson in der St.-Paulskathedrale. Der mächtige König lag indes in einem namenlosen, provisorischen Loch.
Die Nacht des Unglücks: Der Einschlag von Karl I.
Die Ruhe in der Gruft wurde 1649 jäh unterbrochen. Mitten im Winter musste der enthauptete König Karl I. heimlich in derselben Kammer beigesetzt werden. Da man die genaue Lage der königlichen Grabkammern vergessen hatte, suchten Royalisten in einer eisigen Februarnacht den Boden ab und fanden schließlich die Särge von Heinrich und Jane Seymour.
In der Hektik, der Kälte und der Angst, entdeckt zu werden, versuchten die Männer, Karls schweren, bleiverkleideten Sarg in die winzige Kammer hinunterzulassen. Dabei geschah das Unglück: Karls Sarg rutschte ab und schlug seitlich gegen Heinrichs bereits instabilen Sarg. Das geschwächte Blei und die vermoderten Holzbalken gaben nach. Heinrichs Sarg brach zusammen, das Blei riss auf, und der gesamte Inhalt wurde erschüttert. Die Männer versiegelten die Gruft, ohne das Desaster zu beheben, und ließen die zerquetschten Überreste des Tudorkönigs im Dunkeln zurück.
Der Schock von 1813 und der vierte Tote
Mehr als ein Jahrhundert später, im Jahr 1813, wurde die Gruft durch Zufall wiederentdeckt. Prinzregent Georg (der spätere Georg IV.) ordnete die Öffnung und Untersuchung der königlichen Grablege an.
Was er und sein Leibarzt Sir Henry Halford sahen, war ein Albtraum:
-
Heinrichs Sarg: Er war »eingedrückt, aufgerissen, ja regelrecht aufgeplatzt, als hätte eine gewaltige Kraft von innen herausgewütet«. Halford beschrieb ein Chaos aus Knochen, Stoffresten und dunklen Rückständen. Das Skelett war massiv und »deutlich größer als das eines durchschnittlichen Mannes jener Zeit«.
-
Karl I. Sarg: Er war intakt. Die Neugier war so groß, dass der Sarg geöffnet wurde. Zum Vorschein kam das erstaunlich gut erhaltene Gesicht Karls I. – sauber vom Körper abgetrennt. Halford nahm heimlich ein Stück des Halswirbels als makabres Andenken an sich.
Der eigentliche Schock kam jedoch, als die Männer den Boden der Gruft absuchten: Sie entdeckten kleine, lose Knochenfragmente, die über den Boden verstreut lagen und zu keinem der drei offiziell bestatteten Körper (Heinrich VIII., Jane Seymour, und ein Säugling Maria Stuarts) passten. Die Knochen waren zu groß für ein Kind, zu klein für einen ausgewachsenen Mann wie Heinrich.
Die Identität dieses vierten Toten konnte nicht geklärt werden. Theorien reichen von den Überresten eines längst vergessenen Mönchs oder einer Fehlgeburt bis hin zu der Spekulation, es sei jemand gewesen, den man absichtlich an den sichersten und zugleich verborgensten Ort Englands gebracht hatte, um ein dunkles Geheimnis zu versenken.
Die Gruft wurde 1813 wieder versiegelt. Die königliche Familie ließ die Details beschönigt veröffentlichen. Bis heute bleibt der Zugang verschlossen, da die Windsors ihre Toten nicht als »historische Objekte« sehen, die von modernen Wissenschaftlern untersucht werden dürfen. Das Geheimnis des »vierten Gastes« bleibt daher ungelöst und im Dunkeln der Kapelle verborgen.