Der Brückenbauer, der untergehen musste: Wie der technisch brillante VW K70 den Konzern in die Moderne zwang

Article: Der Brückenbauer, der untergehen musste: Wie der technisch brillante VW K70 den Konzern in die Moderne zwang
Das Ende einer Ära: VW in der Sackgasse der Tradition
Es war der 3. Januar 1969. Inmitten der Weihnachtsferien landete ein Leerjet auf den winterlichen Filderhöhen bei Stuttgart. An Bord: Kurt Lotz, der mächtigste Mann der deutschen Automobilindustrie und Generaldirektor von Volkswagen. Sein eigentliches Ziel war der Skiurlaub in Kitzbühel, doch Lotz machte einen entscheidenden Umweg nach Neckarsulm. Dort wartete ein Auto auf ihn, das sein eigener, gigantischer Konzern mit 150.000 Mitarbeitern nicht zustande brachte: ein Wagen mit Frontmotor, Wasserkühlung und Frontantrieb.
Was für jeden anderen europäischen Hersteller zu dieser Zeit – von Opel über Ford bis Fiat – längst der Standard in der Mittelklasse war, war für Volkswagen, den größten Autokonzern Europas, unerreichbar. VW hatte sich über Jahrzehnte in einer technologischen Sackgasse manövriert: der Perfektionierung des Heckmotor-Konzepts. Käfer, Typ 3, 411 – alle waren Variationen desselben Prinzips, das noch aus den 1930er Jahren stammte. Während die Konkurrenz modern gebaute Limousinen verkaufte, bot VW nur den belächelten „Nasenbär“ 411 an, einen aufgeblasenen Käfer mit luftgekühltem Heckmotor. Selbst die Aktionäre äußerten auf Hauptversammlungen ihren Unmut.
Kurt Lotz wusste, dass sein legendärer Vorgänger, Heinrich Nordhoff, bis zu seinem Tod 1968 jede moderne Alternative blockiert und die Heckmotor-Doktrin wie ein Dogma gepredigt hatte. „Der Stern des Käfers leuchtet unvermindert hell“, hatte Nordhoff noch 1967 verkündet, und alle Versuche, Volkswagen mit Frontantrieb in die Zukunft zu führen, waren in den Schubladen der Entwicklungsabteilungen verschwunden. Doch in Neckarsulm stand nun ein Auto, das die gesamte Zukunft des Konzerns neu definieren konnte: der NSU K70.
Ein Wunderkind mit revolutionärer Technik: Die Geburt des K70
Der K70, bei NSU entwickelt, sollte die Lücke zwischen dem Kleinwagen Prinz und dem avantgardistischen Ro 80 mit Wankelmotor füllen. Ingenieur Ewald Praxel entwickelte den Wagen ab 1965, während Klaus Luthe, der Designer, der bereits dem Ro 80 seinen unverwechselbaren Stil verliehen hatte, dem K70 seine sachliche, kantige und perfekt proportionierte Form gab. Mit kurzen Überhängen, großen Fensterflächen und einer klaren Charakterlinie war der K70 pure, unverschnörkelte Funktionalität.
Die inneren Werte waren revolutionär. Unter der Haube arbeitete ein längs eingebauter 1,6-Liter-Vierzylinder-Motor mit 90 PS. Der Motor war schräg nach rechts geneigt über dem Getriebe montiert, eine kompakte Bauweise, die den Innenraum maximierte. Mit einem Radstand von 2,69 Metern erreichte der K70 das Niveau einer Oberklasse-Limousine wie des BMW 3.0S und bot ein gigantisches Kofferraumvolumen von 700 Litern – mehr als ein Opel Diplomat. Technisch setzte er Maßstäbe: Einzelradaufhängung rundum, Scheibenbremsen vorn, innenliegend am Differenzial, Benzintank in geschützter Position, Intervallwischer und Heckscheibenheizung. Der K70 war nicht nur auf der Höhe der Zeit; er war ihr teilweise voraus.
Der Coup von Lotz und der Affront von Genf

Die Premiere des Wunderkindes war für März 1969 auf dem Genfer Autosalon geplant. Pressemappen waren gedruckt, Anzeigen geschaltet, Journalisten eingeladen. Die Fachpresse war bereits euphorisch und titelte über das „Wunderkind mit dem Wundermotor“. Doch NSU war trotz technischer Genialität chronisch klamm. Der komplexe Wankelmotor des Ro 80 hatte Unsummen an Entwicklungsgeldern verschlungen, und der K70 benötigte weitere 30 Millionen Mark – für NSU ein existenzieller Betrag.
Hier schlug die Stunde von Volkswagen. Im Februar 1969, nur wenige Wochen vor Genf, übernahm VW NSU und fusionierte das Unternehmen mit der bereits akquirierten Auto Union zur Audi NSU Auto Union AG. Plötzlich stand der K70 im Konzernregal und konkurrierte direkt mit dem eleganten, neuen Audi 100 und dem VW 411. Drei Mittelklassemodelle unter einem Dach – undenkbar für die damaligen Strukturen.