VW sagte die Genfer Weltpremiere in letzter Minute ab. Pressemappen wurden vernichtet, die gebauten Vorserienwagen mit NSU-Emblem verschwanden größtenteils im Giftschrank. Der Aufschrei in den Medien war gewaltig, potenzielle Käufer und NSU-Fans liefen Sturm. Sogar BMW soll erleichtert gewesen sein, da der K70 dem frisch vorgestellten 2002 gefährliche Konkurrenz gemacht hätte. Doch die eigentliche Geschichte begann erst jetzt, denn Kurt Lotz hatte bei seiner Probefahrt erkannt: Der K70 war fertig. Er war das Schlüsselfahrzeug auf dem Silbertablett, das VW den Sprung vom Käfer in die Zukunft ermöglichen konnte, ohne jahrelange, teure Eigenentwicklungen.
Ein teurer Neustart: Der K70 als VW
Im Herbst 1970, anderthalb Jahre nach der verhinderten Premiere, kam der Wagen auf den Markt. Diesmal trug er das VW-Logo, gebaut in einem brandneuen Werk in Salzgitter, das in nur 18 Monaten für 520 Millionen Mark hochgezogen worden war. Es war ein historischer Moment: der erste Volkswagen mit Frontmotor, Wasserkühlung und Frontantrieb.
Die Fachpresse feierte das Fahrzeug als „Frontkämpfer“ und „Morgengabe für eine neue Mitte“. Das fabelhafte Fahrverhalten, der riesige Innenraum und die fortschrittliche Technik wurden gelobt. Doch die Verkaufszahlen blieben ernüchternd. Zeitgleich traten die Hecktriebler Ford Taunus und Opel Ascona an und verkauften sich deutlich besser. Selbst der oft verspottete VW 411 lag umsatztechnisch um 60 Prozent vor dem K70. Die angepeilten 20.000 Einheiten pro Jahr blieben unerreichbar.
Die vier Gründe für das Scheitern des Revolutionärs
Wie konnte ein technisch überlegenes Auto am Markt scheitern? Es waren vier Gründe, die den K70, den „Brückenbauer“, letztlich zu Fall brachten:
- Die Klientel und der Händlerwiderstand: Die VW-Kunden waren an die einfache, robuste Heckmotor-Technik gewöhnt. Der K70 war für sie zu komplex, hatte anfänglich Kinderkrankheiten (speziell am Getriebe) und irritierte die Stammkäuferschaft. Die VW-Verkäufer, die gleichzeitig vier völlig unterschiedliche Konzepte (Käfer, Typ 3, 411, K70) verkaufen mussten, empfahlen lieber den vertrauten 411 als den gewöhnungsbedürftigen Neuling.
- Preis und Aerodynamik: Der K70 mit 90 PS kostete so viel wie ein Ford mit 2,3-Liter-V6-Motor. Er war zwar flott, aber seine kantige Form führte zu einem katastrophalen cW-Wert von 0,52. Die Höchstgeschwindigkeit von 159 km/h war kaum schneller als die des 411ers und langsamer als die aller 90-PS-Konkurrenten. Der Kunde sah zu wenig Leistung für zu viel Geld.
- Der Durst in der aufkommenden Krise: Der Verbrauch von 11 bis 14 Litern auf 100 Kilometern war angesichts seines hohen Gewichts (über 1.060 kg) und der schlechten Aerodynamik immens. In einer Zeit, die gerade in die Ölkrise von 1973 schlitterte, wurde der K70 zu einem ökonomischen Problem.
- Die Isolation im Konzern: Der K70 war ein Fremdkörper. Er wurde bei NSU entwickelt und teilte kaum Komponenten mit anderen VW-Modellen. Die Produktion war teuer, da jedes Ersatzteil, jedes Lager, jedes Sonderwerkzeug extra bevorratet werden musste. Die Werkstätten brauchten eine komplett neue Ausrüstung. Als 1973 der VW Passat kam, der auf Audi-Technik basierte und eine hohe Teilegleichheit im Konzern aufwies, war der K70 endgültig das „Stiefkind“.
Der stille Untergang und das laute Erbe
Trotz Verbesserungen wie runderen Stoßstangen und dem K70 S mit 100 PS half alles nichts. Der Passat war billiger, moderner und besser in die Konzernstruktur integriert. Im Februar 1975, nach nur fünf Jahren und 111.272 produzierten Einheiten, lief das letzte Exemplar still und leise vom Band. Das Werk Salzgitter, einst für ihn gebaut, wurde fortan für die Produktion von Motoren und Getrieben genutzt.
Der K70 war das Opfer eines perfekten Timings zur falschen Zeit. Er kam zu früh für einen VW-Konzern, der noch in der Heckmotor-Vergangenheit feststeckte, und zu spät für NSU, dessen bestes Serienmodell erst auf die Straße kam, als das Unternehmen bereits Geschichte war.
Und doch: Ohne den K70 gäbe es keinen Golf, keinen Passat. Er zwang Volkswagen dazu, sich mit Frontantrieb, Wasserkühlung und modernem Packaging auseinanderzusetzen. Er war das notwendige Versuchslabor, die Generalprobe für alles, was danach kam. Seine Designprinzipien – die klaren Linien, die kurzen Überhänge, die Raumeffizienz – übernahm und perfektionierte Giorgio Giugiaro beim Golf und beim Passat. Der K70 definierte die neue Designsprache, auch wenn er selbst daran zerbrach.