Ein politisches Erdbeben in Berlin: Der Bundesrat bricht die Brandmauer
Die politische Landschaft Deutschlands ist erschüttert. Was in den ehrwürdigen Mauern des Bundesrates, der Kammer der Länder, stattfand, war weit mehr als eine Routineabstimmung. Es war eine Abrechnung. In einer dramatischen und symbolisch aufgeladenen Entscheidung stellten sich mehrere Bundesländer, darunter auch solche mit unionsgeführten Regierungen, hinter die Positionen der AfD. Dieses Ereignis wird von politischen Kommentatoren als die offene Zerstörung der sogenannten Brandmauer interpretiert – ein Dammbruch von immenser politischer und emotionaler Sprengkraft, der die etablierte Parteienlandschaft bis ins Mark trifft. Es stellt sich die existenzielle Frage: Ist dies der Beginn einer bürgerlichen Revolution von unten, oder markiert es lediglich den gefährlichen Verfall eines Systems, das das Vertrauen seiner Bürger verspielt hat?
Der schmutzige Deal im Bundestag: Die Wurzel des Protests
Um die explosive Dimension der Bundesrat-Abstimmung zu verstehen, muss der Blick zurück auf die Ereignisse im Bundestag gerichtet werden, die den Zorn der Länder erst entfachten. Wenige Tage zuvor wurde dort in einem als „Handstreich“ empfundenen Verfahren die Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern durchgewunken. Dieses Vorgehen wurde schnell als „schmutziger Deal der Altparteien“ gebrandmarkt, der einzig dem Zweck diente, die Macht untereinander aufzuteilen und die demokratischen Institutionen im Sinne der Parteiräson zu sichern.
Dieser Deal war jedoch mit einem hohen Preis verbunden: der öffentlichen Demütigung der Union und der offenen Provokation der AfD. Im Zentrum stand der Unionskandidat Günther Spinner, der mit nur 424 Ja-Stimmen das schlechteste Ergebnis aller Kandidaten einfuhr, während 178 Gegenstimmen auf ihn entfielen. Angesichts der Tatsache, dass die AfD mit ihren 151 Mandaten angekündigt hatte, Spinner nicht zu wählen, belegen die Zahlen unerbittlich, dass auch zahlreiche Abgeordnete der Koalitionspartner – mindestens 27 aus den links-grünen Fraktionen – dem Kandidaten ihrer eigenen Partner die Stimme verweigerten. Ein Akt des Misstrauens, der als Dolchstoß im Rücken empfunden wurde.
Die Farce der Verfassungsrichterwahl
Der eigentliche Skandal lag jedoch im Verfahren selbst. Anstatt die Kandidaten nacheinander zu wählen, wie ursprünglich vorgesehen und transparent, standen plötzlich alle drei Richter auf einer einzigen Wahlkarte. Diese Änderung des Wahlverfahrens in letzter Minute – ein „Trick“ und ein „abgekartetes Spiel des Parteienstaates“ – überraschte selbst Abgeordnete. Das Ziel war klar: Man wollte alle Kandidaten, insbesondere den umstrittenen Unionskandidaten Spinner, im Paket durchwinken, um eine weitere politische Blamage oder eine Regierungskrise unter Kanzler März um jeden Preis zu vermeiden.
Der Plan ging insofern auf, als alle Richter gewählt wurden. Doch der Preis war hoch: Das Vertrauen in die demokratische Ordnung blieb auf der Strecke. Ein Richter, der auf diese Weise ins Amt kommt, startet mit einem massiven Legitimationsdefizit. Die Wahl brachte nicht die besten Kandidaten ins Amt, sondern rettete lediglich den Parteienstaat und löste damit eine Welle der Wut und Verachtung aus, die nun im Bundesrat ihre Entladung fand.
Die Rebellion der Länderkammer
Was folgte, war keine Routineveranstaltung. Auf der Tagesordnung des Bundesrates standen mehrere Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Doch in der Nacht vor der Abstimmung hatten sich mehrere Ministerpräsidenten – nicht nur jene aus unionsgeführten Ländern – abgestimmt. Sie waren nicht länger bereit, die Arroganz, den Wortbruch und die politische Missachtung der Bundesregierung tatenlos hinzunehmen. Sie hatten genug von einem Kanzler, der, wie es ein Kommentator formulierte, nur um den Preis der deutschen Bürger Kanzler werden wollte.
Der erste Paukenschlag war das Scheitern eines Prestigeprojekts der Bundesregierung: ein Gesetz zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten. Anstatt das Vorhaben wie erwartet durchzuwinken, stimmten mehrere Länder geschlossen mit Nein. Doch der wahre Eklat war der folgende: Ein Entschließungsantrag, der von der AfD in mehreren Landtagen eingebracht wurde, gelangte über den Bundesrat an die Bundesregierung.
Der Titel des Antrags: „Für eine Wiederherstellung der parlamentarischen Ordnung und gegen die Aushöhlung demokratischer Wahlverfahren“.
Dieser Antrag war die direkte, unerbittliche Antwort der Länder auf den Handstreich im Bundestag. Er forderte eine transparente, faire und unabgesprochene Wahl von Verfassungsrichtern und verurteilte den Missbrauch von Verfahrenstricks zur Sicherung parteipolitischer Interessen.
Unfassbar: Die Annahme der AfD-Position
Als der Antrag zur Abstimmung aufgerufen wurde, geschah das Unfassbare. Nicht nur die Länder mit AfD-Regierungsbeteiligung stimmten dafür. Auch mehrere unionsgeführte Länder schlossen sich dem Antrag an. Sie wählten damit nicht die AfD als Partei, aber sie wählten ihre Position, ihre Argumentation, ihren Protest.
Dieser historische Schritt war ein Akt des Aufbäumens gegen die eigene Bundesregierung, gegen einen Kanzler, der sie in ihren Augen nicht mehr vertrat, und gegen die als untrennbar empfundene Verstrickung der Union in den Einheitsparteienblock. Der Bundesrat, die Kammer der staatstragenden Vernunft, hatte sich auf die Seite der Opposition geschlagen. Die Brandmauer, die in der Berliner Politik noch mühsam aufrechterhalten wurde, war in der Länderkammer pulverisiert worden.
Symptom eines tiefen Verfalls
Dieses Ereignis ist mehr als nur eine Niederlage für die Regierung; es ist ein Symptom für den tiefen Verfall des politischen Systems in Deutschland. Der Verrat der Union wird dabei besonders hervorgehoben. Die CDU/CSU habe ihre Rolle als bürgerlich-konservatives Korrektiv aufgegeben und sei Teil der „linken Einheitspartei“ geworden, die nur noch unter verschiedenen Markennamen zur Wählertäuschung antritt. Die Zustimmung zur Wahl einer ultralinken Verfassungsrichterin wie Kaufhold, von der man befürchte, sie werde ein AfD-Verbot vorantreiben, wird als ein Akt der Selbstzerstörung gesehen.
Die Rebellion der unionsgeführten Länder im Bundesrat erscheint daher als ein letztes verzweifeltes Aufbäumen gegen diesen politischen Selbstverrat. Sie offenbart die Angst der Altparteien vor Neuwahlen, die sie dazu trieb, alle Kandidaten eilig durchzuwinken, aus der Befürchtung heraus, von den Wählern für ihr andauerndes Versagen abgestraft zu werden.
Die AfD nicht mehr isoliert
Der Aufstieg der AfD wird als die logische Konsequenz aus dem Versagen der etablierten Parteien interpretiert. Die AfD sei die einzige verbliebene Alternative, die sich dem Einheitsparteienblock entgegenstelle. Die Abstimmung im Bundesrat hat diese neue Realität für alle sichtbar gemacht: Die AfD ist nicht mehr isoliert. Ihre Positionen haben in der Mitte der Gesellschaft und in den Parlamenten der Länder eine hörbare Resonanz gefunden. Die Brandmauer existiert nur noch als Illusion in den Köpfen einiger Berliner Politiker.
Die Zusammenarbeit zwischen CDU-geführten Ländern und der AfD im Bundesrat war ein Protestakt, dessen langfristige Konsequenzen derzeit kaum absehbar sind. Kommentatoren malen Szenarien, die von Neuwahlen, ausgelöst durch einen Bruch der Koalition, bis hin zu einer offenen Diskussion innerhalb der CDU über eine mögliche Koalition mit der AfD zur Rettung der Partei reichen. Das Ereignis im Bundesrat hat diese Option plötzlich realistischer erscheinen lassen. Es hat gezeigt, dass es in der Union Kräfte gibt, die bereit sind, die Brandmauer einzureißen, um das, was sie als „parlamentarische Ordnung“ betrachten, wiederherzustellen.
Deutschland ist erschüttert. Die alte Ordnung ist zerbrochen. Eine neue, unberechenbare politische Zeit, in der die Regeln des Konsenses nicht mehr gelten, hat begonnen.