Falsche Behauptungen in Brüssel: Merz irritiert EU-Partner mit „beschlossenem“ Mercosur-Abkommen – Ein Blick hinter die Kulissen des Gipfelstreits

Diplomatische Verwirrung: Merz’ Fauxpas um das Mercosur-Abkommen
Der jüngste EU-Gipfel in Brüssel sollte ein Zeichen der Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit in zentralen Fragen wie Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit setzen. Stattdessen sorgte Bundeskanzler Friedrich Merz für einen diplomatischen Fauxpas, der die Verhandlungen überschattete. Merz behauptete nach dem Gipfel, die Staats- und Regierungschefs hätten die Verabschiedung des Mercosur-Freihandelsabkommens beschlossen. „Wir haben darüber abgestimmt“, erklärte er, „Alle waren dafür.“
Diese Aussage betrifft ein Abkommen, das seit 25 Jahren mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay) verhandelt wird und aufgrund von Umwelt- und Landwirtschaftsbedenken hochumstritten ist. Die Behauptung des deutschen Kanzlers, ein solcher Durchbruch sei erzielt worden, sorgte unmittelbar für Verwirrung und Korrekturbedarf auf europäischer Ebene.
Die eklatante Richtigstellung: Ratspräsident Costa greift ein
Die vermeintliche Nachricht vom Durchbruch wurde schnell dementiert. Ratspräsident António Costa stellte die Sachlage klar: Man habe über das Abkommen weder diskutiert noch Entscheidungen getroffen. Er habe die Regierungschefs lediglich gebeten, mit ihren Botschaftern über technische Probleme bei den Übersetzungen zu sprechen, um das Abkommen möglicherweise noch in diesem Jahr unterzeichnen zu können. Auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron widersprach der Darstellung Merz’. Zwar sei man bei den „Vorkehrungen“ für die Landwirtschaft gut vorangekommen, aber die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen.
Die Dissonanz zwischen der deutschen und der europäischen Darstellung ist bemerkenswert. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte später die Version des Ratspräsidenten. Das irritierende Manöver von Merz, ein ungesichertes Ergebnis als Faktum zu verkaufen, unterstreicht eine mögliche Diskrepanz zwischen innenpolitischer Inszenierung und diplomatischer Realität in Brüssel. Ein solches Vorgehen gefährdet das Vertrauen der Partner, gerade bei einem so sensiblen und langwierigen Projekt wie Mercosur, das ohnehin noch die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente benötigt.
Klimaziele in der Warteschleife: Die EU steht mit leeren Händen da
Abgesehen vom Mercosur-Fauxpas offenbarte der Gipfel eine beunruhigende Lähmung in der Klimapolitik. Weniger als drei Wochen vor der 30. UN-Klimakonferenz (COP30) im brasilianischen Belém stand die EU bei ihren langfristigen Zielen immer noch mit leeren Händen da.
Die konkreten Zahlen oder Minderungsziele für die Jahre 2040 und 2035 fehlen in der Abschlusserklärung. Die EU hätte das Zwischenziel für 2035 (NDC) eigentlich schon vor Monaten beim Klimasekretariat der Vereinten Nationen einreichen sollen. Zwar sprach Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) von einem „wichtigen Signal“ für das außerordentliche Treffen der Umweltminister, doch die fehlende quantitative Klarheit ist ein Armutszeugnis auf internationaler Bühne. Die Umweltorganisation Germanwatch forderte zwar ein „hinreichend starkes Mandat“ für ein 90-Prozent-Klimaziel für 2040, doch die Entscheidung wird weiter vertagt.
Der Streit um die Klimaprojekte in Drittstaaten
Ein zentraler Knackpunkt ist die Frage, wie viele Klimaprojekte in Drittstaaten auf das eigene EU-Ziel angerechnet werden können. Die EU-Kommission schlägt drei Prozentpunkte „Flexibilität“ vor. Für Länder wie Frankreich reicht dieser Anteil nicht aus. Die Kommission argumentiert, dass der Klimaschutz zwar außerhalb Europas günstiger sei, aber es nicht genügend geeignete Projekte gebe, weshalb der Anteil niedrig gehalten werden müsse. Dieser Streit um die Bilanzierung von Klimaschutz im Ausland zeigt die tiefen Risse in der europäischen Klimapolitik auf.
Zudem gelang es Polen überraschend, eine Forderung nach einer Überprüfungsklausel in die Abschlusserklärung zu verhandeln. Diese Klausel ermöglicht es, die Klimaziele in Zukunft erneut auf den Prüfstand zu stellen, was von Kritikern als Bremse für den ambitionierten Klimaschutz gewertet wird. Michael Bloss (Grüne) beklagte, dass der Beschluss das Schlimmste zwar verhindere, aber dem Klimaschutz unnötig schwer mache, da „an zentralen Klimainstrumenten geschraubt“ werde, statt den wirtschaftlichen Umbau mutig voranzutreiben.
Das Ende des Verbrenner-Aus: Eine Randnotiz für Merz

Ein weiteres Anliegen, das Bundeskanzler Merz in Brüssel immer wieder lautstark gefordert hatte, war das „Aus vom Verbrenner-Aus“. Doch auch hier blieb der Erfolg aus. In der Abschlusserklärung wird die Forderung lediglich in einem einzigen Satz erwähnt.
Die Staats- und Regierungschefs begrüßten die Ankündigung der Kommission, bis zum Jahresende Vorschläge zur Überarbeitung der Flottengrenzwerte vorzulegen. Es wird lediglich auf die Rolle von Technologieneutralität und europäischen Komponenten hingewiesen. Der slowakische Regierungschef Robert Fico hatte sich zwar nach einem bilateralen Treffen mit Merz für eine Überarbeitung des Verbots ausgesprochen, doch Frankreich und Spanien warnten eindringlich davor, das geplante Aus für Verbrennungsmotoren aufzuweichen. Merz’ zentrales innenpolitisches Anliegen fand somit in Brüssel nur einen symbolischen Platz am Rande der Gipfelentscheidungen.
Immerhin begrüßte Merz ausdrücklich die Vorschläge der Kommission zur Senkung der Preise im europäischen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude, der 2027 eingeführt werden soll.
Wettbewerbsfähigkeit: Auf Merz’ Vorschlag ein Sondergipfel im Februar
Als Teilerfolg konnte Merz verbuchen, dass auf seinen Vorschlag hin ein Sondergipfel im Februar ausschließlich der Wettbewerbsfähigkeit gewidmet werden soll. Zwar spielte dieses Thema am Ende des aktuellen Gipfels nur eine nachgeordnete Rolle, doch die Staats- und Regierungschefs billigten die vorformulierte Schlusserklärung, in der die dringende Reduzierung von Verwaltungs-, Regulierungs- und Berichtspflichten für Unternehmen gefordert wird.
Auch eine europäische Reaktion auf die chinesischen Exportkontrollen kritischer Rohstoffe wurde thematisiert. Die Staats- und Regierungschefs forderten die Kommission auf, „alle wirtschaftlichen Instrumente der EU“ einzusetzen, um „unlauteren Handelspraktiken“ entgegenzuwirken. Die Notwendigkeit, europäische Technologiekapazitäten aufzubauen und die Bezugsquellen für kritische Rohstoffe zu diversifizieren, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, wurde ebenfalls betont. Doch der dringende Handlungsbedarf beim Klimaschutz und die diplomatischen Turbulenzen um Mercosur ließen die wichtigen Debatten um die Zukunftsfähigkeit Europas etwas in den Hintergrund treten. Die irritierenden Mercosur-Äußerungen des Kanzlers hinterlassen jedoch einen anhaltend negativen Eindruck in den europäischen Hauptstädten.