Grauenhafte Verhältnisse der Schäfer-Drillingsbrüder— Sie heirateten jede Frau ihrer eigenen Familie


Elisabeth Schäfer, die einst entkommen war, lebte zu dieser Zeit längst in Weimar. Sie arbeitete als Schneiderin, später als Lehrerin für Handarbeit. Sie sprach nie über ihre Kindheit. Nur einmal, im Jahr 1956 gab sie einem Historiker ein Interview. Ihre Worte wurden in der Kirchenzeitung abgedruckt. Ich habe keine Familie mehr. Aber manchmal, wenn der Wind aus dem Süden kommt, rieche ich den Rauch.
Dann weiß ich, dass sie noch dort sind. Nicht als Menschen, sondern als Schatten. Und Schatten beten nicht. In den seziger Jahren geriet die Geschichte der Schäfers in den Hintergrund, überdeckt vom Wiederaufbau, der Teilung des Landes und den neuen Sorgen der Zeit.
Doch für jene, die in der Nähe des Thüringerwaldes lebten, blieb das eiserne Tal ein Ort, über den man nicht sprach, wenn die Sonne unterging. Die Förster kannten seine Lage, mieden sie jedoch. Karten der DDR verzeichneten dort nur ein schmales graues Viereck mit dem Hinweis Betreten verboten geologische Instabilität. Niemand fragte nach, warum selbst Grenztruppen dort nie übten.
Im Frühjahr 1968 beschloß ein Journalist des neuen Deutschland, ein junger Idealist namens Paul Wegner, die Wahrheit hinter der alten Legende zu suchen. Er hatte in Weimar von einer älteren Frau gehört, die von verfluchten Schäfers sprach. Er fand heraus, dass diese Frau keine andere war als Elisabeth Schäfer selbst, inzwischen über 60 Jahre alt.
Sie lebte allein in einer kleinen Wohnung und die Nachbarn hielten sie für sonderbar. Als Wegner sie besuchte, empfing ihn höflich, aber distanziert. “Sie wollen also die Geschichte meiner Familie drucken”, sagte sie, während sie ihm Tee einschenkte. “Warum haben Sie zu wenige Monster im heute?” Wegner lächelte unsicher.
“Ich glaube, die Menschen sollten wissen, was Isolation mit dem Geist tut.” “Isolation?” Sie lachte leise. Das war kein Irrtum der Einsamkeit, Herr Wegner. Das war Glaube. Der Glaube, dass man rein bleibt, wenn man alles andere verbrennt. So etwas wächst nicht im Dunkeln. Es wächst im Licht, wenn niemand hinsieht. Er fragte sie, ob sie jemals wieder in das Tal gegangen sei.
Sie sah aus dem Fenster, wo Regen an den Scheiben herunterlief. Einmal vorh Jahren. Ich wollte wissen, ob sie wirklich fort sind. Und sie sind nicht fort, nur stiller geworden. Wegner schrieb ihren Bericht nieder, doch sein Artikel wurde nie gedruckt. Der Redakteur lehnte ab, zu abergläubisch, zu bürgerlich.
Die Unterlagen blieben in einer Schublade liegen, bis sie Jahrzehnte später in einem Archiv wiedergefunden wurden. Elisabeth starb im Herbst 1969 kinderlos in einem Altersheim bei Erfort. In ihrem Nachlass fand man ein altes Stück Holz, schwarz verkohlt, geformt wie ein Kreuz. Niemand wußte, woher es stammte. Nur in ihrem Notizbuch stand einziger Satz. Feuer löscht Sünde nicht.
Nach ihrem Tod schien die Geschichte endgültig zu verblassen. Das eiserne Tal war verwachsen, die Pfade verschwunden. Doch im Jahr 1972, als die Forstverwaltung eine neue Trasse für die Holzabfuhr plante, wurde der Ort zufällig wieder entdeckt. Ein Truparbeiter stieß beim Fällen von Bäumen auf eine Mauer aus altem Stein. Hinter ihr fanden sie Reste von Asche, verrostete Werkzeuge und Scherben von Gefäßen.
Der Vorarbeiter meldete den Fund an die Kreisleitung, die wiederum die Polizei informierte. Manandte zwei Beamte und einen Archäologen, um das Gelände zu untersuchen. Der Archäologe, ein nüchter Mann namens Dr. Konrad Meierer, schrieb in seinem Bericht: “Gefunden wurden Fundamente von mindestens zwei Gebäuden, vermutlich 19.
Jahrhundert verbrannt in einem Umkreis von 10 m zahlreiche Knochenfragmente, teils tierisch, teils menschlich, überwiegend infantil. Keine Hinweise auf Raub oder Plünderung. Doch etwas in seinem Ton war ungewöhnlich. Zwischen den Zeilen stand: “Ort von unbestimmter Unruhe, Geräusche bei Windstille, Empfindung des Beobachtet werden.” Der Bericht verschwand bald in der Schublade einer Behörde.
Die DDR hatte wenig Geduld für Geschichten von Geistern, doch unter den Arbeitern kursierten bald Gerüchte. Einer von ihnen, ein gewisser Peter Klose schwor: “Er habe in der Nacht nach der Untersuchung Stimmen gehört. Kinderstimmen, die in der Nähe seines Zeltes flüsterten: “Bleib, bleib, bleib!” Am nächsten Tag verließ er die Baustelle und kehrte nie zurück.
Der Trassenbau wurde gestoppt, offiziell wegen Bodeninstabilität. Das Gebiet wurde erneut gesperrt, diesmal dauerhaft. Niemand sprach öffentlich darüber. Im Laufe derbziger Jahre wurde das eiserne Tal ein weißer Fleck auf allen Karten. Aber in den Dörfern, in jenen langen Winternächten, wenn der Schnee die Wege verschluckte und die Welt wieder still wurde, erzählten sich die Alten die Geschichte weiter.
Sie sagten: “Dort unten im Tal beten sie noch immer, nur hört sie keiner mehr.” Nach der Wiedervereinigung Deutschlands änderten sich viele Dinge, doch das eiserne Tal blieb, was es immer gewesen war, ein Schatten zwischen den Bäumen. Offiziell gehörte das Gebiet nun dem Forstamt Ilmenau, dass es als geschützte Naturfläche ohne Zugang auswies. Inoffiziell wußte jeder Förster, daß man dort besser nicht hineinging.
Der Wald wuchs dicht, der Boden war unruhig und wer zu lange blieb, fühlte sich beobachtet, auch wenn kein Laut zu hören war. Im Jahr 1999 wurde das Tal erneut auf einer Karte vermerkt. Diesmal im Zuge einer digitalen Vermessung. Der Kartograf, ein Mann namens Andreas Holler, bemerkte eine merkwürdige Abweichung.
Satellitenbilder zeigten dort eine ungewöhnliche Wärmesignatur, als läge unter dem Boden eine Quelle oder ein Brandherd. Doch vor Ort war nichts, nur Steine, Moos und Erde. Holler schrieb in seinem Bericht: “Thermische Anomalie ohne erklärbare Ursache. Empfehlung: Geologische Untersuchung. Die Untersuchung fand nie statt. Zwei Jahre später, im Winter 2001 wanderte ein Fotograf aus Erfurt namens Matthias Krüger in den Thüringer Wald.
Er arbeitete an einer Serie über verlorene Orte und hatte von einem Jäger den Namen Eisental gehört. Die alten Geschichten faszinierten ihn. Blutschande, Feuer, Flüche. Er wollte sie als Mythos brechen, in Bildern fassen. Krüger fuhr mit seinem Wagen bis zur Forstraße und ging zu Fuß weiter.
Er fand die Schlucht, die zwischen den Felsen lag und obwohl Schnee fiel, war es darunter seltsam warm. Der Wind schwieg, sein Atem stand in der Luft wie Glas. Als er das Tal betrat, spürte er sofort, dass dort etwas anders war. Die Geräusche des Waldes verstummten, das Knacken des Schnees unter seinen Stiefeln halte zu laut. Er richtete seine Kamera, machte Aufnahmen von den Ruinen, den schwarzen Steinen, dem verrosteten Kreuz auf dem Boden.
Dann hörte er Schritte. Er drehte sich um. Niemand. Nur der Schnee fiel gleichmäßig, schwer. Als er weiterging, spürte er einen Druck im Ohr, als würde der Luft die Kraft entzogen. Und dann hörte er es. Kinder lachen, leise, fast freundlich, aber ohne Quelle. Es kam nicht von oben, nicht von unten, sondern von überall.
Krüger brach den Ausflug ab, doch auf dem Heimweg stolperte er, fiel in den Schnee und verlor für einen Moment das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, war seine Kamera weg. Die Spuren führten nirgends hin. Zwei Wochen später fand man ihn tot in seiner Wohnung in Erfurt. Kein Zeichen von Gewalt, nur Herzstillstand.
Auf dem Tisch stand eine Tasse kalten Kaffees, daneben ein Notizzettel mit drei Wörtern. Sie sind rein. Die Polizei sah keinen Zusammenhang, doch in den Akten stand: Betroffener hatte zuletzt Aufnahmen im Bereich des Eisental gemacht. Kamera nicht auffindbar. Im Jahr 2004 wurde in einem Antiquariat in Weimer eine alte beschädigte Filmrolle verkauft, die angeblich von einem Nachlass stammte.
Der Verkäufer behauptete, sie stamme von einem Fotografen, der Bosse im Wald verschwunden sei. Auf der Rolle waren nur sechs Fotos erkennbar, verschwommene Schwarz-weeißbilder. Auf einem davon waren drei Gestalten zu sehen, die aneinander standen. Gesichter kaum zu erkennen, nur dunkle Schatten, wie aus Rauch geformt. Im Hintergrund ein Schornstein, ein Historiker, der die Bilder untersuchte, schrieb: “Ich kann nicht sagen, was ich sehe, aber ich habe das Gefühl, es sieht zurück.
” Die Aufnahmen verschwanden kurz darauf. Angeblich kaufte sie ein privater Sammler aus München, der sich für okkulte Relikte interessierte. In den folgenden Jahren kam das Tal in Internetforen und Fernsehdokumentationen vor. Junge Abenteurer versuchten den Ort zu finden, aber die genaue Lage blieb unklar.
GPS-Geräte fielen aus, Kompasse drehten sich im Kreis und wer zu lange dort blieb, berichtete von Kopfschmerzen und Stimmen. Ein Blogger schrieb im Jahr 2008: “Ich habe keine Angst gehabt, bis ich Kinderstimmen singen hörte. Dann wußte ich, daß ich gehen mußte. Die Behörden wiesen alles als Aberglauben zurück. Doch das Forstamt erhielt im Jahr 2010 eine anonyme Meldung. Im Tal brennt wieder Licht.
Ein Trup wurde geschickt. Sie fanden nichts, nur einen verkohlten Kreis auf dem Boden. Rund, exakt, frisch. Im Frühjahr 2012 geriet das eiserne Tal erneut in die Schlagzeilen, als eine Gruppe von Studenten der Universität Jena ein Projekt über verlassene religiöse Gemeinschaften startete. Einer von ihnen, Lukas Reuter, fand in einem alten Archiv den Namen Schäfer Ilmenau 1919 und beschloss der Sache nachzugehen.
Er und drei Komelitonen, Nina Bergmann, Tobias Keller und Sarah Lind reisten mit einem Kleinbus in den Thüringer Wald, ausgerüstet mit Kameras, Diktiergeräten und der jugendlichen Überzeugung, dass Geschichten nur dann macht haben, wenn man sie glaubt. Am Abend des 22.
Mai schlugen sie ihr Zelt am Rand des Waldes auf, unweit der alten Forstraße, die laut Karte in das gesperrte Gebiet führte. Der Himmel war klar, der Wind still. Sie lachten, tranken Bier, erzählten sich Spukgeschichten und nahmen die Legende des eisernen Tals nicht ernst. Am nächsten Morgen brachen sie auf. Lukas führte mit dem GPS, das jedoch nach wenigen Minuten ausfiel.
“Kein Signal”, murmelte er. Tobias meinte lachend, vielleicht mögen sie keine Satelliten. Sie gingen weiter, folgten einem Bachlauf, bis sie die beiden Felsen erreichten, die den Eingang bildeten. Dahinter begann das Tal, still, feucht, grünlich, wie unter Wasser. Sie fanden die Reste der Fundamente, wie sie in alten Berichten beschrieben waren.
Moos wuchs über den Stein, zwischen denen Eisenreste ragten. Nina stellte ihr Aufnahmegerät auf und begann ihre Eindrücke zu diktieren. Hier ist nichts, keine Vögel, kein Wind, nur Geräuschlosigkeit. Tobias fotografierte. Auf einer der später gefundenen Aufnahmen sah man ihn, wie er vor einem halbe eingefallenen Kamin stand.
Über ihm im Schatten ein undeutliches Muster, ein Gesicht, kindlich, aber verzerrt. Nachmittags begann sie ihre Ausrüstung zusammenzupacken. Sarah bemerkte, dass sich der Nebel verändert hatte. Er kam nicht von oben, sondern kroch vom Boden herauf, lautlos, dicht. Lukas meinte, sie sollten aufbrechen, doch als sie den Engpass wiederfanden wollten, war der Weg fort.
“Wir sind falsch abgebogen”, sagte Tobias. Doch niemand erinnerte sich abgebogen zu sein. Die Kompasse zeigten alle verschiedene Richtungen. Dann hörten sie Kinderstimmen. Nicht nah, nicht fern, irgendwo dazwischen. Worte, die sich wiederholten, flüsternd, singend: “Rein, rein, rein.” Saga begann zu weinen. Nina rief laut, dass sie aufhören sollten, doch die Stimmen antworteten mit lachen, hell und leer.
Lukas zog sie alle zusammen. Wir bleiben ruhig. Wir warten, bis der Nebel sich legt. Doch der Nebel legte sich nicht. Die Stunden vergingen und das Licht wurde immer grauer. Ihre Lampen flackerten, dann fielen sie aus. Tobias sagte, er habe etwas gesehen. Kinder, drei oder vier, nackt, bleich, mit schwarzen Augen.
Niemand glaubte ihm, bis sie die Geräusche hörten. Schritte ganz nah, aber ohne Richtung. Sie liefen. Am nächsten Morgen fand ein Förster Holger Stein am Waldrand Ninas Rucksack ausgeweidet, als hätte jemand sorgfältig alle Taschen geöffnet und den Inhalt nebeneinander gelegt. Kamera, Notizbuch, Thermosflasche. Die Kamera enthielt 38 Fotos.
Die letzten drei jedoch waren nur verschwommene graue Flächen. Die Tonaufnahmen endeten mit Ninas Stimme, die flüsterte. Sie kommen, sie beten. Sie danach Stille. Die Polizei suchte eine Woche lang, fand keine Spur, keine Fußabdrücke, keine Kleidungsreste, keine Körper.
Nur am dritten Tag entdeckten sie an einer Baumwurzel ein altes Stück Holz, ein Kreuz schwarz verkohlt, in das mit zittriger Hand das Wort Schäfer geritzt war. Der Fall wurde nie aufgeklärt. In den Akten steht: “Vier vermisste Personen, Succhaaktion ohne Ergebnis, Vermutung, Unfall, Orientierungslosigkeit, Unterkühlung.
Doch Förster Stein, der die Reste gefunden hatte, erzählte Jahre später, kurz vor seinem Tod Geschichte. In einem Interview sagte er: “Ich war oft dort, aber seit jenem Tag gehe ich nicht mehr. Ich schwöre, der Wald atmet. Wenn man still steht, hört man, wie er dich anzieht. Und manchmal, wenn der Wind richtig steht, hört man Kinder lachen, aber nicht wie Kinder lachen sollten.
Der Fall der vier verschwundenen Studenten von Jena hätte eigentlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen müssen, doch er versandete im Laufe der Jahre. Die Familien bekamen keine Antworten, nur standardisierte Briefe, in denen von ungünstigen Witterungsverhältnissen und möglicher Orientierungslosigkeit die Rede war.
Das eiserne Tal wurde erneut gesperrt, diesmal mit Warnschildern aus Metall, betreten, verboten, Lebensgefahr. Niemand aus der Forstverwaltung übernahm gern die Verantwortung für diese Zone. Sie wurde zu einem weißen Fleck auf der Karte, einer Stelle, die selbst Satellitenbilder mieden, als ob die Erde dort keinen Schatten mehr werfen wollte.
In den folgenden Jahren erfassten nur wenige den Mut oder die Torheit, den Ort zu betreten. Doch im Herbst, mehr als ein Jahrhundert nach der ursprünglichen Tragödie kehrte jemand dorthin zurück, der eine Verbindung zur Vergangenheit hatte. Sie hieß Klara Weiß, war Historikerin und Nachfahrerin eines der Polizisten, die mit Kommissar Heinrich Schwarz ins Tal gegangen waren.
In den Familienerzählungen hieß es: “Ihr Urgroßvater sei nach dem Einsatz nie wieder derselbe gewesen. Er habe nachts geschrien, die Bibel verbrannt und den eigenen Hund erschossen, weil er behauptete, das Tier flüstere ihm.” Klara wollte wissen, was er damals gesehen hatte.
Sie arbeitete an einer Dissertation über religiösen Fanatismus im isolierten ländlichen Raum und hatte in den Archiven von Weimar die alten Schäferakten gefunden. Die Berichte von Schwarz, Fink und den Gerichtszeugen waren vollständig erhalten. Doch zwischen den Seiten lag ein einzelnes Blatt, vergilbt, unnummeriert. Darauf stand mit krakelig Schrift: “Das Tal schläft nicht.” Niemand hatte es je katalogisiert. Clara war fasziniert.
Sie beschloss, den Ort selbst zu sehen. Am 9. Oktober fuhr sie nach Ilmenau, mietete ein kleines Gästezimmer und besorgte sich alte Karten aus der Vorkriegszeit. Zwei Tage später machte sie sich mit einer Kamera, einem Tonrekorder und einem Notizbuch auf den Weg. In ihrem Tagebuch, das später gefunden wurde, schrieb sie: “Ich habe keine Angst.
Aber der Wald wirkt älter, als er sein sollte. Es ist als ob die Bäume atmen. Sie erreichte das Tal am späten Nachmittag. Die Sonne stand tief, golden, doch im Talboden herrschte Schatten. Es war still, vollkommen still. Sie beschrieb, wie die Luft dichter wurde, je tiefer sie ging. Kein Wind, kein Insekt, keine Bewegung.
Ich höre nur mein eigenes Herz. Sie fand die Fundamente der Schäferhäuser. Das Moos war dick wie Teppich und zwischen den Steinen wuchsen kleine weiße Blumen, die sie nicht kannte. Vielleicht allraun, notierte sie. Als sie sich bückte, um eine zu pflücken, bemerkte sie eine Vertiefung im Boden. Sie begann zu graben, nur mit den Händen.
Wenige Zentimeter unter der Erde stieß sie auf Holz. Es war alt, manch, schwarz, ein Kreuz. Sie hob es an und der Geruch nach verbrannter Erde stieg auf. “Ich habe es”, schrieb sie. “Es ist schwer und warm.” Dann folgte eine Pause in ihren Aufzeichnungen. Die nächsten Zeilen hastig, ungleichmäßig. Kinder, ich höre Kinder. Sie singen etwas. Alte Worte unverständlich.
Ich glaube, sie sagen meinen Namen. Die Tonaufnahme, die sie machte, endet mit einem langen statischen Rauschen. Dazwischen eine Stimme, leise, brüchig, nicht Klaras. Du bist heimgekehrt. Klara Weiß wurde nie wieder gesehen. Drei Tage später fand ein Förster ihren Wagen an der Straße, die in den Wald führte. Der Tank war leer, die Türen unverschlossen.
Auf dem Beifahrersitz lag ihr Notizbuch aufgeschlagen, die letzte Seite leer, bis auf ein Wort, das mit Bleistift tief eingeritzt war. Rein. Die Behörden erklärten sie für tot, doch ihr Körper wurde nie gefunden. In der Zeitung erschien ein kurzer Artikel. Historikerin bei Feldforschung im Thüringer Wald vermisst. Polizei geht von Unfall aus.
Doch in den Wochen nach ihrem Verschwinden berichteten Wanderer von seltsamen Phänomenen. Einige sagten: “Sie hätten nachts Licht im Tal gesehen, ein flackerndes weißes Leuchten, das kam und ging wie Atem. Andere erzählten, sie hätten eine Frau singen gehört. Eine sanfte, monotone Melodie ohne Worte.
” Einer schwor: “Er habe sie im Nebel gesehen, stehen zwischen den alten Mauern. Barfuß, die Hände zum Himmel erhoben, ein verkohltes Kreuz in den Fingern haltend. Nach Klaras Verschwinden wurde das eiserne Tal erneut ein Fall für die Behörden. Die örtliche Polizei leitete Suchaktion ein, unterstützt von Spürhunden und Drohnen. Doch weder Wärmebilder noch Bewegungsmelder registrierten irgendetwas.
Der Wald verhielt sich, als wäre er tot. Nur eines fiel auf. Die Hunde weigerten sich, das Tal zu betreten. Sie jaulten, zerrten an den Lein, legten sich flach auf den Boden, sobald sie die Felsen erreichten, die den Eingang bildeten. Einer der Hundeführer, ein erfahrener Mann aus Sul, sagte später: “Ich habe in meiner Karriere vieles gesehen, aber noch nie, dass Tiere so reagierten, als wüssten sie, dass etwas dort unten nicht für Lebende ist.” Die Suche dauerte 7 Tage. Am 8. brach man ab. Keine Spur,
keine Kleidung, keine Abdrücke, nur der Wind, der abends durch die Schlucht fuhr und Geräusche machte, die man nicht deuten konnte. Die Behörden schlossen den Fall als vermisst, vermutlich verunglückt ab. Doch im Dorf Neustadt begann man wieder zu reden.
Ein alter Förster, der sich an die Erzählungen seines Großvaters erinnerte, erzählte im Gasthaus: “Imer wenn jemand das Tal betritt, nimmt es etwas mit. Früher waren es Kinder, jetzt sind es die, die zu viel wissen wollen. Im Winter dessselben Jahres entdeckte ein Fotograf der Lokalzeitung durch Zufall ein seltsames Phänomen. Als er von einem Aussichtspunkt oberhalb des Waldes Panoramaufnahmen machte, bemerkte er auf einem Bild einen schwachen Lichtpunkt mitten im Schatten der Baumkronen.
Er vergrößerte die Aufnahme und sah, dass das Licht aus der Mitte des Tals kam, wo sich die Schäferhäuser befunden hatten. Es war kein Sonnenreflex, kein Feuer, eine gleichmäßige runde Leuchtquelle, die in der nächsten Aufnahme wenige Sekunden später verschwunden war. Er zeigte das Foto dem Pfarrer von Ilmenau, einem Mann namens Pater Johannes Falk, der seit Jahren die Legende kannte.
Falk sah sich das Bild lange an und sagte dann nur: “Nicht alles, was brennt, ist Feuer.” Im Frühjahr 2019 organisierte Falk eine kleine Gruppe von Gläubigen, die das Tal segnen wollten. Er war überzeugt, dass dort etwas Unreines gebunden war. Am Abend des 14. April machten sie sich auf den Weg. Vier Männer, zwei Frauen, eine Laterne und eine Bibel. Niemand sah sie wieder.
Am nächsten Tag fand man am Waldrand die Laterne, noch warm, das Glas gesprungen. Darin klebte eine dünne Schicht schwarzer Asche. Auf dem Boden lag die Bibel, geöffnet beim Buch Jesaja, Kapitel 22, Vers 14. Und der Herr der Herrschaffenbart: Wahrlich, diese Schuld soll euch nicht vergeben werden, bis ihr sterbt.
Nach diesem Ereignis wurde das Tal endgültig zur Sperrzone erklärt. Es wurde ein Metallzaun errichtet, 2 m hoch, mit Warnschildern, betreten strengstens untersagt, Eigentum des Landes Thüringen. Doch das hielt die Neugierigen nicht ab. Im Internet kursierten Videos von sogenannten Urban Explorern, die versuchten, die Absperrung zu überwinden.
Einige von ihnen erreichten den Eingang, filmten die Felsen, die in der Abendsonne rot glühten, erzählten von einem Druck auf der Brust, der zunahm, je weiter sie ging. Einer, ein junger Mann mit dem Spitznamen Wech, veröffentlichte sein Video unter dem Titel Eisental, das verbotene Tal. Man sah ihn lachen, fluchen, schließlich flüstern. Es ist so still, dass ich mein Blut höre.
Das Video endet abrupt, die Kamera fällt um, man hört Schritte, viele kleine Schritte und eine Stimme, die flüstert, bleib. Danach Schwarzbild. Der Kanal wurde drei Tage später gelöscht. das Originalvideo nie wiedergefunden. Manche sagten, es sei entfernt worden. Andere behaupteten, der Server habe selbst überschrieben.
Doch in den Wochen danach begannen seltsame Dinge. Nutzer berichteten, dass sich das Video von selbst wieder öffnete, nachts, obwohl sie es gelöscht hatten. Immer nur ein paar Sekunden. Die letzten Worte: “Bleib.” Einer schrieb in einem Forum: “Ich habe es dreimal gesehen.” Dann zog ich den Stecker vom Computer. Trotzdem flüsterte es weiter.
Die Administratoren hielten es für einen Scherz, löschten den Thread. Aber das Wort bleib tauchte weiter auf in Kommentaren, in Nachrichten, auf Bildschirm. Immer dasselbe. Keine Quelle, kein Autor, nur das Echo eines Ortes, der nicht vergessen werden wollte. Im Sommer 2020 erreichte das eiserne Tal zum ersten Mal die nationale Presse. Eine Reporterin der Frankfurter Allgemein Lea Dorn recherchierte für eine Artikelreihe über vergessene Orte und ihre Mythen.
Als sie vom Eisental hörte, glaubte sie zunächst, es handle sich um einen typischen Fall von moderner Legendenbildung, Internetgerüchte, urbane Mythen, vermischt mit ein wenig Lokalvolklor. Doch je mehr sie las, desto weniger passte das Muster. Zu viele vermissten Fälle, zu viele offizielle Sperrungen und immer dieselben Wörter in den alten Berichten.
Stille, Wärme, Kinderstimmen, Licht. Lea war rational. Sie glaubte an Dokumente, nicht an Dämonen. Sie verbrachte Wochen damit, Archive zu durchforsten und stieß schließlich auf die originalen Schäferakten, die über 100 Jahre alt waren. Die Schriftstücke von Kommissar Heinrich Schwarz, Dr. Fink, die Prozessprotokolle, selbst die Fotografien der verkohlten Fundamente.
Sie las bis spät in die Nacht. In ihren Notizen schrieb sie: “Wenn man die Zeilen liest, hört man sie fast. Diese Ruhe zwischen den Wörtern, die kein Zufall ist. Am 5. August fuhr sie selbst nach Ilmenau. Sie übernachtete im selben Gasthof, in dem eins der Förster Brechtel gewohnt hatte, der Elisabeth Schäfer gefunden hatte.
“Die Wirtin, eine Frau Mitte 60”, warnte sie. Gehen Sie da nicht hin, Fräulein. Das Tal ist kein Ort. Es ist ein Hunger. Lea lächelte höflich, ignorierte es und machte sich am nächsten Morgen auf den Weg. Sie fuhr bis zur Absperrung, parkte das Auto und ging zu Fuß weiter. Der Himmel war klar, das Licht grell.
Doch als sie die Felsen erreichte, änderte sich die Temperatur. Es war als drehte man in Wasser. Ihre Aufnahmegeräte funktionierten einwandfrei, bis sie die Schwelle überquerte. Dann fiel alles aus. Kein Signal, kein Ton. Sie machte Notizen per Hand. Die Stille hier ist nicht leer. Sie hat Gewicht. Sie beschrieb die Ruinen, machte Skizzen, vermerkte, dass das Moos ungewöhnlich feucht war, obwohl es seit Wochen nicht geregnet hatte. Dann fand sie etwas im Boden.
Eine Münze, alt, schwarz, kaum erkennbar. Als sie den Dreck abwischte, sah sie das eingeprägte Wort: “Reinheit!” Sie steckte sie ein. Die letzte Eintragung in ihrem Notizbuch lautete: “Ich höre Kinder. Sie singen wieder. Ich glaube, sie sind unter mir.” Leadorn kehrte nie zurück. Zwei Tage später fand ein Wanderer ihr Auto. Die Schlüssel steckten, der Motor war kalt.
Auf dem Beifahrersitz lag ein Notizbuch mit einem nassen Umschlag darin. Auf dem Umschlag stand in ihrer Handschrift: “Nicht öffnen.” Natürlich öffnete man ihn. Innen befanden sich drei Fotografien: Unscharf, grau. Auf der ersten ein Stück Wald, völlig normal. Auf der zweiten dieselbe Stelle, doch zwischen den Bäumen standen Gestalten, klein, kindlich, verschwommen, auf der dritten dieselbe Perspektive, aber nun war die Kamera am Boden und mitten im Bild lag etwas Schwarzes, längliches, ein verkohltes Kreuz. Die Polizei nahm die Fotos als Beweisstücke, doch die Negative verschwanden kurz darauf aus
dem Archiv. Offiziell hieß es, sie sein durch Feuchtigkeit unbrauchbar geworden. Noch im selben Jahr wurde das eiserne Tal endgültig von der Öffentlichkeit abgeschottet. Die Landesregierung erklärte das Gebiet zur ökologischen Sperrfläche. Der Zugang wurde mit Kameras überwacht, Zäune verstärkt, alle Wege auf Karten gelöscht.
Doch in den Nächten, wenn der Wind aus dem Süden kam, hörten Bewohner der umliegenden Dörfer manchmal Gesang. Kein Hall. Kein Echo, nur Stimmen, hoch, hell, kindlich, die etwas wiederholten, das niemand verstand. Ein Förster, der in jener Zeit dort arbeitete, sagte später anonym: “Ich war auf der Anhöhe über dem Tal. Es war Vollmond.
Ich sah Rauch aufsteigen, nicht wie Feuerrauch, heller, fast weiß. Er kam aus der Erde, als würde sie atmen. Im Herbst desselben Jahres tauchte im Internet ein kurzer Clip auf. Er zeigte das Tal bei Dämmerung, gefilmt aus der Ferne. Kein Ton, nur Wind. Doch als man das Video verlangsamte, sah man im Schatten der Felsen etwas, das sich bewegte.
Kein Mensch, kein Tier, etwas, das sich aufrichtete, als wüsste es, dass man es ansah. Dann Standbild Ende. Der Account, der das Video hochgeladen hatte, wurde wenige Stunden später gelöscht. In einem anonymen Forum schrieb jemand danach: “Sie sind nicht tot. Sie schlafen nicht. Sie warten, bis jemand sie wieder beim Namen nennt.” Im Frühjahr 2023 begann es wieder.
In den umliegenden Dörfern verschwanden Tiere. Zuerst Hühner, dann Ziegen, schließlich ein Hund. Niemand wollte es offenprechen, aber nachts hörten die Menschen im Tal etwas, das wie Gesang klang. Fern, kindlich, fast feierlich. Im Nebel sah man Lichter tanzen, als zögen Kinder mit Laternen durch den Wald.
Manche sagten, es seien Wanderer oder Touristen, doch niemand kam oder ging in dieser Zeit. Im Mai entdeckte ein Landwirt aus Neustadt am Rennsteig am Rand seines Feldes Spuren. Kleine nackte Fußabdrücke im Schlamm. Er dachte an Kinder aus dem Dorf, doch sie führten nicht zum Ort, sondern von ihm fort, aus der Richtung des gesperrten Waldes.
In der darauffolgenden Nacht hörte seine Frau, wie jemand vor dem Fenster stand und leise klopfte. Als sie hinausging, war da niemand, nur das Gras platt getreten in der Form kleiner Füße. Die Geschichten verbreiteten sich. Alte nannten es den Atem des Tals. Jüngere lachten, doch sie lachten leise. Niemand ging mehr nach Einbruch der Dunkelheit hinaus. Am 12.
Juni betrat ein Team des Forstamtes das Gebiet offiziell, um die Umzäunung zu kontrollieren. Einer der Männer, Erik Mann, ein erfahrener Ranger, berichtete später in seinem Tagebuch: “Das Tal ist anders. Es riecht nach Regen, obwohl der Himmel klar ist. Die Erde ist warm, als würde darunter etwas leben.
” Ich hörte etwas, das wie Kinderstimmen klang, aber zu tief, zu langsam. Ich glaube, sie sagten meinen Namen. Erik Mann wurde zwei Tage später tot aufgefunden, fünf Kilometer vom Tal entfernt in einem Bachbett. Kein Zeichen von Gewalt, keine Spuren, nur seine Stiefel fehlten.
Nach seinem Tod erhielt die Landesregierung mehrere anonyme Schreiben. Eines davon bestand aus alten Zeitungsausschnitten über den Schäferprozess von 1919 sorgfältig ausgeschnitten, mit roter Tinte umrahmt. Auf der Rückseite stand in kindlicher Schrift: “Wir sind noch rein.” Die Behörden reagierten mit Schweigen. Der Zugang zum Gebiet wurde vollständig blockiert, sogar für Forstarbeiter.
Ein Sprecher des Umweltministeriums sagte: “Es gibt dort nichts, nur alte Geschichten.” Doch in der Nacht, als er das sagte, fiel im Radiostudio für 3 Sekunden der Strom aus. Auf der Aufnahme, die später ausgewertet wurde, hörte man in dieser Pause ein Flüstern, undeutlich mehr Gefühl als Klang. Einige Toningenieure meinten, das Wort sei Schäfer.
Im Herbst desselben Jahres kamen Journalisten eines Fernsehsenders, um eine Dokumentation zu drehen. Sie durften nicht in das Sperrgebiet, also filmten sie nur die Umgebung und sprachen mit den Bewohnern. Eine Frau, die seit ihrer Kindheit in Neustadt lebte, sagte: “Ich habe sie gehört.” Wissen Sie, nicht böse, nur traurig. Als wollten sie sagen, wir haben es doch nur getan, weil uns niemand gestoppt hat.
Während der Dreharbeiten erkrankten zwei Mitglieder des Teams: Fieber, Albträume, Erschöpfung. Beide berichteten, sie hätten dieselben Träume gehabt. Ein brennendes Haus, drei Männer mit gleichen Gesichtern und eine Frau, die in der Glut stand und lächelte. Die Sendung wurde nie ausgestrahlt. Der Sender erklärte, das Material sei versehentlich gelöscht worden.
Doch ein Techniker, der an der Produktion beteiligt war, veröffentlichte später anonym einen Screenshot aus dem Rohmaterial, ein Standbild aus der letzten Aufnahme, darauf das eiserne Tal bei Dämmerung Nebel kaum erkennbar und mittenderin im grauen Licht eine Gestalt, eine Frau, barfuß, die Arme erhoben, das Gesicht nach oben gewandt, neben ihr im Schatten drei Kinder. Alle blickten in die Kamera.
Das Bild verbreitete sich im Internet, ehe es gelöscht wurde. Experten nannten es eine Fälschung, doch in den Dörfern schwieg man. Manche sagten, das Tal sei wieder erwacht. Andere meinten, es sei nie eingeschlafen, nur gewartet. Im Winter begann es zu schneien, früh und schwer. Der Thüringerwald lag unter einer weißen Decke, so dicht, dass selbst die Straßen verschwanden. Wochenlang war kein Durchkommen möglich.
In dieser Zeit geschah etwas, das niemand sofort bemerkte. Erst im Januar, als der Schnee zu tauen begann, fiel den Leuten in den Dörfern etwas auf. Das eiserne Tal dampfte. Ein dünner Nebel stieg auf. selbst an Tagen ohne Sonne und der Schnee auf seinen Hängen schmolz schneller als anderswo.
Ein Forstbeamter, der das Phänomen untersuchen wollte, berichtete, dass das Tal wie lebendig wirkte. Der Boden warm, die Luft still, aber vibrierend. Als er seine Hand in den Schnee legte, schmolz er sofort. Unter der Oberfläche war Erde, schwarz und feucht, als glühhe etwas darunter. In seiner Dienstelle hinterließ er eine Notiz. Es atmet. Danach verschwand auch er. In den Wochen danach hörte man nachts über den Bergen ein Sum.
Kein Wind, kein Tier, ein Chor aus vielen Stimmen, fern und doch nah. Bewohner aus Ilmenau beschrieben es als ein Singen ohne Worte, aber voller Bedeutung. Ein Ton, der nicht aufhörte, sondern im Ohr blieb, auch wenn man wegsah. Im März fand eine Gruppe Jugendliche aus Sul, die heimlich in das Sperrgebiet eindringen wollte, nur noch Reste des Zauns. Der Metallrahmen war schwarz verfärbt, als wäre er von Hitze verzehrt worden.
Dahinter nichts, kein Weg, keine Ruin, nur eine Fläche aus grauer Asche, glatt wie Glas. Sie drehten um, doch einer von ihnen, Ben, machte ein Foto. Darauf war in der Mitte dieser Fläche ein Abdruck zu sehen, klar und deutlich. Die Spuren kleiner nackter Füße, die sich im Kreis formten, als hätten Kinder um etwas getanzt, das nicht mehr da war.
Das Foto gelangte ins Netz, wurde hunderttausendfach geteilt und genauso schnell gelöscht. Offizielle Stellen bezeichneten es als digitalen Scherz, doch manche erkannten etwas in den Schatten am Rand des Bildes. Eine Gestalt halb sichtbar mit langem grauen Haar, die den Kopf neigte, als lausche sie.
Später im April berichteten Piloten, die über den Thüringer Wald flogen, von einem Licht unter den Bäumen. Weiß, ruhig, gleichmäßig. Es erschien kurz nach Mitternacht und verschwand bei Sonnenaufgang. Die Position entsprach exakt der Lage des eisernen Tals. Im Sommer schrieb ein anonymer Autor auf einer Website, die sich mit historischen Legenden befasste, einen Beitrag mit dem Titel Das Tal hat gesprochen. Er begann mit den Worten sie sind nicht verschwunden, sie sind heimgekehrt.
Die Erde hat sie genommen und sie wird sie wiedergeben, wenn wir vergessen, was Schweigen bedeutet. Der Beitrag verschwand am selben Tag. Heute mehr als 130 Jahre nach der Blutschande der Schäfers steht das eiserne Tal nicht mehr auf Karten. Satelliten zeigen dort nur Schatten und die Sensoren zeichnen eine konstante Temperatur auf.
9° CSUS, das ganze Jahr über, selbst bei Frost. Kein Ort in Deutschland beiß diese Konstanz auf. Manche Wissenschaftler nennen es geologisch erklärbar. Andere, die noch glauben, sagen: “Es ist der Atem der Schuld, der Herzschlag einer Familie, die sich selbst zur Reinheit verdammte und deren Fluch zu Boden fiel, wo kein Licht hinkommt.
In den Nächten, wenn der Nebel über die Berge zieht und der Wind den Schnee trägt, kann man, so sagen sie, manchmal Kinder singen hören. Nicht laut, nicht fröhlich, nur ein leises endloses Summen, das sich wiederholt, bis es im Wind verblasst. Rein! Rein, rein.

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