Lauenburger Zwillingsschwestern, die sich einen Diener teilten… bis beide schwanger wurden


Nach dem dritten Besuch wagte keiner mehr ihnen Belehrungen zu erteilen, doch die Bedingungen des Testaments schwebten über allem. wie ein drohender Schatten. Zwei Jahre, um Ehemänner zu finden, Kinder zu bekommen, den Besitz zu sichern. Und beide wussten, kein Mann, der sie wirklich verstand, würde je freiwillig mit ihnen leben wollen.
Eines Abends im April saßen sie in der Bibliothek. Die Kerzen brannten niedrig. Klara hielt das Testament in der Hand. Elise stand am Fenster. “Er hat uns keine Wahl gelassen”, sagte Klara. Wenn wir heiraten, verlieren wir unsere Freiheit. Wenn wir es nicht tun, verlieren wir alles. Elise drehte sich um, ihre Stimme ruhig, fast sachlich.
Dann müssen wir den Widerspruch auflösen. Wir erfüllen die Bedingungen, aber zu unseren eigenen Regeln. Klara runzelte die Stirn. Und wie? Elise ging zu einem Regal, zog eines der alten Notizbücher ihres Vaters heraus und legte es auf den Tisch. Er hat geglaubt, den menschlichen Körper beherrschen zu können. Blut, Geburt, Erbe. Wir tun dasselbe nur mit Verstand.
Klarer Verstand, aber sie wagte nicht, es auszusprechen. Du meinst, wir wählen Männer, die nichts entscheiden können. Männer, die alt sind, krank oder abhängig. Männer, die wir kontrollieren. Elise nickte. Sie sollen die Fassade bieten nicht mehr. Kinder, sie zögerte, können auf andere Weise entstehen. Klara schwieg.
Der Gedanke war entsetzlich und zugleich befreiend. “Aber wen?”, fragte sie schließlich. Wir kennen niemanden, der dumm genug ist, auf uns hereinzufallen. Dann schaffen wir Gelegenheiten, sagte Elise. Der Frühjahrsmarkt in Hohenstedt ist nächste Woche. Es kommen Händler, Handwerker, sogar Gesandte aus Dresden. Wir werden dort sein.
Der Markt war eine Explosion aus Farben und Stimmen. Zwischen den Ständen mit Töpfer waren, Brotleiben und Pferden bewegten sich die Zwillingsschwestern wie fremde Erscheinungen. hochgewachsen, bleich in schwarzen Kleidern. Die Leute flüsterten zeigten mit Fingern auf sie. Die Sebbachttöchter, seltsam, dass sie allein gekommen sind.
Klara spürte die Blicke, doch Elis ging mit unbeirrbarer Ruhe. Sie blieb an einem Stand stehen, an dem ein Mann Bücher verkaufte. alte Ausgaben über Landwirtschaft, Theologie und Naturkunde. “Sie scheinen sich für gelehrte Werke zu interessieren, Fräulein”, sagte der Mann mit höflichem Ton. Er war etwa 30 Jahre alt, mit dunklem Haar und einem Gesicht, das klüger wirkte, als es für einen fahrenden Händler üblich war.
“Ich sammle Wissen”, antwortete Elise. “Mein Vater war ein Mann der Wissenschaft.” Der Händler lächelte. Dann haben sie wohl viel geerbt, Bücher und Neugierde. Sein Name war Markus, ein gebildeter Mann, der einst für einen Professor in Halle gearbeitet hatte, bevor er, wie er sagte, durch unglückliche Umstände in den Handel geraten war. Etwas an ihm war anders.
Der klare Blick, das feine Sprechen, die Art, wie er Fragen stellte, ohne sich aufzudrängen. Klara beobachtete ihn schweigend. In seinen Augen lag etwas, das sie erschreckte, verstand, Bewusstsein. Er sah sie nicht als Fräulein, nicht als Besitz. Er musterte sie, als wollte er verstehen, wer sie waren. Später am Abend zurück auf Eichenbrunn saßen die Zwillinge am Kamin.
“Er ist nicht wie die anderen”, sagte Elise. “Er ist gefährlich”, erwiderte Kara. “erade deshalb nützlich. Ein Mann, der denkt, kann man lenken, wenn man ihm Hoffnung gibt. Elise sah sie an. Ernst, dann holen wir ihn her. Er wird unser Werkzeug und er wird glauben, frei zu sein. Drei Wochen später wurde Markus als Schreiber und Hausverwalter auf Eichenbrunn eingestellt.
Britsche protestierte, doch Kara schnitt ihn mit einem einzigen Blick ab. Mein Vater hatte viele Verwalter. Nun haben wir unseren eigenen. Von diesem Tag an begann ein Spiel, das keiner der drei Beteiligten je wieder unbeschadet verlassen sollte. Als Markus zum ersten Mal das Guteichenbrunnen betrat, war der Himmel bleigrau und die Luft roch nach nassem Holz und Erde.
Er kam zu Fuß, den langen Weg von Hohenstedt herauf mit einer Ledertasche über der Schulter, in der ein paar Notizbücher, ein Hemd und ein Tintenfass lagen. Das ganze Hab und Gut eines Mannes, der alles verloren und sich selbst neu erfunden hatte. Am Tor empfing ihn Jonas Britsche, der Aufseher, mit mißstrauschem Blick.
Die Fräulein erwarten sie, knurrte er, ohne Gruß. Sie halten sich an ihre Regeln, dann leben sie hier bequem. Verstoßen sie dagegen, dann bereuen sie es. Markus nickte nur. Er hatte gelernt, dass Männer wie Pritsche in jeder Hierarchie denselben Klang trugen. Stumpf, aber gefährlich.
Im Herrenhaus empfingen ihn Kara und Elise im Arbeitszimmer ihres verstorbenen Vaters. Die schwere Tür schloss sich lautlos hinter ihm. Zwei Frauen in identischen Kleidern, nur die Farben unterschieden sie. Klara in Dunkelgrün, Elise in tiefblau. Sie saßen nebeneinander wie Spiegelbilder, die durch Willenskraft Gestalt angenommen hatten. “Sie heißen Markus Baumann”, sagte Karaus Halle. Richtig.
Ja, gnädige Frau, antwortete er ruhig. Ich habe früher als Sekretär gearbeitet, bis die Umstände mich zwangen, den Ort zu verlassen. Und sie können lesen und schreiben in Latein und Französisch? Fragte Elise. Markus nickte. Dann sind Sie geeignet, sagte Kara. Sie werden unsere Korrespondenz führen, die Bücher prüfen und das ist das Wichtigste.
Sie werden schweigen. Ich verstehe. Nein, erwiderte Klara. Das tun sie noch nicht, aber sie werden es lernen. Sie musterten ihn wie ein Exemplar, das man prüfen wollte, nicht wie einen Menschen. Doch Markus blieb ruhig. Er hatte schon früher mit Menschen gearbeitet, die Macht über andere hatten. Sie alle glaubten, Kontrolle bedeute Sicherheit.
Er wusste, dass Kontrolle nur Angst mit einem besseren Namen war. Am Abend führte man ihn in das kleine Zimmer über der Bibliothek, schlicht, aber sauber. Vom Fenster aus konnte er die Felder sehen, auf denen Männer und Frauen in grauen Leinenhemden arbeiteten, geduckt wie Schatten.
Die Sonne ging hinter den Eichen unter und für einen Moment fragte Markus sich, ob er gerade in eine Falle getreten war, aus der es kein Entkommen geben würde. In den folgenden Wochen lernte er das Haus kennen. Eichenbrunnen war kein gewöhnliches Gut. Es war ein Labor, ein geschlossenes System. In den Schränken lagen Karten über Landvermessung neben Diagramm menschlicher Schädel.
In der Bibliothek standen Bücher über Landwirtschaft, neben Abhandlung über Rassenkunde und Erbgesundheit. Alles roch nach Papier, Öl und altem Warn. Klara führte die Wirtschaftsbücher Elise die Haushaltskorrespondenz. Sie arbeiteten wie zwei Hälften eines einzigen Geistes. Selten widersprechend, oft ergänzend, aber nie offen vertraulich.
Nur manchmal, wenn sie glaubten, unbeobachtet zu sein, tauschten sie Blicke voller Zorn und Müdigkeit. Markus bemerkte das, aber er schwieg. Eines Abends, als Regen gegen die Fenster schlug, bat Kara ihn in die Bibliothek zu kommen. Sie stand am Kamin, die Hände auf den Rücken gelegt. “Sie sind gebildet”, sagte sie. “Sie wissen, das Wissen Macht bedeutet. Mein Vater hat sein Wissen missbraucht.
Wir aber werden es verwenden, um uns zu befreien.” “Wovon, gnädige Frau?” “Von ihm”, sagte sie schlicht. von seiner Hand, von seinem Denken, von allem, was er aus uns gemacht hat. Elise trat hinzu, ein Glas Wein in der Hand. Wir haben zwei Jahre Zeit. Zwei Jahre, um Männer zu finden, zu heiraten, Kinder zu bekommen.
Wenn wir versagen, verlieren wir alles und enden wie die Frauen im Dorf, die mit 50 noch für fremde Herren nähen. Das wird nicht unser Schicksal. Markus verstand die Worte. Aber nicht den Unterton. Etwas in ihrer Stimme klang weniger wie Angst, sondern wie Berechnung. “Und was erwarten Sie von mir?”, fragte er. Kara sah ihn direkt an.
“Wir brauchen Verstand, einen Mann, der denken kann, aber keine Macht hat. Sie werden uns helfen, die Bedingungen des Testaments zu erfüllen. Buchstäblich, aber nicht im Geiste. Sie werden unsere Pläne aufschreiben, sie verwalten, sie schützen und sie werden niemals fragen, warum. Und wenn ich es doch tue? Fragte Markus ruhig. Elise lächelte dünn.
Dann gehen sie fort und vergessen alles, was sie gesehen haben. Oder sie verschwinden fügte Klara hinzu, wie schon andere, die zu viel wussten. Das war keine Drohung, sondern ein Versprechen. Markus nickte. Er wusste, wann man besser schwieg.
Doch als er in jener Nacht in seinem Zimmer lag, hörte er Schritte über sich, leise, gleichmäßig, wie jemand, der im Dunkeln auf und abging. Und er fragte sich, ob er nicht nur Zeuge eines Plans geworden war, sondern Teil eines Experiments, das schon begonnen hatte. In den Tagen danach beobachtete er die Schwestern genauer. Sie waren markellos in ihrer Erscheinung, tadellos in der Ordnung, aber hinter der Disziplin lauerte etwas Wildes.
Elise hatte einen schärferen Verstand, Kara eine größere Kälte. Gemeinsam bildeten sie eine gefährliche Symmetrie, zwei Hälften eines Willens, der langsam Form annahm. Eines Nachts fand Markus in der Schreibschublade ein Notizbuch, das nicht ihm gehörte. In der gleichen präzisen Handschrift wie die des verstorbenen Gutsherrn stand dort: Versuch 47, Kombination der Linien R und F zeigt erhöhte Intelligenz, aber Instabilität, Kontrolle durch Isolation erforderlich.
Darunter eine Notiz in weiblicher Schrift, frisch eingetragen. Er hatte recht. Aber diesmal sind wir die Beobachter. Markus legte das Buch zurück. Zum ersten Mal seit Jahren froh ihm nicht wegen des Wetters, sondern wegen der Erkenntnis, dass auf Eichenbrunn der Todstation war.
Der Sommer kam früh nach Launenburg und mit ihm die flirrende Hitze, die das Land zwischen Eichen und Weizenfeldern wie in Glasgoss. Die Luft war süß vom Herz der Bäume, träge vom Duft der Erde, doch im Haus herrschte eine Kälte, die nichts mit dem Wetter zu tun hatte. Klara und Elise schlossen sich stundenlang im Arbeitszimmer ein, lasen die alten Journale ihres Vaters, flüsterten über Tabellen, Geburtsdaten, medizinische Aufzeichnungen. Markus durfte die Briefe schreiben, aber er durfte nicht fragen wofür.
Nach außen lief alles geordnet weiter. Die Felder wurden bestellt, die Abgaben pünktlich bezahlt. Britsche führte wie immer die Aufsicht, doch er spürte, dass die Machtverhältnisse sich verschoben hatten. Die Zwillinge gaben keine Befehle mit lauter Stimme. Sie sagten: “Bitte und danke.” Und dennoch gehorchten alle als Spräche eine unsichtbare Hand.
Eines Nachmittags, als Markus die Bücher in der Bibliothek prüfte, kam Elise herein, barfuß, mit losgelösten Haaren, als wäre sie einem Traum entstiegen. “Schreiben Sie mir einen Brief”, sagte sie an Herrn Edmund Waler in Magdeburg. “Wen soll ich grüßen?”, fragte Markus. “Schreiben Sie nur, die Sonne steht tiefer, aber die Schatten sind länger geworden.
Vielleicht ist es Zeit für einen Handel.” Er sah sie an. Ein Handel. Sie lächelte. Ein kaltes kleines Lächeln. Er wird wissen, was es bedeutet. In den folgenden Tagen trafen weitere Briefe ein. Von Notaren, von einem Arzt aus Leipzig, von einem alten Bekannten des verstorbenen Gutsherrn, der sich Dr. Karl Bering nannte.
Markus durfte die Antworten diktieren, doch sobald die Schwestern untereinander zu flüstern begannen, schickten sie ihn fort. Er wusste, dass sich etwas zusammenzog, eine Entscheidung, ein Plan, der Gestalt annahm, und er ahnte, dass er darin eine Rolle spielen würde. Am 10. Juni kam der Brief, der alles änderte. Elise rief Markus ins Arbeitszimmer. Sie hielt das Schreiben in der Hand. Das Siegel war bereits gebrochen. “Von Bering”, sagte sie.
“Er bestätigt, dass die Bedingung erfüllt werden kann, sofern wir eine geeignete Person finden.” “Welche Bedingung?”, fragte Markus. Klara antwortete statt ihrer Schwester, die, die unser Vater uns auferlegt hat, Ehe und Erbe. Wir brauchen Kinder, Markus. Er erstarrte. Ich bin ihr Schreiber. Kein kein was, unterbrach Elise. Kein Mann.
Seine Stimme blieb ruhig, doch innerlich raste alles. Sie wissen, was sie verlangen, ist unmöglich. Unmöglich ist nur das, was jemand bezeugt”, sagte Klara leise. “Sie verstehen, warum kein anderer Mann in Frage kommt. Wir müssen heiraten.” Ja, aber die Männer, die wir wählen, werden alt oder krank sein. Männer, die sich für Ehre kaufen lassen.
Sie werden nichts wissen. Sie werden glauben, es seien ihre Kinder. Und Sie, Markus, sie werden die Wahrheit kennen. Er wich einen Schritt zurück. Das ist Wahnsinn. Nein, sagte Elise, das ist Logik. Unser Vater glaubte, den Menschen formen zu können. Wir beweisen, dass der Geist stärker ist als das Blut.
Und wenn man uns entdeckt, dann sterben wir, antwortete Klara schlicht. Aber bis dahin leben wir frei und sie erhalten ihre Freiheit schwarz auf weiß mit Siegel und Zeugen. Sechs Monate nach der Geburt. Markus schwieg. Draußen sang eine Amsel. Der Moment war still wie Glas kurz vor dem Zerbrechen. Er dachte an seine Vergangenheit, an die Jahre in Halle, an das Manuskript, das er heimlich für einen Professor abgeschrieben hatte. Berichte von misshandelten Arbeitern. Experimente an Kindern, deren Knochen im Namen der
Wissenschaft vermessen wurden. Dafür hatte man ihn eingesperrt, dann vertrieben. Er wusste, was Männer wie Friedrich von Sebbach taten und dass seine Töchter aus demselben Metall gegossen waren. Und doch sah er in Elises Augen einen Rest Menschlichkeit, ein schwaches, flackerndes Licht. Vielleicht glaubte sie wirklich, sie könne sich befreien.
Vielleicht war das ihr einziger Weg, aus der Dunkelheit ihres Vaters herauszutreten. “Ich brauche Zeit”, sagte er schließlich. “Zeit haben Sie nicht”, erwiderte Kara. “Die Heiratsverträge werden schon vorbereitet. Und wenn ich mich weigere?” Elise trat näher. “Dann schicken wir sie dorthin, wo mein Vater Männer wie Sie hingeschickt hat. Nach Osten in die Fabriken. Dort überlebt niemand lange.
” Er sah zwischen ihnen hin und her. zwei Gesichter, ein Wille. Und er begriff, daß sie ihn nicht baten. Sie erklärten. Also gut, sagte er tonlos, “ich helfe Ihnen, aber ich will alles wissen. Kein Geheimnis, kein Schweigen mehr.” “Abgemacht”, flüsterte Klara. “Sie werden alles sehen, aber sie werden nie wieder derselbe sein.” In dieser Nacht schlief Markus nicht.
Er hörte, wie der Regen gegen die Fenster schlug und dachte an den Satz, den er einst in einem Buch gelesen hatte. Wer in den Abgrund blickt, entdeckt irgendwann sein eigenes Spiegelbild. Und er wusste, der Abgrund trug jetzt den Namen Eichenbrunnen. Der Juli brachte eine feuchte, schwere Hitze, die alles unter einem dumpfen Druck hielt. Die Tage auf Eichenbrunnen verliefen in einer gespenstischen Gleichmäßigkeit.
das Klirren der Eimer am Brunnen, das Summen der Insekten über den Feldern, das gleichmäßige Kratzen von Markus Feder auf Papier. Doch hinter dieser Ordnung gerte etwas, das keine Ruhe kannte. Das Testament hing wie ein damles Schwert über allem und die Zwillinge spürten, wie die Zeit gegen sie arbeitete. Die Männer, die sich als Ehekandidaten meldeten, waren ein Schauspiel der Lächerlichkeit.
Der er I Herr Friedrich Weller, ein Gutsbesitzer aus der Altmark, überzig mit fettigen Fingern und einer Vorliebe für billigen Portwein kam, um Kara zu besichtigen, wie er es nannte. Sie empfing ihn im Salon, freundlich, korrekt, mit einem Lächeln, das so kalt war, dass es sogar ihn innerhalten ließ. Als er wieder fort war, wischte sie sich die Hand am Kleid ab, als hätte sie etwas Unreines berührt.
Der zweite, ein verschuldeter Advokat, der hoffte, durch Heirat mit Elise seinen Ruf zu retten, wurde binnen 10 Minuten hinaus komplimentiert. Elise hatte ihm Fragen gestellt, die kein Mann ihrer Zeit hätte beantworten können, ohne sich zu schämen, über Besitz, über Moral, über Freiheit. Danach kamen Wochen der Stille.
In dieser Zeit begann Markus tief in die Aufzeichnungen des verstorbenen Gutsherrn einzutauchen. Klara hatte ihm freien Zugang gewährt oder zumindest den Anschein davon. Zwischen Rechnungsbüchern und wissenschaftlichen Skizzen fand er seitenlange Tabellen über Geburten, Messungen, über Versuche an Dienstboten, die Friedrich von Sebbach als Material bezeichnete. Unter jedem Namen stand eine Bemerkung.
Tauglich, misslungen, veräußert. Markus las und schrieb zugleich, kopierte die grausamsten Passagen heimlich in winzige Schriften auf hauchdünnes Papier, dass er in den Bodenbrettern seines Zimmers versteckte. Es war nicht nur Ekel, der ihn trieb, sondern etwas wie Pflicht. Er wusste, dass irgendwann jemand wissen musste, was hier geschehen war und was noch geschah.
Eines Nachts, während er schrieb, klopfte es leise an seiner Tür. Er öffnete. Elise stand da, barfüßig im Nachthemd mit einem Kerzenhalter in der Hand. Das Licht flackerte über ihr Gesicht, das erschöpft, fast durchsichtig wirkte. “Ich kann nicht schlafen”, sagte sie. “Ich höre ihn noch, wissen Sie?” Seine Stimme. Er spricht, wenn ich die Augen schließe.
Markus machte eine Bewegung, als wolle er etwas sagen, doch sie hob die Hand. Nein, ich will nicht getröstet werden. Ich will, daß Sie mir zuhören.” Sie trat ein, setzte sich an den Tisch und blickte auf die Zettel, auf denen er gerade schrieb. “Was ist das?” “Aufzeichnung”, sagte er vorsichtig. “Ich will verstehen, was er getan hat.
” Und wenn Sie es verstehen, was dann? Fragte sie mit einem Ton zwischen Neugier und Müdigkeit. Dann schreibe ich es auf, damit niemand mehr glauben kann, dass es Lügen sind. Sie sah ihn lange an. Sie riskieren ihr Leben. Wenn Klara es erfährt, sind sie tot. Dann sterbe ich wenigstens für etwas, das Sinn hat.
Sie stand auf, trat näher, so dicht, dass er ihren Atem spüren konnte. “Sie verstehen nicht”, flüsterte sie. “Auf Eichenbrunnen stirbt niemand für Sinn. Man stirbt, weil jemand es beschließt. Dann wandte sie sich ab und ging. Doch als sie die Tür öffnete, blieb sie stehen. Morgen kommt Pritsche mit einem neuen Kauffvertrag aus Hohenstedt. Ich glaube, Kara will etwas verbergen.
Sie sollten aufmerksam sein. Am nächsten Tag bestätigte sich ihre Warnung. Pritche brachte Dokumente mit, die den Verkauf eines Landstücks betrafen. Ein Acker, der angeblich unbrauchbar geworden war. Doch Markus bemerkte, dass das Feld direkt an den Wald angrenzte, indem sich die ältesten Arbeiterkarten befanden.
Ein zufälliger Verkauf, wohl kaum. Er suchte Klara auf. Sie saß am Schreibtisch den Blick auf eine Landkarte gerichtet. “Warum verkaufen Sie das Feld?”, fragte er. “Weil es sumpfig ist, wertlos.” Und die Menschen, die dort leben. Menschen. Sie sah ihn an und ihr Blick war so klar. dass er erschrag. Das sind Pächter. Wenn das Land verkauft wird, ziehen sie um. Niemand wird hungern.
Sie lügen, sagte er ruhig. Ein Augenblick stille. Dann legte sie die Feder nieder. Ich tue, was nötig ist, um zu überleben. Und sie werden dasselbe tun, wenn es soweit ist. Er verließ den Raum mit einem Gefühl, das er kaum benennen konnte. Wut. Ja, aber auch ein seltsames Mitleid. Am Abend stand Elise am Fenster und sah hinaus.
Sie verkauft Land, um Schulden zu begleichen sagte sie leise. Aber sie hat nicht vor, hier zu bleiben. Wohin will sie? Nach Norden, vielleicht Dänemark. Sie träumt von einem Ort, wo niemand uns kennt, aber sie weiß, dass sie ohne das Gut nichts ist. Also wird sie kämpfen, bis es brennt.
Draußen begann ein Sturm und über dem Land spannte sich ein Himmel, schwarz wie glühende Kohle. Markus schloos die Fensterläden und dachte, daß manche Häuser nicht durch Feuer brennen müssen, um zur Asche zu werden. Der Sturm jener Nacht dauerte drei Tage. Wind peitschte durch die Bäume, Regen schlug gegen die Fenster wie eine Mahnung. Und in der Dunkelheit schien das Haus selbst zu stöhnen.
Die Balken knarten, Türen bewegten sich wie von Geistern gedrückt. Niemand schlief. Und das war wohl recht so, denn in diesen Tagen geschah etwas, das Eichenbrunnen für immer verändern sollte. Am dritten Tag des Unwetters kam ein Wagen aus Magdeburg, zwei Pferde, ein alter Kutscher und in der Kutsche ein Mann, der später als Herr Edmund Waler vorgestellt wurde, ein Bekannter des verstorbenen Gutsherrn.
Sein Gesicht war fahl und eingefallen, die Augen wässrig. Doch in ihn glomm der gierige Funke eines Mannes, der in seiner Jugend Macht gekostet hatte und sie nun im Alter noch einmal spüren wollte. Klara empfing ihn in der Halle. Ihr Lächeln war höflich, ihr Blick kalt. Herr Faher, es ist uns eine Ehre. Die Ehre liegt ganz auf meiner Seite, gnädige Frau”, sagte er mit einer leichten Verbeugung.
“Ihr Vater und ich verbanden gemeinsame Interessen. Davon bin ich überzeugt.” Er blieb drei Tage auf Eichenbrunnen und in dieser Zeit beobachtete Markus ihn genau. Wah redete zu viel, trank zu viel und lachte zu laut. Er machte Bemerkungen über den prächtigen Bau und die blühenden Felder, aber seine Augen blieben stets an Kara hängen.

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