Lauenburger Zwillingsschwestern, die sich einen Diener teilten… bis beide schwanger wurden


Schon am zweiten Tag sprach er davon, dass er nur noch zwei junge Damen wie sie Gesellschaft und Schutz brauchen. Am Abend vor seiner Abreise fand Markus Klara allein in der Bibliothek. Das Feuer war fast erloschen. Sie saß im Halbdunkel, die Hände auf dem Schoß gefaltet. “Er ist geeignet”, sagte sie tonlos. Er wird mich heiraten, wenn ich es verlange. Und sie wollen das, fragte Markus.
Ich will, daß Eichenbrunn uns bleibt. Dafür ist er nützlich. Sie sah ihn an. Sie verstehen doch Markus. Liebe ist ein Wort, das Männer erfunden haben, um Frauen zum Schweigen zu bringen. Er erwiderte nichts. Ein Monat später wurde die Verlobung bekannt gegeben. Die Nachbarn schickten Blumen. Der Pfarrer kam, um seine Segensworte zu sprechen.
Und selbst Britsche schien erleichtert: “Ein Mann im Haus, das bedeutete Ordnung. Nur Elise schwieg. In jenen Wochen veränderte sie sich. Sie sprach wenig, aß kaum und wenn sie Markus begegnete, war in ihrem Blick etwas, das er nicht deuten konnte. Eine Mischung aus Furcht, Trotz und einem stummen Flehen. “Sie sind unruhig”, sagte er eines Abends, als sie ihm beim Schreiben über die Schulter blickte, “Weil ich weiß, was kommen wird.
” Sie sah auf seine Notizen. “Sie schreiben immer noch über ihn, über meinen Vater. Ich schreibe über die Wahrheit. Die Wahrheit ist ein Gift”, flüsterte sie. “Manchmal tötet sie schneller als Arsen. Vielleicht muß sie töten, um zu reinigen.” Elise lächelte traurig. “Sie glauben an Reinheit. Sie, der hier lebt, der weiß, was wir tun.” Er schwieg.
Sie trat einen Schritt näher. Wenn Kara ihn heiratet, wird sie ihn benutzen, um das Gut zu sichern. Aber sie wird ihn hassen und irgendwann wird dieser Hass sie verschlingen. Sie ist wie er, nur klüger. Ich weiß nicht, ob ich das überlebe. Markus wollte etwas sagen, doch in diesem Moment öffnete sich die Tür. Kara trat ein.
Ihr Blick war hart wie Glas. Elise, du solltest dich ausruhen. Du siehst bleich aus. Ich bin nur müde. Dann geh. Elise ging ohne ein Wort zu sagen. Klara blieb, trat an den Tisch, sah auf die Notizen. Sie schreiben zu viel, Markus. Ich schreibe, weil ich verstehen will. Dann schreiben sie dies: “Jede Wahrheit ist eine Waffe. Und wer sie trägt, stirbt zuerst”.
Sie drehte sich um und verließ den Raum. Zwei Wochen später fand die Hochzeit statt. Es war ein warmer Augusttag und der Himmel war klar wie ein Messer. Gäste kamen, Nachbarn, Beamte, zwei Geistliche. Klara trug ein Kleid aus grauer Seide, schlicht und markellos. Herr Waher in schwarzem Frack schwitzte und lächelte, als hätte er den Himmel selbst geheiratet.
Markus stand hinten in der Kirche als Schreiber, offiziell zur Dokumentation der Ehe bestimmt. Doch während der Pfarrer sprach, beobachtete er die Braut. Sie sprach die Worte: “Ja, ich will, mit einer Ruhe, die fast unmenschlich war. Kein Zittern, kein Lächeln, nur das kalte Bewusstsein, dass sie gerade einen Vertrag unterschrieb. Keinen Schwur.” Nach der Zeremonie folgte das Fest im Herrenhaus.
Musik spielte, Weinlooss. Lachen halte durch die Räume. Doch Markus bemerkte, dass Klara keinen Tropfen trank. Sie lächelte, sprach, tanzte sogar und doch war sie nicht anwesend. Gegen Mitternacht ging er in den Garten, um frische Luft zu schöpfen. Am Rand des Brunns stand Elise.
“Sie tanzt”, sagte sie leise, wie eine Statue, die man bewegt. “Sie tut, was nötig ist.” “Nötig?”, wiederholte Elisabetter. “Wissen Sie, Markus, manchmal frage ich mich, wer von uns das Experiment wirklich fortsetzt. Er oder wir? Ihr Vater ist tot.” Nein”, flüsterte sie. “Er lebt in uns weiter.
” Ein Windstoß fuhr durch die Bäume und im Wasser des Brunnens spiegelte sich der Mond, geteilt in zwei Hälften, zitternd wie ein Symbol für das, was Eichenbrunnen war. Schönheit, gebrochen an der Oberfläche. In jener Nacht begann Markus zu begreifen, dass das Testament nur der Auslöser war. Das wahre Experiment war das Leben selbst und die Zwillinge waren Versuch und Beweis zugleich.
Der Herbst senkte sich über Launenburg wie ein grauer Schleier. Nebel hing Feldern. Das Laub verfärbte sich und in den Fluren roch es nach feuchter Erde und abgestorbenem Gras. Auf Eichenbrunnen war das Leben in gewohnter Ordnung zurückgekehrt. Zumindest schien es so.
Klara von Sebach hieß nun Kara Waler, doch niemand im Haus sprach sie so an. Herr Wahler war ein häufiger, aber unbedeutender Schatten geworden. Er lebte im Westflügel, trank, hustete und schlief, während Klara die Verwaltung in eiserner Präzision weiterführte. Niemand wagte, ihre Entscheidungen in Frage zu stellen, auch nicht Britsche. Sie hatte es geschafft.
Eine Ehe, die auf Papier bestand, aber in der Praxis bedeutungslos war. Elise dagegen miet den Westflügel völlig. Sie schien sich in sich selbst zurückzuziehen, verbrachte Stunden in der alten Kapelle hinter dem Haus, manchmal mit einem Buch, manchmal nur mit gefalteten Händen. Markus sah sie oft dort, still. Wie aus der Zeit gefallen, der Blick verloren im Staub des Lichts, das durch die bleigefaßen Fenster fiel.
Manchmal sprachen sie. Eines Abends sagte sie: “Wenn meine Schwester schläft, träumt sie nicht. Sie hat die Fähigkeit verloren. Ich glaube, das ist der Preis der Macht.” Markus antwortete nicht. Er wusste, dass sie recht hatte. Die Nächte auf Eichenbrunnen waren still geworden.
Zu still, als ob selbst die Wände atmeten, aber nichts zu sagen wagten. Doch im Dezember änderte sich das. Klara begann Markus regelmäßig nach Einbruch der Dunkelheit zu sich zu rufen. Sie sagte, sie brauche ihn, um Briefe zu diktieren. Anfangs waren es harmlose Schreiben, Rechnung, Verträge, Bestellungen. Doch bald sprach sie über andere Dinge.
Ich will, dass Sie mir helfen, Markus, nicht als Schreiber, sondern als Zeuge. Ich will, dass alles, was hier geschieht, festgehalten wird. Alles, auch das, was niemand je lesen darf. Markus verstand nicht sofort, wozu? Fragte er. Weil Wahrheit Kontrolle ist, sagte sie. Mein Vater hat alles dokumentiert und das gab ihm Macht. Ich werde dasselbe tun.
Nur diesmal schreibe ich meine eigene Geschichte. Von diesem Tag an schrieb Markus fast jede Nacht Briefe, die nie abgeschickt wurden. Aufzeichnungen über Gespräche, über Stimmung, über Ereignisse, die wie zufällig wirkten, aber alle einem unsichtbaren Plan dienten. Lara diktierte in klaren, präzisen Sätzen und Markus hatte manchmal das Gefühl, sie spräche nicht zu ihm, sondern zu jemandem, den nur sie sehen konnte.
“Wenn mein Kind geboren wird”, sagte sie eines Abends, “wird es frei sein. Kein Eigentum, keine Fessel, ein neues Erbe.” Markus hielt inne. Ihr Kind, sie nickte. Sie wissen, was das bedeutet. Es war keine Frage, sondern ein Befehl. In jener Nacht verstand Markus, daß der Plan Wirklichkeit geworden war. Die Fassade der Ehe diente nur dem Schutz.
Der Rest lag in der Dunkelheit. Die Begegnungen mit Kara waren keine Zärtlichkeit, sondern Kalkül, körperliche Pflichterfüllung im Namen der Freiheit. Er hasste sich dafür und er hasste sie nicht weniger. Nach außen blieb alles unverändert. Wala sah, was er sehen wollte. eine pflichtbewußte junge Ehefrau, die ihm zu Diensten war.
Doch die Wahrheit war, er lebte bereits in einer Illusion, die Kara mit der Präzision eines Chirurgen aufrecht erhielt. Elise wusste davon. Sie sagte nichts, doch Markus sah, wie ihr Blick sich veränderte. Tiefer, dunkler, als trüge sie etwas in sich, dass sie zerfraß. Sie tut es, um uns beide zu retten, sagte sie einmal, aber sie opfert sich falsch. Was sie gebiert, wird kein Neuanfang sein, sondern eine Fortsetzung.
Markus wollte wieder sprechen, doch er wusste, sie hatte recht. Klara schrieb, Elise schwieg und Eichenbrunn atmete in dieser Spannung wie ein Körper, der kurz vor einem Fieber steht. Im Januar kam Dr. Grefeld wieder. Er untersuchte Kara, stellte fest, daß sie schwanger war und erklärte: “Alles Verlaufe nach göttlicher Ordnung.” Niemand wagte zu fragen, wessen Ordnung das wirklich war.
Von diesem Tag an veränderte sich Kara. Sie sprach weniger, arbeitete noch präziser, als müsse sie das Chaos in sich durch Kontrolle bezwingen. Elise wich ihr aus. Markus wurde zum stummen Werkzeug. Draußen lag Schnee und die Welt war weiß und still. Doch im Inneren des Hauses spannte sich ein unsichtbarer Faden, dünn wie Glas, bereit zu reißen.
Markus schrieb weiter. In seinen Aufzeichnungen stand: “Sie glauben, sie schaffen Leben, aber in Wahrheit erschaffen sie Schuld. Und Schuld ist eine Saat, die immer wieder aufgeht.” Es war der erste Satz, den er nicht für Kara, sondern für sich selbst schrieb, und er wußte, daß er das Haus eines Tages verlassen mußte, wenn er überleben wollte. Aber noch war es nicht so weit.
Noch wartete Eichenbrunn auf die Ernte seiner eigenen Sünden. Der Winter hielt das Land in einem eisernen Griff. Die Bäume standen schwarz und star gegen den grauen Himmel. Die Felder lagen still unter Schnee und selbst die Krähen verstummten, wenn der Wind vom Norden her über das Gut zog. Auf Eichenbrunnen war alles in jene kalte künstliche Ruhe gefallen, die entsteht, wenn niemand mehr wagt, die Wahrheit auszusprechen.
Klara war im fünften Monat und ihre Gestalt veränderte sich sichtbar, doch niemand erwähnte es. Sie ging täglich in den Garten, selbst bei Frost, den Mantel offen, als wolle sie den Schmerz spüren, um sich daran zu erinnern, daß sie lebte. Elise sah ihr oft vom Fenster aus zu, bleich, wortlos. Zwischen den Schwestern war eine unsichtbare Mauer gewachsen, aus Schweigen gebaut. Markus bemerkte es, doch er schwieg.
Er schrieb, was er sah, in ein geheimes Buch, das er in der alten Truhe unter den Treppen versteckte. Er nannte es die Chronik von Eichenbrunnen. Im Februar kam Herr Farler eines Morgens nicht zum Frühstück. Der Diener fand ihn im Bett, reglos, die Augen halb offen, die Haut bläulich.
Der Arzt aus Hohen Städt stellte Herzversagen fest und niemand stellte Fragen. Klara ließ ihn noch am selben Tag beerdigen, ohne Trauerkleidung, ohne Gäste, nur mit einem schwarzen Schleier über dem Gesicht. “Er hat bekommen, was er wollte”, sagte sie. Ehre, Name, Besitz. Jetzt gehört er der Erde. Elise flüsterte und wir gehören dem Fluch. Nach Wahler Tod änderte sich alles. Klara wurde unruhiger, fast rastlos.
Sie diktierte neue Anweisungen, veranlasste Umbauten, verkaufte einen Teil des Landbesitzes und ließ heimlich Materialien aus Leipzig anliefern. Medizinische Geräte, Glasgefäße, Metallrahmen, Bücher über Anatomie. Markus sah die Rechnung, aber fragte nichts. Er wusste, daß die Antwort ihn endgültig in die Dunkelheit ziehen würde.
In der dritten Märzwoche geschah das erste unerklärliche Ereignis. Die Arbeiterin Martha, die in der Wäscherei arbeitete, verschwand. Man sagte, sie sei in die Stadt gegangen, um ihre Schwester zu besuchen. Doch Markus fand am Flußufer ihren Schal, halb gefroren, halb im Wasser. Klara erklärte, es sei ein Unfall gewesen. “Niemand muss davon wissen”, sagte sie ruhig.
Doch in derselben Nacht hörte Markus Geräusche aus dem Keller, das metallische Klirren von Werkzeug, gedämpftes Flüstern, Schritte. Er schlich die Treppe hinunter, doch als er den unteren Gang erreichte, war es still. Nur ein Geruch blieb in der Luft, süßlich, scharf, wie von äter und verbranntem Öl. In den folgenden Tagen miet er die Kellerräume, doch die Stimmen kehrten zurück, immer nach Mitternacht.
Manchmal glaubte er, sie kämen aus den Mauern selbst. Einmal hörte er Elises Stimme. Du darfst das nicht. Und dann Klaras, es ist notwendig. Danach ein Geräusch, das wie ein gequälter Atemklang, halb menschlich, halb mechanisch. Am nächsten Morgen fand Markus in der Bibliothek ein neues Notizbuch auf dem Tisch. Es war nicht seines.
Auf der ersten Seite stand in Klaras Handschrift: “Jedes Leben beginnt mit einem Experiment. Darunter Tabellen, Skizzen, Aufzeichnungen über physiologische Reaktionen, Kompatibilität des Blutes und Temperaturveränderung nach Kontakt mitgas. Er legte das Buch zurück und ging hinaus in die Kälte, in die Luft, die nach Schnee roch. Draußen sah er Elise am Brunnen stehen. Ihr Blick war leer, aber ihre Hände zitterten.
“Sie tut es wieder”, sagte sie tonlos. wie er. Genau wie er. Markus trat näher. Was tut sie? Elise wandte sich ihm zu. Sie glaubt, sie könne das Leben beherrschen, aber sie bringt nur den Tod. Am selben Abend versammelte Klara die Bediensteten im großen Saal. Sie sprach ruhig, sachlich, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen.
Ab morgen wird niemand den Keller betreten. Es ist gefährlich. Feuchtigkeit, giftige Dämpfe. Ich dulde keine Verstöße. Niemand widersprach, doch Markus sah die Angst in den Gesichtern. In der Nacht schlich Elise in sein Zimmer. Ihr Gesicht war aschfahl, die Augen rot vom Wein. “Sie muss aufgehalten werden”, flüsterte sie. “Wenn sie weitermacht, wird sie uns alle vernichten.
” “Was tut sie dort unten?” Elise die Lippen zusammen. Sie will ihr Kind retten. Sie sagt, die Ärzte wissen nichts, dass nur sie weiß, wie man Leben schützt. Aber sie ihre Stimme brach. Ich habe gesehen, was sie tut, Markus. Es ist kein Leben, das sie erschafft. Es ist etwas anderes. Warum sagen Sie das mir? Weil Sie der einzige sind, der schreibt und weil jemand überleben muss, um zu erzählen, was hier geschieht.
Dann verschwand sie so leise, wie sie gekommen war. Markus ging zum Fenster. Der Schnee fiel in dichten Flocken, lautlos, unbarmherzig, und er wusste, in den Kellern von Eichenbrunnen geschah etwas, das kein Gebet mehr aufhalten konnte. Der Frühling kam spät, aber er brachte keinen Trost. Auf Eichenbrunnen schmolz der Schnee nur widerwillig und unter der weißen Decke kam etwas Dunkles zum Vorschein.
Erde, die aussah wie geronnenes Blut. Der Wind trug den Geruch von Rauch und Metall. Und manchmal, wenn Markus am frühen Morgen durch den Hof ging, glaubte er, einen schwachen Schrei aus dem Keller zu hören. Kaum mehr als ein Windstoß, aber doch menschlich. Er begann die Tage zu zählen, weil die Nächte zu lang wurden.
Elise miet inzwischen ihre Schwester völlig. Sie schlief im alten Musikzimmer, in dem früher ihre Mutter gesungen hatte und spielte auf dem verstimmten Klavier Melodien, die keinem Lied mehr gehörten. Wenn Markus sie besuchte, sprach sie kaum, aber manchmal flüsterte sie: “Es wird bald geschehen.” Eines Morgens im Mai rief Klara ihn zu sich.
Sie saß am Schreibtisch, blasser als je zuvor, die Augen tief eingesunken, aber ihr Blick war scharf wie Glas. “Sie müssen etwas für mich tun”, sagte sie. “Sie werden Zeuge sein.” Markus sah sie an, wovon? Von einer Geburt. Er spürte, wie ihm das Blut gefror. Sie wollen hier. Ich vertraue niemandem aus der Stadt. Die Ärzte verstehen nichts. Sie würden Fragen stellen.
Ich brauche sie und sonst niemanden. Er wollte widersprechen, doch ihre Stimme ließ keinen Raum. Sie haben geschworen, alles aufzuschreiben. Tun Sie es. Am 17. Mai begann das, was klarer als den Übergang bezeichnete. Draußen war der Himmel grünlich, vom nahenden Gewitter. Drinnen brannten Kerzen und die Luft roch nach Blut und Eisen.
Markus stand neben der Tür, unfähig sich zu rühren. Elise kniete bei ihrer Schwester, hielt ihre Hand, flüsterte etwas, das zwischen Gebet und Wahnsinn klang. Klara preßte die Zähne zusammen, atmete stoßweise und zwischen ihren Schreien hörte man nur das dumpfe Tropfen von Wasser aus den alten Rohren. Es dauerte Stunden, dann ein Schrei, anders als die vorherigen, kurz, scharf, fast triumphierend und danach stille. Nur das ferne Grollen des Donners.
Elise stand auf, bleich, die Hände zitternd. Klara hielt etwas in den Armen, in Tücher gewickelt. Ein Junge, sagte sie, mein Sohn. Markus trat näher, das Licht der Kerzen flackerte und im Schein sah er das Kind. Es atmete, aber es war zu still, zu starr. Seine Haut war grau, die Augen halb geöffnet, als sähen sie durch alles hindurch. Klara lächelte.
Er ist vollkommen. Elise flüsterte. Er ist tot. Nein, sagte Klara mit einer Ruhe, die schlimmer war als Wahnsinn. Er schläft. Sie nahm das Kind, wickelte es fester ein und befahl Markus zu schreiben. Heute am 17. Mai 1849 ist auf Eichenbrunn ein neuer Erbe geboren, gesund, stark. Er schrieb die Worte, wie sie sie diktiert hatte, und wusste doch, dass jede Silbe eine Lüge war.
Am nächsten Tag verließ Elise das Zimmer nicht. Markus hörte sie sprechen, leise wie zu jemand unsichtbarem. Klara dagegen ging im Garten spazieren, als sei nichts geschehen. Sie trug ein helles Kleid, hielt einen Sonnenschirm und in ihren Armen lag das Kind still wie eine Puppe. Die Bediensteten wichen ihr aus. Niemand wagte sie anzusehen.
In den folgenden Tagen begann sich der Geruch zu verändern. süßlich, schwer, wie von verwälenden Blumen und altem Fleisch. Markus konnte ihn nicht ertragen. Eines Nachts, als das Haus schlief, schlich er sich in das obere Zimmer. Klara lag im Bett, das Kind in ihren Armen.
Das Licht der Kerze fiel auf das kleine Gesicht. Es war blass, eingefallen, die Lippen blau. Er trat einen Schritt näher, da öffnete Klara die Augen. “Was tun Sie hier?” “Er atmet nicht”, flüsterte Markus. Sie setzte sich auf, das Kind feste an sich gedrückt. “Er schläft”, wiederholte sie. Er wird wieder atmen. Ich habe ihn nicht geboren, damit er stirbt.
Sie müssen es loslassen. Sie sah ihn an und in diesem Blick war nichts menschliches mehr. Ich habe ihm Leben gegeben und ich werde es ihm nicht nehmen. Wenn Gott mich prüft, dann soll er sehen, dass ich stärker bin. Er wich zurück. Elise stand plötzlich hinter ihm. Gehen Sie, sagte sie. Ich bleibe bei ihr. Am nächsten Morgen war Kara verschwunden.
Ihr Bett war leer, das Fenster offen. Draußen führte eine Spur von Schritten über den gefrorenen Rasen bis zum alten Brunnen. Am Rand lag das Tuch, in das Kind gewickelt gewesen war. Man suchte sie drei Tage lang. Am vierten Tag fand man sie im Wasser, die Hände um den Körper des Kindes geschlungen, als wolle sie es wärmen. Ihr Gesicht war friedlich, zu friedlich.
Elise stand am Brunnen, als man die Leichen heraufzog. Sie sagte: “Nichts, kein Schrei, keine Trähne. Nur jetzt schläft sie wirklich.” In der folgenden Nacht brannte im Arbeitszimmer Licht. Markus trat ein. Elise saß am Schreibtisch vor ihr die alten Aufzeichnungen, die Chroniken des Vaters, Kasas Bücher, seine eigenen Notizen. “Was tun Sie?”, fragte er. “Ich beende es”, sagte sie, “Ein für alle Mal.
” Dann nahm sie eine Kerze, hielt sie an das Papier, das Feuer fraß die Seiten, das Wachs tropfte, der Rauch zog langsam zur Decke. Markus sah zu, wie ein Jahrhundert von Warn, Schuld und Schmerz zu Asche wurde. “Sie hätten das retten können”, flüsterte er. Nein, sagte Elise, man kann nur retten, was noch lebt.
Und während draußen der Wind die Asche in den Himmel trug, begann das Herrenhaus Eichenbrunn zu brennen. Das Feuer breitete sich mit einer Geschwindigkeit aus, die niemand für möglich gehalten hätte. Die Vorhänge fingen zuerst, dann die Regale, die alten Bücher, die Tinte, das Öl in den Lampen.
Alles brannte, als hätte das Haus selbst beschlossen. Endlich. zu sterben. Der Himmel über Eichenbrunnen leuchtete blutrot und die Glocken der Stadthohen Städt begannen zu leuten, lange bevor jemand den Brand überhaupt erreicht hatte. Markus rannte durch den Korridor. Die Luft war schwarz vom Rauch, die Hitze schnitt in seiner Haut wie Messer.
Er rief nach Elise, doch sie antwortete nicht. Flammen leckten an den Wänden. Das Holz ächzte, als würde es schreien. Im Arbeitszimmer fand er sie. Sie stand am Fenster, den Blick auf das brennende Dach gerichtet. Das Licht des Feuers spiegelte sich in ihren Augen.
Vor ihr auf dem Tisch lag das letzte Notizbuch, dass sie nicht verbrannt hatte, das von Markus. “Sie müssen gehen”, sagte sie ruhig. “Es gibt nichts mehr, was ich retten will.” “Kommen Sie mit”, rief er. “Nein”, sagte sie. Ich bin der Rest des Experiments. Wenn ich gehe, lebt es weiter. Wenn ich bleibe, endet es hier. Elise, das ist Wahnsinn. Nein, flüsterte sie. Es ist Gerechtigkeit. Dann nahm sie das Notizbuch, drückte es ihm in die Hand und schob ihn zur Tür.
Sie sind der Zeuge. Sie müssen schreiben. Sagen Sie ihnen, dass wir nicht Monster waren, nur Spiegel. Er wollte sie nicht zurücklassen, doch das Feuer verschlang bereits die Türrahmen. Der Rauch nahm ihm die Luft, das Holz splitterte über ihm und er stolperte hinaus in den Flur, stolperte weiter, bis er im Hof stand.
Hinter ihm stürzte der Dachfürst ein, eine glühende Mauer aus Licht und Staub. Elise blieb. Er sah ihre Silhouette noch einen Augenblick lang hinter dem Fenster, aufrecht, unbewegt. Dann verschwand sie in den Flammen. Als die Feuerwehr aus Hohenstedt eintraf, war vom Herrenhaus nur noch ein brennendes Gerpe übrig.
Man fand später drei Körper, zwei Frauen, eine im Obergeschoss, eine im Brunnen und den dritten unkenntlich im Keller. Niemand konnte sicher sagen, wer wer war. Die Behörden erklärten den Brand als Unfall. Ein umgestürztes Öllämpchen hieß es. Das Gut ging in den Besitz der Krone über. Später wurde es verkauft, dann abgerissen. Doch Markus lebte.
Man fand ihn bewusstlos am Waldrand, mit Verbrennungen an den Händen, das Gesicht schwarz vom Rauch, das Notizbuch fest an sich gepresst. Drei Wochen später erwachte er in einem Hospital in Leipzig. Er sprach kaum, antwortete nur mit kurzen Sätzen und wenn man ihn nach Eichenbrunn fragte, sagte er immer dasselbe.

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