
Natürlich, sagte Elena, doch ihr Herz schlug schneller. Am Wochenende ging sie wie gewohnt auf den Markt. Am Stand einer alten Kräuterfrau namens Roswita Leitner kaufte sie Kamillentee. Die Frau, eine kleine drahtige Gestalt mit Adlerblick, beugte sich zu ihr. “Sie sind die neue Lehrerin.” “Ja.” “Seien Sie vorsichtig.” Elena erstarrte.
Warum? Rosvita schaute sich mißstrauisch um. Zu viele Menschen sind hier verschwunden. Immer an Freitagen oder Samstagen. Immer dann, wenn die Steinbergers ihre große Produktion vorbereiten. Elena fühlte, wie ihr Magen sich zusammenzog. “Was meinen Sie damit?” “Ich sage nichts”, flüsterte die Alte. “Ich beobachte nur.
” Dann drehte sie sich abrupt weg. Als Elena den Marktplatz verließ, kreuzte Matthias erneut ihren Weg, als hätte er auf sie gewartet. Alles in Ordnung, Fräulein Fuchs. Natürlich, murmelte sie. Doch ein mulmiges Gefühl blieb. In jener Nacht, es war ein Freitag, saß sie am Schreibtisch und korrigierte Aufsätze, als sie draußen das Knarren von Rädern hörte. Sie trat ans Fenster.
Ein Pferdewagen, beladen mit einem langen, dunklen Bündel, hielt vor der Metzkerei. Ernst und Matthias luden es schweigend ab, ihre Bewegungen ruhig, geübt. “Warum um diese Uhrzeit?”, fragte sie sich. Ihr Herz raste. Das Bündel hing schwer durch. “Zu schwer für ein Tier.” Ohne weiter nachzudenken, nahm sie ihren Mantel, schlich die Treppe hinunter und schlüpfte in die dunkle Gasse.
Der nächtliche Wind roch nach kaltem Stein und feuchtem Holz. Hinter der Metzkerei brannte schwaches Licht. Elena suchte sich einen Platz unter einem Fenster, dessen Holzrahmen Risse hatte. Sie hörte Stimmen, dann das metallische Schaben eines Messers. Vorsichtig sah sie durch einen Spalt und erstarrte. Auf dem massiven Holztisch lag ein menschlicher Körper, nackt, bewegungslos, die Haut grau vom Tod.
Ernst stand gebeugt darüber, vollkommen konzentriert, während Matthias die Gliedmaßen festhielt. Kein Wort, nur das rhythmische Geräusch eines scharfen Messers, das Fleisch von Knochen trennte. In einer Ecke kniete Gertrud und murmelte ein Gebet, den Rosenkranz fest umklammert. Elena schlug die Hand vor den Mund. Ihr wurde übel. Die Bratwürste, dachte sie.
Mein Gott. In diesem Moment rutschte ihr Fuß gegen einen Blecheimer, der klirrend umkippte. Das Geräusch durchschnitt die Stille wie ein Peitschenhieb. Matthias, rief ernst, da draußen ist jemand. Elena rannte los, das Herz wie ein wilder Hammer. Hinter ihr hörte sie Schritte, die sich in den Kies bohrten.
“Es war eine Frau”, hörte sie Matthias rufen. “Ein Mantel.” Doch da hatte sie bereits die Haustür ihrer Dienstwohnung erreicht, schloss sie, verriegelte sie und schob einen Stuhl davor. Ihr Atem ging stoßweise. “Was sollte sie tun?” Der örtliche Polizist Hans Reisinger war ein enger Bekannter der Steinbergers.
Wohlhabende Familien hatten Einfluss. In einem kleinen Ort wie St. Marinfels, sogar noch mehr. Wenn er Teil des Schweigens war und alles deutete daraufhin, würde er sie nicht schützen. Also verbrachte sie die Nacht wach, ein Küchenmesser in der Hand und betete, dass niemand ihre Tür aufbrechen würde.
Dreimal hörte sie Schritte draußen, einmal das Flüstern zweier Männer. Erst im Morgengrauen wurde es still. Als das erste Sonnenlicht durch ihre Fenster fiel, wußte Elena, sie mußte fliehen und zwar sofort. Elena wartete, bis die Sonne vollständig aufgegangen war, doch ihr Herz schlug weiterhin unruhig, als würde es jeden Moment ausbrechen.
Der Gedanke an die vergangene Nacht ließ sie zittern. Immer wieder sah sie das Bild vor sich, den Totenkörper auf dem Tisch, das blutige Messer in Ernsthand, Matthias unbewegte Miene, Gertruds geflüsterte Gebete. Sie durfte keine Zeit verlieren. Der erste Bus nach Regensburg fuhr kurz nach 6 Uhr morgens durch den Ort. Wenn sie ihn erreichte, konnte sie dort Hilfe suchen.
Echte Hilfe von Behörden außerhalb der Reichweite des Steinbergers. Sie packte hastig eine kleine Tasche, steckte Johannes Meindels Notizbuch ein, nahm das Küchenmesser mit und verließ die Wohnung so leise wie möglich. Die Straßen waren Menschen leer, nur ein paar Krähen krächzten auf den Dachfürsten. Die Luft roch nach feuchtem Tau und Holzrauch.
Kaum war sie auf dem Weg zur Haltestelle, als sie plötzlich Schritte hörte. Sie wandte sich um. Niemand. Doch dann wieder Schritte. Leicht. vorsichtig. Sie beschleunigte ihr Tempo, hörte das Pochen in ihren Ohren. Als sie den Marktplatz erreichte, sah sie jemanden auf der anderen Seite, Matthias Steinberger. Er stand reglos da, die Hände in den Taschen seines dicken Arbeitsmantels, den Blick fest auf sie gerichtet.
“Fräulein Fuchs”, rief er mit einer überraschend sanften Stimme. “Wohin so früh?” Elena antwortete nicht. Sie ging weiter, zügig, ohne anhalten zu wollen. Doch Matthias blieb plötzlich nicht mehr allein. Ernst trat aus einer Seitengasse und blieb mitten auf der Straße stehen. Sein Gesicht war ausdruckslos, zu ausdruckslos.
“Es ist gefährlich, so früh herumzulaufen”, sagte er. Der Ton war ruhig, doch jeder Muskel seines Körpers schien angespannt. Elena wich zurück, drehte sich um und lief so schnell sie konnte. Sie bog in die kleine Gasse rechts vom Bäcker ab, presste sich hinter eine Regenrinne und hielt den Atem an. Schritte näherten sich erneut, aber sie gingen an der Kreuzung vorbei.
Als der Bus endlich in der Ferne auftauchte, rannte sie aus ihrem Versteck, schwenkte die Arme und schrie: “Halt, bitte!” Der alte Fahrer, ein grauhaariger Mann mit dicker Brille, hielt widerwillig an. “Was ist denn los, Fräulein?”, fragte er überrascht, als sie keuchend einstieg. “Bitte fahren Sie einfach los”, sagte sie atemlos. “Sofort.” Er zuckte die Schultern, schloss die Tür und lenkte den Bus weiter.
Elena sinkte in einen Sitz am hinteren Ende. Der Bus rumpelte durch das verschlafene Städtchen und sie wagte nicht, aus dem Fenster zu blicken. Doch sie tat es trotzdem und sah, wie der Metzgerwagen der Steinbergers in einer Querstraße stand. Ernst saß am Steuer. Matthias stand hinten auf dem Trittbrett, die Hand an der Ladeplane und sah den Bus hinterher.
Der Wagen blieb stehen, doch der Blick in Matthias Augen war ein Versprechen, ein stilles, tödliches Versprechen. Elena klammerte sich an den Sitz. Der Bus fuhr weiter. Kilometer um Kilometer. Der Wald nahm zu. Die Häuser verschwanden. Endlich erlaubte sie sich auszuatmen. Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange. Etwa 10 km außerhalb von St.
Marienfels stoppte der Bus unerwartet an einem Kontrollpunkt. Zwei Beamte der bayerischen Landespolizei standen neben einem Motorrad und winkten den Bus zur Seite. Der Fahrer öffnete das Fenster. “Alles in Ordnung, Herr? Wir suchen nach einer jungen Frau”, sagte der ältere Polizist. “Sie wird vermisst. Beschreibung folgt.” Elena fühlte, wie ihr Blut gefror.
Der Polizist zog ein Blatt hervor. Weiblich, etwa, dunkles Haar, schlank, möglicherweise verwirrt oder in Gefahr. Der Fahrer sah in den Rückspiegel, direkt auf sie und in diesem Moment bemerkte Elena etwas Entsetzliches. Am Gürtel des Polizisten hing ein Päckchen, ein weißes Papierpaket mit rotem Bindfaden, ein Steinberger Bratwurstpaket, genau dieselbe Art, die sie selbst erst vor Tagen gekauft hatte.
Der Polizist folgte ihrem Blick, lächelte flüchtig und klopfte auf das Paket. Die besten Würste der Region. Die Steinbergers wissen, was sie tun. Es war, als würde die Welt für einen Moment wanken. Elena verstand. Der Einfluss der Metzgerfamilie reichte viel weiter, als sie gedacht hatte. Der Fahrer blickte erneut zu ihr.
Sein Gesicht war schwer zu lesen, doch dann sagte er: “Keine junge Frau hier hinten, nur Stammkunden, die zur Arbeit müssen.” Der Polizist nickte. “Alles klar, gute Fahrt.” Als der Bus weiterfuhr, brach Elena fast zusammen. Der Fahrer wartete, bis sie allein in der hinteren Reihe war und stellte dann eine Frage, die sie überraschte.
“Sind Sie in Schwierigkeiten, Fräulein?” Ja, hauchte sie, sehr großen. Er nickte langsam, als hätte er so etwas schon geahnt. “Ich kann Sie nicht weiterfahren, wo Sie hin möchten”, sagte er. “Der Bus wird später kontrolliert, das weiß ich jetzt schon.” Elena spürte Panik. “Bitte setzen Sie mich nicht wieder aus. Beruhigen Sie sich.
Ich setze Sie nicht aus, aber ich kenne jemanden, der Ihnen helfen kann.” Er fuhr den Bus an den Straßenrand einer breiten Kreuzung, wo ein großes Feld begann. “Dort wohnt ein Mann namens Pfarrer Josef Brandner”, erklärte er. Er ist Pfarrer einer kleinen Feldkapelle. Er hat schon vielen geholfen, die Ärger hatten oder schlimmeres. Elena nickte zögerlich, dann stieg sie aus.
Der Motor brummte, der Bus fuhr davon und sie blieb allein auf dem stillen Feldweg zurück. In der Ferne ragte eine alte Kapelle aus Stein auf, wie ein Relikt vergangener Jahrhunderte. Der Wind trug den Duft von nassem Holz und feuchter Erde zu ihr. Elena lief los. Jeder Schritt ließ das Gefühl stärker werden, dass jemand sie verfolgte.
Als sie die schwere Holztür der Kapelle erreichte und klopfen wollte, hörte sie eine Stimme hinter sich. Suchen Sie Zuflucht, Kind. Ein alter Priester stand im Schatten des Portals. Seine Augen waren klar und wachsam. Elena nickte. “Bitte, sie wollen mich töten. Kommen Sie herein”, sagte Pfarrer Brandner. “Die Steinbergers haben lange genug Unheil angerichtet.
” In diesem Moment wußte Elena, der Albtraum war noch lange nicht vorbei, doch sie war endlich nicht mehr allein. Farer Brandner führte Elena in das Innere der Kapelle, deren Wände nach kaltem Stein, Kerzenwachs und dem leichten Moderuch alter Gewölbe rochen. Das Innere war schlicht, aber gepflegt. Ein hölzerner Altar, eine Christusstatue aus dem 18. Jahrhundert.
zwei Reihen abgewetzter Bänke. Das flackernde Licht einer einzelnen Kerze warf lange Schatten an die Wände. Der Priester schloss die schwere Tür hinter ihn und legte den Riegel vor. “Hier drinnen findet sie niemand so schnell”, sagte er ruhig. “Aber erzählen Sie mir alles, was Sie gesehen haben.” Elena fühlte, wie ihre Knie weich wurden.