Was würdest du tun, wenn du herausfindest, dass die unheimlichen Legenden über eine zurückgezogen lebende Familie, tief in den Bergen Thüringens keine bloßen Schauermärchen waren, die man Kindern erzählte, um sie zu erschrecken, sondern dokumentierte Fälle, die die Behörden seit Jahrzehnten zu verbergen versucht hatten.
Die Luft wird schwerer, je näher wir dem verlassenen Anwesen der Familie Schwarzwald kommen, einem weitläufigen Bauernhaus tief im Thüringer Forst, wo sich die Grenzen zwischen Abgeschiedenheit und Verderbnis zu etwas Unvorstellbarem vermischten.

Das verwitterte Gebäude steht da wie ein Denkmal des Grauens, das viele Einheimische noch immer nicht anerkennen wollen. Die Balken ächzen unter dem Gewicht von Geheimnissen, die sich über drei Generationen erstrecken. Wenn dich historische Untersuchungen dieser Art faszinieren, begleite uns auf unserer Reise in die dunkelsten vergessenen Winkel Deutschlands.
Die erste offizielle Erwähnung der Familie Schwarzwald findet sich im Kreisregister von 1903, als Friedrich Schwarzwald nahezu 500 Morgen abgelegenes Waldland Bar bezahlte. Eine Summe, deren Herkunft niemand erklären konnte. Laut den Unterlagen des Landamtes kam Schwarzwald mit seiner Frau Margarete und ihren sieben Töchtern, alle zwischen vier und 16 Jahren alt.
Der Kauf erregte damals wenig Aufsehen, da viele Familien nach dem Kaiserreich den Wunsch nach Selbstversorgung fernab der aufkommenden Industrialisierung hegten. Die lokale Zeitung der Thüringer Boote erwähnte die neuen Ankömmlinge nur kurz, bemerkte jedoch, daß Herr Schwarzwald den Wunsch nach völliger Zurückgezogenheit äußerte.
und beabsichtigte ein autes Gehöft fernab der verderblichen Einflüsse der modernen Gesellschaft zu errichten. Der ehemalige Kreisbeamte Heinrich Jansen, dessen Großvater die ursprüngliche Urkunde bearbeitete, stellte unserem Forschungsteam vergilbte Dokumente aus dem Familienarchiv zur Verfügung.
Sie zeigen, daß Schwarzwald fast den doppelten Preis zahlte unter der Bedingung, dass keine Fragen zu seinem früheren Wohnort oder Beruf gestellt würden. In privaten Notizen, die nie zuvor veröffentlicht wurden, beschrieb der Beamte den Patriarchen als Mann von einschüchternder Erscheinung mit eigenartigen religiösen Vorstellungen, der seine Töchter ungewöhnlich still und gehorsam hielt.
Margarete Schwarzwald unterschrieb ihren Teil der Papiere nur mit einem einfachen Kreuz, was auf Analphabetismus oder etwas weitaus beunruhigenderes über ihre Rolle in der Familie hindeutet. Die Schwarzwalds verschwendeten keine Zeit, ihre Abgeschiedenheit zu festigen.
Innerhalb weniger Monate errichteten sie ein zweistöckiges Wohnhaus und mehrere Nebengebäude, ohne örtliche Arbeiter zu beschäftigen. Lieferaufzeichnungen des Generalwarenhauses in Ilmenau zeigen umfangreiche Bestellungen von Werkzeugen, Baumaterialien und Vorräten, deren Transport allein eine beträchtliche Arbeitskraft erfordert hätte.
Dennoch berichtete niemand, jemals jemanden außer Friedrich Schwarzwald selbst gesehen zu haben, der die Lieferungen abholte. In den Kassenbüchern des Geschäfts finden sich handschriftliche Anmerkungen, die sich wundern, wie ein einzelner Mann gusseiserne Öfen, Bettgestelle und andere schwere Gegenstände allein transportieren konnte.
Der ehemalige Postbote Karl Weigel, dessen Vater damals die Route bediente, die am Schwarzwaldhof vorbeiführte, übergab uns Auszüge aus dessen Tagebuch. Darin schrieb er: “Drei Jahre lang Briefe zugestellt, nie eine Frau gesehen, obwohl ich weibliche Stimmen im Haus hörte. Schwarzwald trifft mich immer am Waldrand, lässt mich nie bis zum Hof. Er nimmt nur Zeitungen, lehnt Einschreiben ab.
” Einmal im April 1907 hörte ich ein Weinen aus der Scheune. Er sagte, es sei ein Kalb, das nach seiner Mutter ruft. Aber ich habe genug Viiegeburten gehört, um den Unterschied zu kennen. Das war kein Tier. Doch ohne Beweise oder richterlichen Beschluss blieb alles beim Alten. Der erste Hinweis auf etwas Unheimliches kam im Winter 1908, fast 5 Jahre nach ihrem Einzug.
Laut den erhaltenen medizinischen Aufzeichnungen wurde der Landarzt Dr. Samuel Petersen in einer Schneenacht auf das Anwesen gerufen, angeblich wegen einer komplizierten Geburt. Seine Aufzeichnung bis 1965 versiegelt, schildern, dass nicht Margarete, sondern die älteste Tochter Anna, 21 Jahre alt, in den Wehen lag.
Der Arzt vermerkte, dies war eindeutig nicht ihre erste Schwangerschaft, obwohl es keine Eintragung einer Eheschließung gibt. Auf meine Frage nach dem Vater reagierte Herr Schwarzwald feindselig und mahnte: “Ich sollle mich um die Medizin kümmern, nicht um Moral.
” Was mich am meisten beunruhigte, war das Zittern des Mädchens, als der Vater den Raum betrat. Kein Zeichen von Trost, sondern blanke Angst. Das Kind kam gesund zur Welt. ein Junge. Doch der Bericht des Arztes endet mit einem Satz, der später von größter Bedeutung sein sollte. Im Flur sah ich sechs weitere junge Frauen, zwei davon offensichtlich schwanger.
Ich wurde hinausbegleitet mit den Worten: “Dies sei eine gottgeweihte Familie, in die Fremde nicht eindringen dürften.” Dr. Peterson meldete seine Bedenken der Kreisverwaltung. Einen Monat später erschien der Hilfscheriff Wilhelm Hartmann. Sein Bericht umfaßte ganze drei Sätze. Familie unauffällig, Haus sauber, keine Hinweise auf Not.
Später stellte sich heraus, dass Schwarzwald regelmäßig großzügige Spenden an die Polizei und das Rathaus entrichtete. Ein Muster von Schweigen und Bestechung, das Jahre anhalten sollte. Was man als nächstes fand, sollte alles verändern, was man über die Abgeschiedenheit der Familie Schwarzwald zu wissen glaubte. Im Herbst des Jahres entdeckte ein Jäger namens Johannes Müller einen kleinen versteckten Friedhof am Rand des Schwarzwaldbesitzes.
Zwischen verwildertem Gestrüpp und dichtem Fahn standen elf grob gezimmerte Holzkreuze ohne Namen nur mit Jahreszahlen. Einige Gräber waren so klein, dass sie kaum Platz für ein Kind boten. Müller gab später unter Eid an, dass er seinen Fund dem damaligen Landrat gemeldet habe. Doch dieser soll nur gesagt haben, was die Schwarzwald auf ihrem Land tun, ist ihre Sache.
Wenn sie ihre Toten selbst begraben, ist das kein Verbrechen. Der Vorfall wurde nie offiziell untersucht. Alles wäre vielleicht vergessen worden, hätte nicht die große Dürre von 1911 die Familie gezwungen, ihr Gebiet zu verlassen, um Wasser zu suchen. Während eines dieser Ausflüge begegnete die 16-jährige Elisabeth Schwarzwald einem wandernden Bibelverkäufer namens Georg Hartwig.
Hartwig beschrieb das Mädchen später in einem Brief an seinen Bruder als scheu, bleich und so unwissend über die Welt, dass es fast kindlich wirkte. Sie bat ihn um Bücher, bat ihn jedoch inständig, ihrem Vater nichts von der Begegnung zu erzählen. Hartwig, beunruhigt von ihrer Angst, begann ihr heimlich Lesestoff unter einem markanten Felsen nahe des Grundstücks zu hinterlassen.
In den folgenden Wochen tauschten sie dort Briefe aus. Briefe, die später zum wichtigsten Beweismaterial in einem der schrecklichsten Fälle deutscher Kriminalgeschichte werden sollten. Elisabeth schrieb, dass ihr Vater predigte, die Außenwelt sei von Sünde verdorben und Gott habe ihm befohlen, eine reine Blutlinie zu schaffen, die allein die bevorstehende Apokalypse überstehen würde.
Wenn jede meiner Schwestern 13 Jahre alt wird, schrieb sie, führt Vater sie in den östlichen Flügel, in das besondere Zimmer, wo sie ihre göttliche Pflicht erfüllen muss. Sie berichtete, dass ihre Mutter einst versucht habe, das aufzuhalten, doch Friedrich habe sie in den Wurzelkeller gesperrt. Sie kam nach Wochen wieder heraus, aber sie sprach nie mehr gegen ihn.
Die Briefe enthüllten eine düstere Lehre, die Friedrich Schwarzwald vollständig selbst erfunden hatte. eine Religion, die Reinheit durch Verwandtschaft forderte. Elisabeth berichtete von Schwangerschaften ihrer Schwestern, von todgeborenen Kindern und von kleinen Gräbern hinter dem Haus. Vater sagt, die Schwäche der Kinder kommt, weil das Blut zu rein ist, schrieb sie, und dass die, die sterben, von Gott zurückgeholt werden, um wiedergeboren zu werden, wenn die Welt gereinigt ist. Sie berichtete auch, daß ihr Vater
plante, ihren Neffen, den Sohn der ältesten Schwester Anna, in die Lehre zu nehmen, sobald dieser 16 werde. Dann soll er die Linie fortführen, falls Vater etwas geschieht. Ihr letzter Brief endete mit einem flehlichen Aufruf. Ich werde im Frühling fliehen bei der nächsten Wasserexpedition. Wenn du bis zum 1.
Mai nichts von mir hörst, geh nach Erfurt. Nicht zum Landrat. Er ist bezahlt. Geh zur Landesbehörde. Bitte rette uns. Georg Hartwig erhielt nie eine Antwort. Wochenlang wartete er, doch als keine Nachricht kam, machte er sich schließlich auf den Weg nach Erfort und berichtete den Behörden von seinen Verdachtsmomenten.
Doch die Bürokratie und die Spannungen in den Vorkriegsjahren verzögerten alles. Zuständigkeiten wurden hin und her geschoben. Erst vier Jahre später, im Sommer 1915 begann endlich eine offizielle Untersuchung. Geleitet wurde sie von Landesinspektor Jakob Maurer, einem gewissenhaften Mann, dessen Notizen später die Grundlage für das gesamte Schwarzwaldsier bilden sollten.
Maura begann mit Befragungen in den umliegenden Dörfern. Viele Bewohner gaben an, die Familie seit Jahren nicht gesehen zu haben, doch es kursierten Gerüchte über seltsame Gesänge, über Rauch aus der Scheune zu ungewöhnlichen Zeiten und über Lichter, die in den Nächten des Neumondes aus dem Wald kam.
Einige sagten, man solle die Schwarzwalds in Ruhe lassen, weil sie fromm sind. Andere sprachen von Furcht, Furcht vor Friedrichs Zorn, Furcht vor seinem Einfluß. Maura notierte: “Die Gemeinde hat über Jahre eine Kultur des Wegsehens entwickelt. Geld, Schweigen und Aberglaube bilden eine Mauer, stärker als jedes Gesetz.” Schließlich erwirkte er einen Durchsuchungsbefehl.
Am 14. Juni 1915 traf sein Team auf dem Anwesen ein. Was sie dort fanden, sollte sie ein Leben lang verfolgen. Das Hauptgebäude war verlassen. Der Staub lag dick auf den Böden, doch in der Küche stand noch ein Topf mit eingetrockneter Suppe. Auf dem Tisch lagen Gebetsbücher, aufgeschlagen, als hätte jemand sie hastig verlassen.
Im westlichen Flügel fand man das Schlafzimmer des Patriarchen akribisch ordentlich an den Wänden Zitate aus handgeschriebenen Schriften, die Maurer später als eine verstörende Mischung aus Bibelzitaten, altem Volksglauben und völligem Wahn bezeichnete. Im südlichen Flügel entdeckten sie Schlafräume, jeweils schlicht mit sieben Betten.
Im nördlichen Flügel befand sich eine Art Kinderstube, elf kleine Betten, einige mit zerfetzten Decken. Doch am schlimmsten war der östliche Flügel, dessen Tür mit einem schweren Eisenriegel verschlossen war. Als die Männer sie aufbrachen, fanden sie ein Zimmer, das wie ein grotesker Schrein wirkte. In der Mitte ein Bett mit weißen Laken, daneben ein einfacher Holzalar, auf dem ein Ledergebundenes Buch lag.
An den Wänden hing eine Vielzahl handgeschriebener Verse in schwarzer Tinte. Keiner davon aus bekannten religiösen Texten. Das Buch druck den Titel Reinheit durch Blut und war von Friedrich Schwarzwald selbst verfasst. Es enthielt 12 Jahre seiner Aufzeichnung, eine Mischung aus religiösem Wahn und erschütternder Systematik.
Seite für Seite beschrieb er sein Ziel: “Gott hat mich erwählt, das Menschengeschlecht zu reinigen. Das Blut soll sich schließen, bis kein Makel bleibt.” Maura hielt inne, als er diese Worte las. Was hier geschah, notierte er später, übersteigt jede Vorstellung von menschlicher Grausamkeit, weil sie im Namen des Göttlichen begangen wurde. Im Keller unter dem Haus fanden Maurer und seine Männer etwas, das den Verlauf der gesamten Untersuchung verändern sollte.
Hinter einer falschen Wand, verborgen hinter Holzverschalung und alten Fässern, entdeckten sie eine kleine Kammer. Der Geruch war unerträglich, eine Mischung aus Moder, Schimmel und menschlichem Verfall. Dort, angekettet an einen Balken, saß Margarete Schwarzwald, die Ehefrau des Patriarchen. Sie war kaum mehr als eine Hülle, abgemagert, bis auf die Knochen, mit leerem Blick, der ins nichts starrte.
Laut dem medizinischen Bericht mußte sie über sieben Jahre in dieser Dunkelheit überlebt haben, bei minimaler Nahrung und völliger Isolation. Ihre Hände waren vernabbt, die Finger deformiert, als hätte sie jahrelang versucht, sich loszureißen. Als die Männer sie befreiten, murmelte sie unverständliche Sätze, immer wieder dieselben Worte. Er sagt: “Es ist Gottes Wille. Die Mädchen weinen nicht mehr.
Erst Wochen später, als sie in der Heilandstalt von Weimer wieder zu sprechen begann, erzählte sie bruchstückhaft, was auf dem Hof geschehen war. Friedrich Schwarzwald hatte seine Lehre schon vor dem Umzug in die Berge begonnen. Die älteste Tochter Anna war bereits vor der Übersiedlung schwanger gewesen. Margarete hatte versucht mit den Kindern zu fliehen, doch Friedrich hatte sie gefasst und eingesperrt.
Seitdem hatte sie nur noch gehört, nie mehr gesehen, was oben im Haus geschah. Sie erzählte, dass er den Mädchen sagte, sie seien die Mütter der neuen Welt, dass er sie einzeln in den östlichen Flügel brachte, begleitet von Gebeten und seltsamen Gesängen. Wenn ein Kind geboren wurde, war es still im Haus, aber am nächsten Tag hörte sie Schaufeln im Garten.
Die Behörden starteten daraufhin eine groß angelegte Suchaktion im Umkreis von mehreren Kilometern. Man fand 17 Gräber, einige alt, andere frisch. In mehreren lagen Überreste von Neugeborenen, sorgfältig eingewickelt in Tücher. Doch weder Friedrich Schwarzwald, noch eine seiner Töchter oder die überlebenden Kinder wurden gefunden.
Es war, als wäre die gesamte Familie im Wald verschwunden. Die Ermittlungen zogen sich bis 1921 hin. Dann wurde der Fall Mangels Ergebnissen eingestellt. Die Akten verstaubten in den Archiven und das Land versank im Chaos der Nachkriegszeit. Erst 25 Jahre später kam neuer Wind in die Sache durch Zufall. Im Jahr 1946 führte eine Routineprüfung der unbeanspruchten Schließfächer bei der Erfurter Volksbank zu einer schockierenden Entdeckung.

In einem Fach, das auf den Namen Friedrich Schwarzwald registriert war, fanden sich ein handgezeichneter Plan und mehrere Dokumente. Der Plan zeigte die Lage von drei weiteren Anwesen. Eines im Erzgebirge, eines in der Röhen und eines im Schwarzwald. Die Unterlagen belegten, daß sie auf falsche Namen erworben worden waren. Außerdem befand sich darin ein Brief mit der Aufschrift, an den Finder, der bereit ist, die Wahrheit zu erkennen.
Der Brief begann mit den Worten: “Ich habe Gottes Werk vollendet. Mein Blut fließt nun in vielen Linien und die Reinheit wächst im Verborgenen. Niemand kann sie aufhalten. Die Ermittler vermuteten zunächst einen Schwindel, doch ein Vergleich der Handschrift mit den alten Tagebüchern bestätigte zweifelsfrei, dass es sich um Friedrich Schwarzwald selbst handelte.
In den folgenden Monaten entsandte man eine Sonderkommission, die die drei Grundstücke überprüfte. Was sie in den entlegenen Taylorn fanden, war unbeschreiblich. In den Ruinen der Häuser lebten noch immer Menschen.
Nachkommen der ursprünglichen Töchter Schwarzwald in abgeschlossenen Gemeinschaften, die kaum Kontakt zur Außenwelt hatten. Manche sprachen einen seltsam veralteten Dialekt, andere wirkten geistig zurückgeblieben. Ärzte, die hinzugezogen wurden, stellten fest, dass viele der Kinder schwere genetische Fehlbildungen aufwiesen. Missbildungen der Gliedmaßen, eingeschränkte geistige Entwicklung, deformierte Gesichter. Eine Ärztin namens Dr.
Helene Richter schrieb in ihrem Bericht: “Was wir hier sehen, ist die medizinische Folge jahrzehntelanger Inzucht, aber noch schlimmer ist der geistige Zustand dieser Menschen. Sie glauben fest, auserwählt zu sein. Sie nennen sich das reine Haus und beten zu einem Gott, den sie nur den Vater nennen. Insgesamt wurden 73 Überlebende identifiziert. Viele mussten in psychiatrische Einrichtungen gebracht werden.
Die Erwachsenen, die bewusst an den Ritualen teilgenommen hatten, wurden wegen schwerer Vergehen angeklagt, aber die meisten galten als unzurechnungsfähig. Einige erzählten, sie hätten ihr Leben lang nie fremde Menschen gesehen. “Der Vater hat uns gesagt, die Welt draußen ist verdorben”, sagte eine der älteren Frauen. “Und nur wer das Blut reinhält, wird das Ende überstehen.
” Friedrich Schwarzwald selbst blieb verschwunden. Die letzte bekannte Spur führte nach Bayern, wo er im Jahr 1932 unter einem falschen Namen ein Grundstück gekauft hatte. Danach verliert sich jede Spur. Die Akte wurde im Jahr 1960 geschlossen, doch die Geschichte war noch lange nicht zu Ende. In den späten 40er Jahren tauchten erste Berichte über ähnliche Gemeinschaften in Süddeutschland auf.
Gruppen, die sich auf eine Lehre von Blut und Reinheit beriefen. Man glaubte, es handle sich um sektenartige Splittergruppen. Niemand ahnte, dass es sich um die letzten Äste eines Familienbaums handelte, der einst tief in den thüringischen Wäldern Wurzeln geschlagen hatte. Im Jahr 1946 begann die zweite Phase der Untersuchung, geleitet von der Bundespolizei in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium.
Die entdeckten Gemeinschaften in der Röhen, im Erzgebirge und im Schwarzwald stellten ein medizinisches und moralisches Rätsel dar. Wie konnte es möglich sein, dass über Jahrzehnte hinweg ganze Familienzweige isoliert existierten, ohne dass Behörden, Ärzte oder Nachbarn davon erfuhren. Die Akten sprechen von einer Kultur des Schweigens, genährt aus Furcht, Scham und ländlicher Selbstgenügsamkeit.
Dr. Helene Richter, die leitende Ärztin des Untersuchungsteams, verfaßte einen ausführlichen Bericht an das Ministerium. Darin schrieb sie: “Der körperliche und seelische Zustand dieser Menschen ist ein lebendes Mahnmal dafür, wie fanatische Ideologie, religiöser Wahn und soziale Isolation das Menschliche auslöschen können.
Viele zeigen nicht nur körperliche Deformationen, sondern auch eine fast völlige Unfähigkeit, Emotionen außerhalb der familiären Hierarchie zu empfinden. Vater, Mutter, Kind, alles verschmilzt zu einem einzigen krankhaften System von Gehorsam und Angst. Besonders beunruhigend war, dass einige der älteren Mitglieder der Gemeinschaften Schriften besaßen, die dieselben Passagen enthielten wie Friedrich Schwarzwaldsbuch Reinheit durch Blut.
Ein Mann in den Fzigern, der sich als Hüter des Wortes bezeichnete, behauptete, er sei der Enkel des Gründers. In seinem Haus fand man ein Exemplar des Buches, abgeschrieben auf Pergament, sorgfältig gebunden, mit Kommentaren am Rand. Dort stand in zittriger Handschrift: “Wenn das Ende kommt, werden sich die Linien vereinen. Der Vater hat gesagt, die Reinen erkennen sich am Zeichen.
” Das Zeichen, ein dreizackiges Kreuz, das in viele der Türen und Wände der Häuser eingeritzt war, tauchte in allen drei Siedlungen auf. Es schien das Symbol des Kultes zu sein. Die Ermittler begannen, die Überlebenden zu registrieren und genetisch zu untersuchen. Das Ergebnis war erschütternd. Fast alle trugen dieselben Mutationen in bestimmten Genabschnitten. Ein eindeutiger Beweis für jahrzehntelange Inzucht.
Das Blut der Schwarzwalz, schrieb Dr. Richter, ist wörtlich zum Träger ihrer Verdammnis geworden. In den folgenden Jahren wurden die Kinder in Pflegefamilien untergebracht, die Erwachsenen in Heilanstalten. Viele konnten die Außenwelt nicht ertragen.
Manche sprachen von Stimmen in den Wäldern, von Träumen, in denen der Vater sie rief. Einige verschwanden spurlos, noch bevor man sie dauerhaft unterbringen konnte. Man vermutete, dass sie zu anderen noch unbekannten Gemeinschaften geflohen waren. Die Ermittlungen endeten offiziell im Jahr 1960. Der Fall Schwarzwald wurde als aufgeklärt, aber unvollständig eingestuft. Friedrich Schwarzwald blieb offiziell vermiß.
Seine Spur verlor sich im Jahr 1932. Doch eine Theorie, die in internen Akten auftaucht, besagt, dass er im Süden Deutschlands eine weitere Gruppe gegründet haben könnte. Jahrzehnte verging und die Geschichte geriet in Vergessenheit. Die Archive blieben versiegelt. Erst in den 70er Jahren versuchte die Thüringer historische Gesellschaft eine Ausstellung über den Fall zu organisieren als Mahnung dafür, wie Schweigenverbrechen ermöglicht. Doch kurz vor der Eröffnung wurde das Projekt gestoppt.
Mehrere Familien aus der Region drohten mit Klagen, weil ihre Großväter in den Akten als mögliche Mitwisser genannt wurden. Die Dokumente der Ausstellung wurden in einem Archiv in Jena eingelagert und brannten im Jahr 1983 bei einem mysteriösen Feuer nieder. Der Brandbericht sprach von technischem Defekt.
Doch ein Augenzeuge, der damals im Archiv arbeitete, sagte später anonym: “Es war kein Zufall. Ein Mann mit Aktenkoffer kam am Tag zuvor und verlangte Einsicht. Danach verschwand er und nachts stand alles in Flammen. Damit begann eine neue Phase der Vertuschung. In den 80er und 90er Jahren versuchten mehrere Journalisten den Fall wieder aufzurollen, stießen aber auf verschlossene Türen, fehlende Akten und unerklärliche Drohungen.
Der Historiker Dr. Martin Lauer schrieb im Jahr 1988: “Ich wollte ein Buch über den Fall veröffentlichen, doch bald erhielt Briefe mit Drohungen gegen meine Familie, mit Details, die niemand wissen konnte.” Sein Manuskript erschien nie. Erst im Jahr 2005 wurde der Fall wieder öffentlich, als in einem abgelegenen Tal in Bayern eine isolierte Gruppe von 37 Menschen entdeckt wurde, die unter ähnlichen Bedingungen lebten wie einst die Schwarzwalz.
Ihr Anführer nannte sich Thomas Schäfer, behauptete Visionen zu haben und predigte dieselbe Lehre. Reinheit durch Blut. Genetische Tests bewiesen später, daß er ein direkter Nachfahrer der Familie Schwarzwald war, vermutlich ein Urenkel des Gründers. Er wurde verhaftet, doch die Gemeinschaft zerstreute sich, bevor die Behörden sie vollständig erfassen konnten.
Seitdem gilt der Name Schwarzwald in den Archiven des Bundeskriminalamts als Symbol für eines der düstersten Kapitel deutscher Geschichte. Eine Geschichte, die viele lieber vergessen würden. Nach dem Fall von Thomas Schäfer im Jahr 2005 richtete das Bundeskriminalamt eine spezielle Ermittlungsgruppe ein, um mögliche Nachkommen und verborgene Gemeinschaften der Schwarzwaldlinie aufzuspüren.
Die Gruppe erhielt den Codenamen Projekt Eibe, benannt nach dem Baum, der in allen alten Schwarzwaldauzeichnungen als heilig galt. Unter Leitung von Kommissar Jens Maurer, einem Urenkel des ursprünglichen Ermittlers Jakob Maurer, begann eine systematische Überprüfung von genetischen Daten, Kirchenregistern und alten Grundbucheinträgen in Bayern, Thüringen und Badenwürtemberg. Schon bald stießen die Ermittler auf beunruhigende Muster.
In abgelegenen Dörfern gab es auffällig viele Fälle seltener Erbkrankheiten, ungewöhnliche familiäre Bindungen und Gemeinschaften, die fast vollständig untereinander heirateten. Manche dieser Dörfer schienen jahrzehntelang keinen Zuzug von außen erlebt zu haben.
Maurer schrieb in seinem Bericht: “Es ist, als hätte jemand vor 100 Jahren Samen gepflanzt, die heute noch im Verborgenen weiterwachsen. Besonders auffällig war ein kleines Tal nahe der tschechischen Grenze, wo sich eine Gruppe von etwa 50 Personen angesiedelt hatte, die keinerlei Kontakt zur Außenwelt wünschten. Sie nannten ihr Dorf Neues Eden.” Auf den Türen ihrer Holzhäuser fand man eingeritzte Zeichen, das bekannte dreizackige Kreuz.
Die Dorfbewohner gaben sich wortk, freundlich, aber verschlossen. Sie erklärten, sie sein Nachfahren einer alten Glaubensgemeinschaft, die sich während der Kriegsjahre von der Welt abgewandt habe. Niemand konnte jedoch sagen, wer sie gegründet hatte. Eine Lehrerin aus einem Nachbardorf berichtete, daß die Kinder aus Neues Eden nur selten zur Schule kamen und fast ausschließlich untereinander spielten.
Sie sprach von einem Blick, der nicht leer, sondern irgendwie alt wirkte. DNA-proben, die heimlich über medizinische Untersuchungen gesammelt wurden, bestätigten schließlich, was die Ermittler befürchtet hatten. Dieselben genetischen Marker, die bereits bei den Nachfahren der Schwarzwalz in den 40er Jahren nachgewiesen worden waren. Kommissar Maura notierte in seinem Tagebuch: “Der Kult lebt weiter, leiser, vorsichtiger, aber unverkennbar.
Ihre Gesichter tragen dieselbe Spur, ihre Worte, denselben Glauben. Sie sprechen vom Vater, der eines Tages wiederkehren wird. Die Ermittlungen blieben geheim, um Panik und öffentliche Hysterie zu vermeiden. Doch innerhalb des Teams wuchs die Beklemmung. Eine Kriminalpsychologin, Dr. Jana Vogt, beschrieb die Gemeinschaft nach einem Undercoverbesuch als beunruhigend ruhig, fast zu friedlich.
Sie erzählte von einem Gottesdienst, der in einer Holzscheune stattfand, bei dem etwa dreig Menschen im Chor flüsterten das Blut reinigt, das Blut verbindet. Ihre Berichte lösten innerhalb der Behörden Diskussionen aus, ob man das Dorf gewaltsam auflösen sollte. Doch schließlich entschied man, dass keine unmittelbare Gefahr bestünde. Rechtlich war nichts zu beweisen.
Nur Wochen später, im Herbst 2006, verschwand Dr. Fogt spurlos. Ihr Wagen wurde am Rand eines Waldweges gefunden. Die Türen unverschlossen, ihr Notizbuch fehlte. Trotz intensiver Suche blieb sie verschwunden. Im Dorf Neues Eden wollte niemand etwas gesehen haben. Nach diesem Vorfall wurde das Projekt Eibill gelegt. Die Akten verschwanden im Archiv des Innenministeriums.
Offiziell hieß es, die Untersuchungen hätten keine konkreten Ergebnisse erbracht. Doch in internen Memos, die Jahre später an die Presse gelangten, schrieb Maura: “Ich fürchte, wir haben nur die Oberfläche berührt. Wenn das Blut so weit gewachsen ist, wie ich vermute, dann ist es längst überall.” In den Jahren nach der Auflösung des Projekts huftten sich in ländlichen Regionen Süddeutschlands merkwürdige Berichte.
Reisende sprachen von Dörfern, die auf keiner Karte verzeichnet waren, von Menschen mit gleichem Nachnamen in ganzen Landstrichen, von nächtlichen Gesängen in verlassenen Tälern. Eine Legende tauchte auf, die ältere Dorfbewohner flüsternd erzählten, vom Vater, der schläft und der eines Tages wieder auferstehen wird. Die Presse berichtete kaum darüber. Für die meisten Menschen war der Fall Schwarzwald längst eine morbide Fußnote in der Geschichte, ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Doch in den Archiven der Polizei lagerten Akten, deren Inhalt kaum jemand zu lesen wagte. In einem Vermerk vom März 2008 stand: “Ein neuer Name ist in den Dokumenten aufgetaucht. Thomas Weiß, geboren angeblich 1942. Spuren deuten darauf hin, dass er ein direkter Nachfahrer Friedrich Schwarzwalz ist.
Wer Thomas weiß war, blieb lange unklar, doch die Spur, die er hinterließ, führte tiefer in die Schatten Deutschlands, als irgendjemand geahnt hatte.” Thomas Weiß tauchte in den Archiven zum ersten Mal im Jahr 1989 auf, als er im Landkreis Freiung Grafenau in Bayern einen alten Hof erwarb. Die Akten vermerkten ihn als Einzelgänger, unauffällig, aber von eigenartiger Religiosität.
Nachbarn beschrieben ihn als höflich, aber distanziert, mit Augen, die einen Torsumin nicht ansahen, sondern durchbohrten. Er sprach selten, arbeitete viel und jeden Sonntag soll aus der Scheune seines Hofes leises Singen gedrungen sein. Stimmen, die einstimmig alte Kirchenlieder sangen, doch in einer Weise, die Zeugen als verstörend monoton, beschrieben.
Jahre später stellte sich heraus, dass er nie allein gelebt hatte. Hinter den Mauern des Hofes lebte eine kleine Gemeinschaft von Männern, Frauen und Kindern. Alle trugen denselben Nachnamen, weiß. Sie traten kaum in Erscheinung, gingen nur selten ins Dorf und sprachen kaum mit Außenstehenden.
Man hielt sie für eine religiöse Splittergruppe, harmlos, wenn auch sonderbar. Erst nach Thomas Weißt, im Jahr 1999, offiziell an Herzversagen, begann sich das ganze Ausmaß seiner Geschichte zu zeigen. Bei der Durchsuchung des Hofes stießen Ermittler auf eine Bibliothek mit alten Schriften, darunter mehrere handgeschriebene Bücher, deren Einbände aus Leder bestanden und in Goldprägung das Symbol des dreizackigen Kreuzes trugen. Eines davon trug den Titel Das reine Haus, Buch des Blutes.
Der Text darin war eine nahezu wörtliche Abschrift von Friedrich Schwarzwalds Originalwerk Reinheit durch Blut, ergänzt durch handschriftliche Notizen und Genealogien, die bis ins Jahr 1903 zurückreichten. Eine der letzten Eintragungen lautete: “Das Werk des Vaters ist nicht beendet. Wir sind die Bewahrer. Wenn das Zeichen wieder erscheint, wird der Kreis geschlossen.
Neben den Büchern fanden sich hunderte Fotografien, Familienportraits, alle in denselben selbstgenähten Kleidern, alle mit ernsten Gesichtern, ohne Lächeln. Auf der Rückseite vieler Bilder stand für die Reinheit, für den Vater. Noch beunruhigender war die Entdeckung eines versteckten Raumes im Keller, ähnlich dem berüchtigten Ostflügelzimmer des alten Schwarzwaldanwesens.
Der Raum war spärlich eingerichtet, an den Wänden hingen religiöse Verse und auf einem Tisch lag ein modernes Notizbuch. Darin fand man Anweisungen in klarer nüchterner Sprache. Jedes Kind wird im Winter geboren. Die Mütter sind auserwählt. Blut darf nicht mit Fremdem vermischt werden. Der Stil war kühl, fast wissenschaftlich.
Am Ende des Buches befand sich eine Liste von Namen, vier an der Zahl, mit Geburtsdaten, die sich bis in die 80er Jahre erstreckten. DNA-Pen, die später genommen wurden, bestätigten, dass die meisten der dort genannten Personen miteinander verwandt waren. In vielen Fällen über mehrere Linien hinweg.
Das Erschütternde: Mehrere der Einträge wiesen identische Elternamen auf. Der Gerichtsmediziner, der die Untersuchung leitete, schrieb in seinem Bericht: “Dies ist kein Zufall und keine Sekte im klassischen Sinn. Dies ist eine biologische Fortführung eines Gedankens, der nie gestorben ist.” Die Nachricht von der Entdeckung gelangte nie in die Öffentlichkeit.
Die Behörden fürchteten Panik und Skandal. Nur eine Handvoll Journalisten erhielt anonyme Hinweise, doch keiner wagte, die Geschichte zu drucken. Zu viele Namen in den Dokumenten gehörten zu Familien, die heute einflussreiche Positionen in Politik und Wirtschaft inner hatten. Doch einige Forscher, darunter der Genetiker Dr. Reinhard Tielmann, erhielten heimlich Kopien der Unterlagen.
Er verglich die genetischen Proben aus dem Hof weiß mit historischen Daten aus den 40er Jahren. Das Ergebnis ließ keinen Zweifel. Die Linie Schwarzwald lebte weiter, unverändert, unvermindert, verborgen. In einem Interview sagte Tielmann später: “Das Erschreckende ist nicht, dass sie überlebt haben. Das Erschreckende ist, dass sie sich angepasst haben. Sie haben gelernt zu verschwinden.
” Nach dieser Entdeckung wuchs das Interesse der Behörden erneut. Doch bevor weitere Maßnahmen eingeleitet werden konnten, ereignete sich im Jahr 2001 ein Brand auf dem Hof Weiß. Das Gebäude brannte vollständig nieder. In den Trümmern fand man sechs Leichen, deren Identität nie zweifelsfrei geklärt werden konnte.
Laut Zeugenaussagen waren am Abend zuvor fremde Fahrzeuge in der Nähe gesehen worden, doch die Polizei stellte keine Verbindung her. Der Fall wurde offiziell als Unfall eingestuft. Doch im internen Bericht von Kommissar Maurer stand nur ein einziger Satz: “Das Feuer hat mehr ausgelöscht als nur ein Haus.” Danach verschwand jede Spur der verbliebenen Mitglieder der Familie Weiß. Manche sagten, sie seien nach Tschechien geflohen.
Andere glaubten, sie lebten weiterhin irgendwo in den deutschen Bergen unter neuen Namen, in neuen Gemeinschaften, schweigend, wartend, betend. Nach dem Brand auf dem Hof weiß im Jahr 2001 glaubten viele, die Geschichte sei endgültig beendet. Doch in Wahrheit begann nur ein neues Kapitel, eines, das noch tiefer in die Dunkelheit reichte.
Im Jahr 2008 erschien anonym ein Paket im Posteingang der Fakultät für medizinische Anthropologie der Universität Leipzig. Es enthielt zwei ledergebundene Hefte, stark beschädigt, deren Einband ebenfalls das Symbol des dreizackigen Kreuzes trug. Begleitet wurden sie von einem kurzen Brief. Diese Bücher gehörten Elisabeth, der Jüngsten.
Ihr Blut hat nie aufgehört zu fließen. Die Schrift war zittrig, offenbar alt. Eine forensische Untersuchung bestätigte, daß die Häfte tatsächlich aus der Zeit zwischen 1915 und 1956 stammten. Die Tinte, das Papier, selbst die Bindung, alles passt. Die Hefte enthielten die Tagebücher von Elisabeth Schwarzwald, jener Tochter, die einst mit Georg Hartwig korrespondiert und versucht hatte zu fliehen.
Sie beschrieb darin ihre Gefangenschaft nach der missglückten Flucht und die Jahrzehnte danach, in denen ihr Vater sie in einem abgelegenen Haus in der Röhen gefangen hielt. Ihr Bericht las sich wie ein Flüstern aus einer anderen Welt. Er sagt: “Die Welt da draußen ist tot.” Nur wir leben noch, weil wir rein sind. Ich sehe nur Wälder, nur Schnee.
Die Kinder, die ich geboren habe, sind meine Schwestern und meine Söhne zugleich. Ich bete, dass Gott mich tötet, aber er hört mich nicht. In den späteren Einträgen schilderte sie, wie Friedrich Schwarzwald älter, aber auch fanatischer wurde. Er sprach davon, dass seine Linie über Jahrhunderte bestehen müsse, dass das Blut die Kraft des Schöpfers in sich trage und dass irgendwann die Reihen neue Sinne entwickeln würden.
Elisabeth schrieb: Er glaubt, dass wir über die Welt hinauswachsen. Er glaubt, unsere Kinder werden die neue Menschheit. Ich glaube nur, daß wir verflucht sind. Sie berichtete von insgesamt sie Geburten in der Gemeinschaft, viele davon überlebt von den Stärksten. Sie nannte Namen, Daten, Orte, Aufzeichnungen, die später mit realen Grundbuchdaten übereinstimmten.
Besonders verstörend war der letzte Eintrag, datiert auf den 3. März 1957. Vater ist tot, aber er ist nicht fort. Sie sagen, er hat uns verlassen, doch ich höre ihn noch in den Nächten. Ich sehe ihn in den Gesichtern meiner Kinder. Seine Stimme lebt in uns weiter. Sie sagen, ich soll schreiben, was er gelehrt hat, damit sie es nie vergessen.
Ich schreibe es, damit jemand eines Tages weiß, was er getan hat. Und vielleicht, um zu zeigen, dass das Böse nicht endet, sondern nur Wurzeln schlägt. Der Tod von Elisabeth Schwarzwald wurde nie offiziell registriert, doch in den Randbemerkungen eines kirchlichen Archivs fand sich später eine Notiz eines Fahrrers aus dem Jahr 1958.
Eine Frau ohne Namen, verwirrt, starb in der Nacht, sprach vom Vater und vom Blut. Ich habe sie beerdigt im stillen Winkel hinter der Kapelle. Kein Kreuz, kein Wort. Die Entdeckung der Tagebücher entfachte neues Interesse am Fall. Forscher und Journalisten stritten über ihre Echtheit, doch die forensischen Ergebnisse waren eindeutig. Mehr noch.
Einige DNA-Spuren an den Seiten stimmten mit Proben aus der Familie Weiß überein. Damit war klar, Elisabeths Nachkommen hatten überlebt. Im Jahr 2010 veröffentlichte die Zeitschrift Archiv für Kulturgeschichte einen Artikel mit dem Titel Das Erbe des reinen Blutes.
Darin hieß es, dass die Schwarzwaldlinie nie unterbrochen wurde, sondern sich in verschiedene Zweige aufgeteilt hatte, die im Verborgenen weiter existierten. Der Artikel löste einen Skandal aus. Die Redaktion erhielt Drohbriefe. Einer der Autoren wurde auf offener Straße attackiert. Kurz darauf zog die Zeitschrift die Ausgabe zurück und die digitale Version verschwand aus allen Archiven. Doch Kopien kursierten weiter.
In einem der zitierten Abschnitte stand: “Wenn das Blut sich in die Welt mischt, verliert es seine Macht. Deshalb gehen sie dorthin, wo niemand sie sucht, in die Berge, in vergessene Täler, in alte Häuser, die nie verkauft werden.
In den folgenden Jahren tauchten in ganz Deutschland Berichte auf, die wie Schattenrisse derselben Geschichte wirkten. Von Kindern ohne Geburtsurkunden, von isolierten Familienclans, von kleinen Sekten, die von Reinheit sprachen. Die Behörden reagierten zögerlich, sprachen von Zufällen, von Mythen. Aber jene, die den Fall Schwarzwald kannten, wussten, Zufall war das nie.
Es war nur das Echo eines Fluchs, der vor über 100 Jahren begonnen hatte und noch immer nicht geet. Nach der Veröffentlichung der Tagebücher Elisabeth Schwarzwald und der kurzen abrupten Rücknahme des Artikels im Jahr 2010 begann eine neue Welle von Untersuchungen. Diesmal nicht von Behörden, sondern von unabhängigen Forschern, Historikern und Journalisten.
Einer von ihnen war Dr. Johannes Hartmann, ein Anthropologe aus München, der sich auf isolierte religiöse Gemeinschaften spezialisiert hatte. Hartmann sei in der Schwarzwaldgeschichte keine bloße Legende, sondern ein Muster, das sich über Generationen fortsetzte. In einem Interview sagte er, das Erschreckende an diesem Fall ist nicht, dass er geschah, sondern dass er weitergeschieht in immer neuen Formen, unter immer neuen Namen.
Hartmann begann eine private Untersuchung. Er reiste in die Regionen, in denen einst die Schwarzwalds und später die Weißfamilien lebten. Thüringen, Bayern, Badenwürtemberg. Er sammelte Kirchenregister, alte Briefe, Grundbucheinträge. Er besuchte Dörfer, in denen der Name Schwarzwald schon lange nicht mehr fiel und sprach mit alten Menschen, die nur mit halber Stimme antworteten.
Ein Mann aus einem Dorf in der Röhen sagte zu ihm: “Mein Großvater hat immer gesagt, es gibt Familien, die man nicht beerdigen darf, weil sie schon tot geboren wurden. Ein Satz, der in keinem offiziellen Dokument vorkommt, aber den Kern der Angst dieser Region trifft. Im Herbst 2013 stieß Hartmann auf eine Spur, die alles veränderte. In den digitalisierten Archiven des Gesundheitsamts von Schweinfurt fand er mehrere Fälle seltener genetischer Anomalien, alle in Familien, die in abgelegenen Taylern lebten und keine Verwandtschaft nachweisen konnten. Offiziell. Doch die DNA-Pile zeigten, daß sie
gemeinsame Vorfahren hatten, deren Marker fast identisch mit den bekannten Schwarzwaldsequenzen waren. Hartmann schrieb in sein Notizbuch: “Das Blut lebt, das System funktioniert noch. Es sind nicht mehr Sekten, sondern unauffällige Dorfgemeinschaften, die die alten Regeln weitergeben, Generation für Generation.” Im Jahr 2015 trat eine neue Wendung ein.
Ein anonymer Hinweis ging beim Bundesarchiv in Koplenz ein. Eine versiegelte Metallkiste, angeblich aus einem alten Fahrhaus in Thüringen, enthielt Dokumente und Fotografien aus den 40er Jahren. Die Bilder zeigten eine Gruppe von Männern und Frauen in weißen Gewändern, aufgenommen vor einem Haus mit geschnitztem Wappen, dem dreizackigen Kreuz.
Auf der Rückseite eines der Fotos stand in altmodischer Schrift Haus des Vaters Röhn Ostern 1946. Zwischen den Dokumenten lag ein Brief mit dem Siegel der evangelischen Kirche. Der Absender war ein Pfarrer namens Dietrich Langen, der nach dem Krieg als Verbindungsbeamter zwischen Kirche und Besatzungsbehörden tätig war. Der Brief richtete sich an die Brüder im Süden und enthielt den Satz: “Die Reinheit soll weitergegeben werden, bis das Zeichen wieder erscheint.
” Damit war klar, die Kirche oder zumindest einzelne ihrer Vertreter wusste von der Existenz der Schwarzwaldgemeinschaften und hatte sie zumindest indirekt gedeckt. Hartmann veröffentlichte seine Erkenntnisse in einem Buch mit dem Titel Das verbotene Blut. Es erschien im Jahr 2016 und löste eine Welle von Empung und Angst aus.

Die Presse sprach von einer deutschen Pandorabüchse, die man besser geschlossen gelassen hätte. Doch kaum ein Jahr später geschah das Unfassbare. Hartmann verschwand. Am 30. März 2017 verließ er sein Hotel in der Nähe von Koburg und kehrte nie zurück. Sein Wagen wurde einige Tage später leer in einem Waldstück gefunden. Im Kofferraum lag ein zerbrochenes Aufnahmegerät.
Die Speicherkarte war entfernt worden. Die Polizei vermutete ein Verbrechen, doch keine Spur führte weiter. Kurz nach seinem Verschwinden erhielt seine Kollegin Dr. Anna Berger einen anonymen Umschlag. Darin befand sich eine Fotokopie eines Briefes datiert auf den 5. April 2017. F Tage nach Hartmanns Verschwinden. Die Unterschrift lautete Thomas II.
Der Text bestand aus nur einem Satz. Du suchst das Blut, aber das Blut sucht dich. Berger gab den Brief an die Polizei, doch der Fall verlief im Sande. Offiziell gilt Johannes Hartmann bis heute als vermisst. Seitdem ranken sich Legenden um sein Schicksal. Manche behaupten, er habe zu viel herausgefunden. Andere sagen, er habe sich der Gemeinschaft selbst angeschlossen.
Wieder andere glauben, dass die Schwarzwaldlinie ihn gefunden hat, nicht um ihn zu töten, sondern um ihn zum Schweigen zu bringen. Denn wie Elisabeth ein schrieb: “Der Vater ist nie fort, er schläft nur in uns.” Nach dem Verschwinden von Dr. Johannes Hartmann im Frühjahr 2017 begannen sich erneut Schatten über die Geschichte der Schwarzwaldlinie zu legen.
Offiziell wurde der Fall als ungeklärt abgeschlossen, doch im Hintergrund setzten sich einige Forscher und Journalisten dafür ein, seine Arbeit fortzusetzen. Unter ihnen war die Historikerin Dr. Anna Berger, die bereits an Hartmanns Buch mitgearbeitet hatte. Sie übernahmen seine Notizen, Tonaufnahmen und unveröffentlichte Kapitel. Insgesamt über 1000 Seiten Material.
In diesen Papieren fand sie Hinweise auf eine noch unbekannte Gemeinschaft im südlichen Thüringer Wald in der Nähe von Neuhaus am Rennweg. Hartmann hatte die Gegend mehrfach besucht und dort in alten Kirchenbüchern den Namen Thomas Weiß der Jüngere gefunden. Geboren im Jahr 1984. Sohn von Martin Weiß und Enkel von Thomas Weiß. Jener Mann, der in den 90er Jahren den Hof in Bayern besessen hatte. Der Name tauchte in keiner anderen staatlichen Registrierung auf.
Keine Steuerakte, kein Ausweis, kein Geburtsdokument, nur eine kirchliche Taufeintragung mit dem Symbol des dreizackigen Kreuzes. Berger beschloss, der Spur nachzugehen. Im Sommer 2017 reiste sie in das Gebiet, gab sich als Ethnologin aus und miete ein Zimmer im Nachbardorf.
Dort lernte sie Menschen kennen, die über die Jahre sonderbare Geschichten gehört hatten. Von Gesängen in der Nacht, von Feuer, das nie erlischt und von Kindern, die nie alt werden. Ein älterer Förster erzählte ihr: “Manchmal, wenn Nebel vom Tal aufsteigt, hört man Stimmen. Nicht laut, sondern wie Wind durch Metall. Es sind keine Lieder, aber sie haben einen Rhythmus.
Ich nenne das den Atem der Reihen. Nach einigen Wochen gelang es Berger, Kontakt zu der Gemeinschaft aufzunehmen. Sie nannten sich selbst die Erben des Hauses. Es war eine kleine Gruppe, etwa 40 Personen, die auf einem abgelegenen Hof lebten, der nur über einen schmalen Waldweg erreichbar war. Der Ort war nicht auf Karten verzeichnet, die Häuser waren einfach, aber gepflegt.
An jeder Tür befand sich dasselbe Zeichen, das dreizackige Kreuz. Berger wurde freundlich empfangen, aber die Freundlichkeit hatte etwas Unheimliches. Niemand stellte ihr Fragen. Niemand wunderte sich, warum sie da war. Die Menschen lächelten still und redeten wenig. Sie sprachen von Vater Thomas, einem Mann, der selten erschien, aber über alles wachte.
Nach zwei Tagen durfte Berger an einem der abendlichen Zusammenkünfte teilnehmen. Die Gruppe versammelte sich in einer Scheune, Kerzen auf dem Boden. Eine Stimme lasem Buch vor, dass sie sofort erkannte. Das reine Haus. Dann begannen alle im Chor zu sprechen. Das Blut ist die Wurzel. Die Wurzel ist das Leben. Wer mischt, stirbt. Sie schrieb in ihr Tagebuch: “Ich weiß nicht, ob ich Zeugin eines Gottesdienstes oder eines Rituals wurde.” Die Luft war schwer, der Raum vibrierte von Gleichklang.
Ich spürte Angst, aber auch eine seltsame Ruhe, als wäre alles längst entschieden. In den folgenden Tagen sprach sie mit einigen Mitgliedern. Eine junge Frau, kaum 20 Jahre alt, erzählte ihr, sie sei für das nächste Frühjahr bestimmt. Auf Bergers Nachfrage, was das bedeute, antwortete sie nur: “Der Vater weiß, wann das Blut erneuert werden muss.
” Noch am selben Abend verließ Berger den Hof. Sie fuhr in das Nachbardorf, schloss sich in ihr Zimmer ein und schrieb eineseitige Notiz, die sie per E-Mail an einen Kollegen in München schickte. Sie endete mit den Worten: “Ich glaube, die Linie existiert nicht nur weiter. Sie organisiert sich. Sie haben Strukturen, Rituale, Regeln und sie warten auf etwas, vielleicht auf jemanden.” Zwei Tage später meldete sie sich erneut, diesmal per Telefon.
Ihre Stimme war zittrig. Ich habe ihn gesehen. Thomas der Jüngere. Er sieht aus wie auf den alten Fotos von Friedrich Schwarzwald. Dieselben Augen, dieselbe Art zu sprechen. Ich glaube, er weiß, wer ich bin. Danach brach die Verbindung ab. Am nächsten Morgen war ihr Zimmer leer. Ihr Wagen stand noch auf dem Parkplatz. Ihr Laptop war verschwunden, ihre Aufzeichnungen verbrannt.
Die Polizei leitete Suche ein, fand jedoch keine Spur. Nur eine Karte blieb zurück. Auf den Rand mit Kohle geschrieben, das Blut schläft nicht. Im Bundeskriminalamt wurde der Fall als möglicher Zusammenhang mit der Schwarzwaldlinie klassifiziert. Offiziell nie veröffentlicht wurde die Akte intern unter der Bezeichnung Projekt Rein 2 geführt.
Es war der erste Beweis seit Jahrzehnten, dass der Kult nicht nur überlebt, sondern sich strukturiert hatte. Doch was Anna Berger wirklich gesehen hatte und wer Thomas der Jüngere tatsächlich war, blieb ein Rätsel, das niemand zu lösen wagte. Der Fall von Dr.
Anna Berger erschütterte die wissenschaftliche und journalistische Gemeinschaft in ganz Deutschland. Ihre Spur verlor sich vollständig und obwohl das Bundeskriminalamt eine geheime Sonderkommission einsetzte, wurden die Ermittlungen nie öffentlich bekannt. Nur wenige Eingeweihte wussten, dass ihr Verschwinden nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Entdeckung war.
Einer der Ermittler, Hauptkommissar Lukas Reiter, hatte Bergers letzte Notizen analysiert und begann eigenmächtig nach dem Ort zu suchen, den sie beschrieben hatte, den Hof im Thüringerwald. Nach wochenintensiver Suche fand er ihn schließlich. Die Gebäude standen leer. Kein Rauch, kein Feuer, kein Leben. Doch Reiter beschrieb in seinem Bericht, dass das Dorf nicht verlassen, sondern erwartet gewirkt habe.
Auf den Tischen lagen frische Blumen, die Betten waren gemacht. Essen stand auf dem Herd, noch warm. Die Bewohner waren verschwunden, aber nicht geflohen. Sie hatten vorbereitet, fortzugehen. Im größten Haus fand er eine verschlossene Tür, die zum Keller führte.
Dahinter befand sich ein niedriger Raum mit einer Reihe von geschnitzten Holzbänken, einer Art improvisierter Kapelle. Auf einem steinernen Podest lag ein Buch, alt, aber gut erhalten, in Leder gebunden. Es trug keinen Titel, nur das Symbol. Das dreizackige Kreuz. Auf den ersten Seiten standen Namen sorgfältig in Spalten geordnet. Familienmitglieder, Geburtsdaten, Sterbedaten.
Der letzte Eintrag lautete: Thomas der Jüngere, geboren im Jahr 1984, erwählt zur Vollendung. Die folgenden Seiten waren in einem seltsamen Mischdialekt geschrieben. Altdeutsche Wörter, lateinische Phrasen, Bibelzitate und immer wieder dieselbe Zeile. Das Blut ist der Weg, das Fleisch ist die Hülle, das Wort ist ewig.
Reiter berichtete später, daß er beim Lesen ein Gefühl hatte, als würde man in etwas Lebendiges greifen. Im hinteren Teil des Raumes fand er mehrere Kinderzeichnungen, Kreuze, Bäume, ein großes Haus mit vielen Fenstern, aus denen Flammen loderten. Unter einem der Bilder stand in kindlicher Schrift: “Wenn Vater ruft, müssen wir heim.” Es war das letzte Dokument, das Reiter einreichte.
Zwei Wochen nach seinem Fund reichte er seine Kündigung ein, verließ Deutschland und zog in die Schweiz. Jahre später sagte er in einem privaten Gespräch: “Ich hatte das Gefühl, sie beobachten mich, selbst wenn ich allein bin. Und manchmal, wenn ich träume, sehe ich ihn, einen Mann mit grauem Bart und Augen, die zu viele Generationen gesehen haben.
” Nach dem Auffinden des verlassenen Dorfes wurde das Gelände abgeriegelt. Das Innenministerium erklärte es zu einem historisch gefährdeten Gebiet. Doch in Wahrheit wurde es unter strengem Schutz gestellt. Satellitenaufnahmen aus jener Zeit zeigen, dass in den folgenden Monaten militärische Fahrzeuge dort stationiert waren.
Niemand weiß, was sie fanden. Im Jahr 2019, zwei Jahre nach Bergers Verschwinden, tauchte im Internet ein kurzes Video auf. Es war unscharf, offenbar mit einem alten Camcorder aufgenommen. Zu sehen war ein Wald, dichter Nebel, dann eine Frau, die von der Kamera weglief. Ihre Gestalt ähnelte auffallend Anna Berger. Im Hintergrund war eine Männerstimme zu hören, ruhig, fast freundlich.
“Warum läufst du, Kind des fremden Blutes? Wir haben dich doch gerufen.” Danach: “Einen Schnitt, das Bild schwarz. Das Video verschwand wenige Stunden später aus allen Plattformen. Forensiker, die eine Kopie untersuchten, fanden in der Tonspur ein weiteres Geräusch. Ein tiefes rhythmisches Summen, fast wie ein Chor.
Das Muster wiederholte sich alle 7 Sekunden exakt. Es war dieselbe Sequenz, die in alten Tonaufnahmen aus dem Schwarzwaldhof von 1915 zu hören gewesen war. Aufgezeichnet von den ersten Ermittlern. Ein Jahrhundert später erklang dasselbe Geräusch, dieselbe Stimme des Kultes. In einem internen Memo schrieb ein Beamter des Bundeskriminalamts: “Wenn diese Gemeinschaft noch existiert, dann ist sie nicht kleiner geworden. Sie ist gewachsen. Sie hat sich angepasst.
Vielleicht leben sie längst mittenunter uns.” In den folgenden Jahren tauchten weitere Spuren auf. Geburtsurkunden mit gefälschten Daten, Namen, die immer wiederkehren. Dieselben Gesichter in verschiedenen Orten, dieselben Augen auf Fotos.
Forscher schätzen, dass die Nachkommen der Schwarzwaldlinie heute mehrere hundert Personen umfassen könnten. Verstreut über das ganze Land, vereint durch Schweigen, durch Erinnerung und durch den Glauben an einen Mann, der nie starb. Friedrich Schwarzwald, der Vater, der Schöpfer, der so sagen sie bald zurückkehren wird. und manche flüstern, er ist nie gegangen.
Im Jahr 2021 geriet der Fall Schwarzwald erneut in die Schlagzeilen, als ein privates Ahnenforschungsunternehmen versehentlich DNA Daten veröffentlichte, die mit jenen der historischen Schwarzwaldproben übereinstimmten. Unter den Treffern befanden sich Proben aus verschiedenen Regionen Deutschlands, vor allem aus dem Süden und Osten des Landes, aber auch aus Österreich und der Schweiz.
Offiziell sprach das Unternehmen von einem Stadtlei statistischen Zufall, doch interne Quellen bestätigten, dass die genetische Übereinstimmung zu hoch war, um zufällig zu sein. Das Bundesgesundheitsamt übernahm die Untersuchung, allerdings unter größter Geheimhaltung. Eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben wollte, sagte später: “Es war kein Zufall, es war ein Netz, über Generationen gesponnen.” Die Daten zeigten, dass mehrere Familienstränge existierten.
Vier Hauptlinien, die auf Friedrich Schwarzwalz sieben Töchter zurückgingen. Drei dieser Linien hatten sich im Laufe der Zeit in die Gesellschaft integriert. Die vierte aber, so schien es, hatte über Jahrzehnte abgeschottet überlebt. Sie nannte sich selbst das Haus der Erneuerung. Niemand wusste, wo sie lebte. Es gab nur Gerüchte.
Von einem Kloster im Alguell nie existiert hatte, von einem Tal in Kärnten, das auf keiner Karte verzeichnet war. Doch die Forscher stießen auf eine weitere Spur. Eine kleine Gemeinde in der Nähe von Berichtesgaden, in der fast alle Bewohner denselben Familiennamen trugen, Schwarz. Die ältesten Register dort reichten nur bis ins Jahr 1954 und niemand konnte erklären, warum alle früheren Aufzeichnungen verloren waren.
Ein Team unter Leitung von Dr. Lenz vom Institut für Bevölkerungsgenetik besuchte die Gemeinde. Die Menschen dort waren freundlich, aber zurückhaltend. Ihre Häuser gepflegt, ihre Gärten makellos. Doch Dr. Lenszel etwas auf. In keinem Haus hingen Spiegel. Als er einen Bewohner danach fragte, antwortete dieser mit einem Lächeln: “Wir brauchen keine Spiegel.
Wir erkennen uns an den Augen.” Die Untersuchungen ergaben, dass fast 90% der Dorfbewohner miteinander verwandt waren. Mehrere wiesen genetische Marker auf, die direkt mit den alten Schwarzwaldaten übereinstimmten. Die Behörden planten eine verdeckte Überwachung, doch bevor sie beginnen konnten, brannte das Gemeindehaus nieder. Das Feuer brach mitten in der Nacht aus.
Keine Anzeichen von Brandstiftung, aber auch keine logische Ursache. Sämtliche Akten, Computer und Proben wurden zerstört. Die Dorfbewohner halfen den Ermittlern höflich beim Aufräumen, sprachen aber nicht über das Feuer. Nur ein alter Mann sagte zu einem Beamten: “Das Alte muss brennen, damit das reine bleiben kann.
” Nach dem Brand wurde das Dorf langsam aufgegeben. Innerhalb weniger Monate waren alle Bewohner verschwunden. Niemand wusste wohin. Es war als hätte das Feuer nicht nur die Gebäude, sondern auch ihre Spuren ausgelöscht. Kurz darauf erhielt das Bundeskriminalamt ein anonymes Paket, einzelnes Foto, auf altmodischem Papier entwickelt.
Es zeigte eine Gruppe von etwa 50 Menschen, alle in weißen Gewändern, auf einer Wiese stehend. Im Hintergrund Berge, vielleicht die Alpen. In der Mitte ein Mann, groß, bartlos mit grauen Augen. Auf der Rückseite des Fotos stand nur Thomas I. Haus der Erneuerung, Sommer 2021. Das Bild wurde nie veröffentlicht.
Doch laut einem internen Bericht sagte ein Ermittler: “Ich habe sein Gesicht gesehen und ich schwöre, ich habe es schon einmal gesehen in den Archiven auf einem Foto von Friedrich Schwarzwald aus dem Jahr 1908. Damit begann eine der umstrittensten Theorien der jüngeren Forschung, die sogenannte Theorie der Wiederkehr. Sie besagt, dass der Kult um Friedrich Schwarzwald durch generationsübergreifende Innzucht und gezielte Zuchtwahl versuchte, ein genetisches Ebenbild seines Gründers zu erschaffen.
Historische Aufzeichnungen belegen, dass Schwarzwald davon überzeugt war, das göttliche Blut könne sich selbst erneuern, bis es die ursprüngliche Form des Erwählten wiederherstellt. Genetiker hielten das für unmöglich, bis das Foto von Thomas dem I. auftauchte. Die Ähnlichkeit war unheimlich, dieselbe Gesichtsstruktur, dieselbe Stirn, dieselben hellen Augen.
Es war, als hätte die Geschichte sich selbst kopiert. Doch die Behörden verweigerten jeden Kommentar. Offiziell hieß es, das Foto sei eine Fälschung. Doch inoffiziell begann eine neue Jagd. Diesmal nicht nach einem Kult, sondern nach einem Mann, der vielleicht gar kein Nachfahrer war, sondern die Wiedergeburt seines Urhebers.
Und während sich Akten schloßen, öffnete sich etwas anderes, ein uraltes Gefühl, daß das, was einst im Thüringer Wald begann, niemals geendet hatte. Nach dem Auftauchen des Fotos von Thomas dem I. im Jahr 2021 entstand innerhalb der Behörden eine tiefe Spaltung. Einige hielten die Geschichte für eine groteske Fälschung, geschaffen von Verschwörungstheoretikern.
Andere hingegen sehen darin ein Zeichen, das etwas längst vergessenes wieder erwachte. Das Innenministerium ordnete eine vollständige Geheimhaltung an, doch in den Monaten danach häuften sich Vorfälle, die nicht mehr ignoriert werden konnten. In mehreren Regionen Deutschlands wurden merkwürdige Ereignisse gemeldet, verschwundene Personen, aufgegebene Dörfer und wiederkehrend das gleiche Symbol. Drei ineinander verschlungene Linien.
Das alte Zeichen der Schwarzwalz. In Niederbayern fand man im April 2022 auf einem verlassenen Bauernhof einen Raum voller Handgeschriebener Bücher. Die Texte enthielten Verse, die nahezu wörtlich aus Reinheit durch Blut übernommen waren, jedoch in moderner Sprache formuliert. Eine Passage lautete: “Der Vater ist die Wurzel.
Und wer von ihm stammt, wird ihn wiederragen. Er war, er ist, er wird sein. Die Bücher wurden vom Bundesarchiv beschlagnahmt, doch ein anonymer Mitarbeiter kopierte einige Seiten und veröffentlichte sie im Internet. Innerhalb weniger Stunden verbreiteten sie sich in Untergrund vorn. Die Diskussionen reichten von genetischen Experimenten über Wiedergeburt bis zu düsteren Ritualen, die angeblich in abgelegenen Tälern stattfinden sollten.
Währenddessen begann eine neue Spur in Österreich aufzutauchen. In einem entlegenen Dorf in Kernten nahe der slowenischen Grenze berichteten Einheimische von einer deutschen Gemeinschaft, die seit Jahrzehnten isoliert lebte. Man nannte sie die Stillen. Eine österreichische Journalistin, Miriam Keller, fuhr dorthin, um die Geschichten zu überprüfen.
In ihrem letzten veröffentlichten Artikel schrieb sie: “Sie leben ohne Strom, ohne Kontakt zur Außenwelt. Sie sagen, sie warten. Wenn man sie fragt, worauf, antworten sie auf den Vater, der wiedergeht und wiederkommt. Kurz nach der Veröffentlichung dieses Artikels verschwand auch sie. Ihr Auto wurde eine Woche später an der Grenze gefunden, leer mit laufendem Motor. Das Telefon enthielt nur eine Sprachnachricht. Eine einzige leise Stimme flüsterte.
Er ist hier. Danach Stille. Zeitgleich bemerkten Genetiker, die anonym für das Gesundheitsamt arbeiteten. Eine auffällige Häufung bestimmter genetischer Marker in Proben aus Süddeutschland und Österreich. Einer der Forscher, Dr. Rüdiger Hahn, beschrieb in einer vertraulichen E-Mail: “Das Muster ist identisch mit den bekannten Schwarzwaldsequenzen.
Nur etwas verändert, stärker, klarer, als hätte sich die Linie selbst stabilisiert. Doch bevor die Ergebnisse offiziell präsentiert werden konnten, wurde das Laboropfer eines Brandes. Sämtliche Daten, Proben und Sicherungskopien wurden vernichtet. Die Polizei fand keine Hinweise auf Fremdeinwirkung.
Dennoch schrieb ein Beamter in seinem internen Bericht: “Zu viele Zufälle, zu viele Brände. Es ist als wolle jemand die Spuren säubern, aber nicht um zu verbergen, sondern um vorzubereiten.” Während die Öffentlichkeit kaum etwas davon mitbekam, verbreiteten sich in wissenschaftlichen Kreisen unheimliche Gerüchte. Man sprach von Familien, die plötzlich ihre Namen änderten, von Kindern mit ungewöhnlich hellen Augen, die alle dasselbe Geburtszeichen trugen.
Drei kleine Linien auf der Innenseite des Handgelenks. Manche Ärzte meldeten Fälle von Kindern, die außergewöhnliche Resistenz gegen Krankheiten zeigten, aber zugleich emotionale Kälte und eine beinahe unnatürliche Konzentrationsfähigkeit. Diese Kinder kamen alle aus denselben Regionen.
In einem Interview, das später unterdrückt wurde, sagte ein Kinderarzt aus Rosenheim: “Ich glaube nicht an Zufälle. Ich glaube, sie sind zurück. Nur diesmal verstecken sie sich nicht mehr in den Wäldern. Diesmal leben sie mittenunter uns.” Im Herbst 2023, ein Jahr nach diesen Ereignissen, erhielt der Historiker Dr. Ernst Vogel eine anonyme Nachricht. Darin stand: “Wenn du die Wahrheit willst, komm in den Wald, wenn der Nebel steigt.
” Der Absender war unbekannt, doch die E-Mail enthielt Koordinaten. Genau jene Stelle im Thüringerwald, an der einst das erste Haus der Familie Schwarzwald gestanden hatte. Vogel, fasziniert, reiste dorthin. Er fand keine Gebäude, keine Spuren, nur Moos, Steine und die Überreste eines alten Brunnens.
Doch als er hinabblickte, entdeckte er an der Innenseite des Brunnenschachtes drei Linien, eingeritzt in den Stein, frisch, als wären sie gestern gemacht worden. Dr. Ernst Vogel stand lange an dem Brunnen im Thüringer Wald, unfähig sich zu rühren. Der Wind rauschte in den Baumkronen und irgendwo tief in der Ferne halte das Rufen eines UHU.
Er war allein, aber das Gefühl der Einsamkeit wich bald einer anderen Empfindung. dem sicheren Wissen, daß er beobachtet wurde. Als er sich schließlich abwandte, bemerkte er im feuchten Boden Spuren, nackte Fußabdrücke, klein wie die eines Kindes, doch tief eingegraben. Er folgte ihnen ein Stück, bis sie sich im Moos verloren.
Am Rand des Waldes fand er einen verrosteten Schild, kaum noch lesbar. Darauf stand: Betreten verboten, Eigentum des Innenministeriums. Das war das erste Mal, das Vogel begriff, dass die Regierung das Gebiet seit Jahrzehnten überwachte. Noch in derselben Nacht kehrte er in sein Hotel in Ilmenau zurück und begann seine Beobachtungen niederzuschreiben.
Er beschrieb den Brunnen, die Zeichen, die Spuren und die unheimliche Stille. Sein Bericht endete mit den Worten: “Wenn die Wurzeln tief genug reichen, kann man den Baum fällen und doch bleibt er lebendig unter der Erde.” Am nächsten Tag versuchte er, die Koordinaten erneut zu besuchen, doch der Weg war gesperrt. Zwei schwarze Fahrzeuge standen am Waldrand, Männer in Zivil mit Funkgeräten wiesen ihn ab.
Sie sagten: “Es handle sich um ein Naturschutzgebiet und” und baten ihn das Gelände zu verlassen. Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass an einem der Bäume erneut das Symbol eingeritzt war. Drei Linien, diesmal überkreuzt mit einem Kreis. Wochen später veröffentlichte Vogel seinen Bericht in einer kleinen wissenschaftlichen Zeitschrift.
Der Artikel trug den Titel Das Erbe des Schweigens und schloß mit der Vermutung, daß der Schwarzwaldkult nie völlig ausgelöscht wurde, sondern sich bewusst mit staatlichen Strukturen verflochten hatte, um unbemerkt weiterzubestehen. Der Artikel verschwand binnen zwei Tagen aus allen digitalen Archiven.

Vogel selbst erhielt Drohbriefe, dann hörte er auf, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Im Frühjahr 2024 wurde er in seiner Wohnung tot aufgefunden. Herzstillstand offiziell. Doch in seinem Notizbuch fand man einen letzten Eintrag, datiert auf den Abend vor seinem Tod. Sie haben mir gezeigt, was unter der Erde liegt. Es schläft nicht. Nach seinem Tod begann eine neue Phase des Schweigens.
Behörden, Universitäten, Archive. Überall wurden Akten gesperrt. Die offizielle Begründung lautete: Schutz sensibleren bezogener Daten. Inoffiziell wußte man, dass damit die gesamte Schwarzwald verschwand. Nur einzelne Kopien kursierten im Untergrund.
Eine davon gelangte zu einer investigativen Journalistin namens Klara Neumann. Sie begann alles zu sammeln, was übrig war. Briefe, Fotos, Tonaufnahmen, alte Protokolle. Ihr Ziel war es, die Geschichte endlich vollständig zu erzählen. Sie reiste an die Orte der ehemaligen Schwarzwald Anwesen, sprach mit Nachfahren, die nichts über ihre Herkunft wussten und rekonstruierte mühsam den Stammbaum.
Ihre Recherchen zeigten, daß die Schwarzwaldlinie nicht ausgestorben war, sondern sich in mindestens acht Familienzweige aufgespalten hatte. Einige lebten unter neuen Namen in Österreich, in der Schweiz, in Süddeutschland. Alle verband ein ungewöhnliches Erbe, eine genetische Abweichung, die mit erhöhter Schmerzresistenz und blasser Haut einherging und mit jener eigentümlichen Gleichgültigkeit die Ärzte als affektive Stille bezeichneten.
Doch je tiefer Neumann grub, desto mehr begann sie zu fürchten, dass sie selbst Teil der Geschichte war. In einer ihrer Aufzeichnungen steht: “Ich habe meine DNA bei einem Labor eingereicht.” Sie sagten: “Meine Sequenz sei selten, aber bekannt. Ich fragte: “Woher?” Sie antworteten: “Aus den historischen Proben der Familie Schwarzwald.” Danach schrieb sie nichts mehr.
Zwei Wochen später, im November 2024, verließ sie ihre Wohnung in Berlin und verschwand. Ihre Notizen wurden postum veröffentlicht unter dem Titel Die Kinder des Schweigens. Darin beschreibt sie, daß die Schwarzwaldlinie inzwischen keine abgeschottete Sekte mehr sei, sondern sich leise und strategisch in die Gesellschaft integriert habe.
Ärzte, Lehrer, Verwaltungsbeamte, Politiker, Menschen mit denselben Augen, demselben ruhigen Tonfall, derselben Überzeugung, dass sie un vom reinen Blut sein. Ein Satz aus ihrem letzten Kapitel lautet: “Sie predigen nicht mehr. Sie brauchen keine Altäre.
Ihr Glaube lebt in der Gewohnheit, im Flüstern der Generationen, die vergessen haben, daß sie etwas Böses verehren. Der Veröffentlichung ihres Buches folgte ein kurzer Aufschrei, dann Schweigen. Nach wenigen Wochen war es aus dem Handel verschwunden. Die Verlage gaben an, es sei wegen rechtlicher Bedenken zurückgezogen worden.
Doch in Foren und in den dunklen Ecken des Netzes begannen Menschen die gleichen Geschichten zu erzählen, von Nachbarn mit seltsam hellen Augen, von Familien, die jede Spur ihrer Herkunft auslöschen und von Stimmen in der Nacht, die im Wind den gleichen Satz flüstern. Das Blut schläft nicht. Im Winter erreichte das, was einst als Legende begann, endgültig die Gegenwart. Die offizielle Version der Geschichte war inzwischen kaum mehr auffindbar.
Die Akten versiegelt, die Archive leer, die wissenschaftlichen Publikationen gelöscht. Nur in Internetforen, in denen sich Historiker, Verschwörungstheoretiker und ehemalige Ermittler mischten, lebte das Thema weiter. Man sprach von Projekt Eibe, von Thomas dem II, von den Kindern des Schweigens.
Doch zwischen den Spekulationen tauchten neue Dokumente auf, Dateien, die aus internen Regierungsservern zu stammen schienen. Sie enthielten Berichte über ein genetisches Anomalieprogramm, das unter der Aufsicht des Gesundheitsministeriums lief. Ziel war angeblich die Untersuchung seltener Erbmerkmale in abgelegenen Regionen Bayerns und Thüringens.
Doch die Formulierungen in den Berichten klangen vertraut. Langzeitbeobachtung der Erbfolge von Subjekten mit erhöhter physiologischer Stabilität, Priorität auf Reinheit der Linie, Kontrolle durch eingeschränkte Fortpflanzung. Diese Worte erinnerten unheimlich an Friedrich Schwarzwalls eigene Aufzeichnung, verfasst über ein Jahrhundert zuvor.
Eine Gruppe von Journalisten veröffentlichte die Dokumente unter dem Titel “Die Erben des Vaters”. Die Veröffentlichung löste einen Skandal aus. Kurz, aber intensiv. Politiker dementierten, Wissenschaftler schweigen. Innerhalb einer Woche verschwanden die Dateien aus allen Netzwerken. Wer sie heruntergeladen hatte, berichtete später, dass ihre Festplatten beschädigt waren.
Eine IT-Spezialistin, die eine Sicherheitskopie besaß, sagte in einem Interview: “Es war, als hätte jemand aus der Ferne alles gelöscht, aber das Protokoll zeigt keinen Zugriff. Es war einfach weg. Zurelben Zeit begann in mehreren Städten eine Serie von Vorfällen, die niemand miteinander verband, zumindest offiziell.
In München, Freiburg, Linz und Weimar meldeten Krankenhäuser Neugeborene mit identischen genetischen Anomalien. Silbrig helle Augen, fast keine Schmerzreaktion, ungewöhnlich hohe Konzentration bestimmter Blutproteine. Die Kinder waren nicht miteinander verwandt und doch trugen sie dasselbe Mutationsmuster, das in den Schwarzwaldaten beschrieben wurde.
Eine Ärztin, die anonym blieb, sagte: “Sie kommen nicht aus Inzucht, sie kommen aus gezielter Selektion. Jemand hat den alten Plan fortgesetzt im Labor. Es kursierten Gerüchte, daß ein privates Biotechunternehmen im Auftrag unbekannter Geldgeber genetische Experimente durchgeführt hatte, angeblich um Resilienz gegen Krankheiten zu erforschen.
Doch die Forschungslabore waren registriert unter Decknamen, die alle auf denselben Ursprung hindeuteten: Haus, Rhein, GmbH. Ihre Adresse führte zu einem leerstehenden Gebäude in der Nähe von Würzburg. Als Journalisten dort eintrafen, fanden sie nur leere Räume, den Geruch von Chemikalien und an einer Wand das Symbol. Drei Linien, frisch in den Putz geritzt. Der Innenminister erklärte später, das Unternehmen habe nie offiziell existiert.
Doch ein Dokument, das kurze Zeit später anonym an mehrere Redaktionen gesandt wurde, enthielt eine erschütternde Passage. Generation Ferfer Subjekte mit Merkmalen der Reinheit erreicht. Projektziel in Sichtweite Vaterprinzip erfüllt. Darunter die Unterschrift Thomas W. Noch imselben Monat tauchten in mehreren Städten Berichte über Personen auf, die behaupteten, vom Vater gerufen worden zu sein.
Sie erzählten von Träumen, in denen ein Mann mit grauen Augen sie aufforderte, sich zu versammeln, wenn der Nebel wieder steigt. Die Polizei nahm einige dieser Menschen fest, doch keiner konnte erklären, woher sie sich kannten oder warum sie denselben Satz sprachen. Er ist zurück. Am 9. November 2025 wurde in den Wäldern nah Sul ein Lager entdeckt. 15 Zelte, Vorräte und in der Mitte ein Schrein mit einem metallenden Kreuz, exakt wie das alte Symbol der Schwarzwalz.
Auf dem Altar lag ein Buch mit dem Titel Reinigung der Welt, Buch der Rückkehr. Die Handschrift stimmte mit keiner bekannten überein, doch die Tinte war frisch. Das Buch enthielt prophetische Sätze, die sich auf das Jahr6 bezogen. Wenn das siebte Zeichen vollendet ist, wird der Vater in Fleisch wandeln. Sein Blut wird sprechen. Kein Mensch wurde in dem Lager gefunden.
Nur Fußspuren führten tiefer in den Wald, wo sie sich im Schnee verloren. Die Regierung erklärte das Lager zur Ekulisse einer Kunstaktion. Doch ein interner Polizeibericht, später geliegt beschrieb etwas anderes. Im Schnee fanden sich Spuren mehrerer barfüßiger Kinder.
Klein, regelmäßig, symmetrisch, in einer Reihe, wie bei einem Ritual und darunter handschriftlich hinzugefügt: Das Blut schläft nicht. Im Januar des Jahres6 breitete sich dichter Nebel über den Süddeutschen Tällern aus. Und mit ihm kehrte das alte Flüstern zurück. Es begann harmlos. Vereinzelte Berichte über verschwundene Personen, Lichter im Wald, Stimmen in der Nacht.
Doch schon bald häuften sich die Meldungen. Menschen erzählten von unbekannten Gestalten, die an Türen klopften und Bibeln verlangten. In manchen Fällen fand man an den Hauswänden eingeritzte Zeichen. Drei Linien, überkreuzt mit einem Kreis. Zeitung berichteten zunächst von Nachahmungstätern, doch die Regierung schwieg.
In internen Schreiben des Innenministeriums hieß es: Anstieg ungewöhnlicher Aktivitäten in Thüringen, Bayern, Sachsen. Verbindung zu historischen Schwarzwalden, wahrscheinlich Öffentlichkeitsarbeit vermeiden. Niemand durfte den Namen laut aussprechen, aber alle wussten, wovon die Rede war. Im März kam es in der Nähe von Bad Kissingen zu einem Vorfall, der die offizielle Version endgültig zerstörte.
Wanderer entdeckten in einer Höhle die Leichen von sieben Erwachsenen in weißen Gewändern, ihre Hände auf der Brust gefaltet. Um sie herum standen Kerzen, noch brennend. Auf der Wand darüber war in roter Schrift zu lesen, das Fleisch vergeht, das Blut bleibt. Eine forensische Untersuchung ergab, dass alle sieben dieselbe seltene genetische Mutation trugen, dieselbe, die man ein Jahrhundert zuvor bei den Nachfahren der Familie Schwarzwald festgestellt hatte.
Unter den Toten befand sich ein Mann, etwa 40 Jahre alt, graue Augen, ein leiser, friedlicher Ausdruck. In seiner Tasche fand man ein Notizbuch. Der erste Satz lautete: “Ich bin Thomas I. und ich bin müde vom Warten.” Seine Aufzeichnungen erzählten von einer Gemeinschaft, die sich in den letzten Jahren in ganz Mitteleuropa ausgebreitet hatte.
In stillen Dörfern, alten Klöstern, aufgegebenen Häusern. Sie nannte sich Die Kinder des Vaters. Laut den Notizen glaubten sie, daß Friedrich Schwarzwalds Seele in seinem Blut weiterlebte und dass jeder Nachkomme mit dem Zeichen ein Teil dieser Seele trug. Wenn genügend von ihnen vereint sein, würde der Vater zurückkehren, nicht als Geist, sondern als Mensch.
Die Einträge endeten mit den Worten: “Er ist nicht dort draußen, er ist in uns. Ich habe ihn gesehen, wenn ich in die Augen der Kinder schaue.” Nach dem Fund der Leichen wurde das Gebiet weiträumig abgesperrt. Die Presse erhielt keine Information, doch anonyme Quellen bestätigten, dass die genetischen Daten aus dem Notizbuch identisch waren mit jenen, die aus den Laboren der Hausrehein GmbH stammten.
Damit war klar, der Kult hatte sich nicht nur erhalten, er hatte sich selbst neu erschaffen im Blut, in der Wissenschaft, in der Gesellschaft. Im Sommer desselben Jahres erschien ein Bericht der Europäischen Gesundheitskommission. Offiziell ging es um vererbare Anomalien in abgeschiedenen Gemeinschaften.
Zwischen den nüchternen Tabellen fand sich ein Satz, der nie erklärt wurde. Das Muster ist kohent, die Linie fortbestehend, genetische Reinheit erreicht. Ab diesem Zeitpunkt verschwammen die Grenzen zwischen Realität und Mythos. Menschen erzählten, daß sie in Zügen, auf Märkten, in Städten plötzlich Gesichter sahen, die sie an alte Fotos erinnerten.
Dieselben hellen Augen, dieselbe starre Ruhe. Manche behaupteten, nachtsgesänge zu hören. Ein tiefes, vibrierendes Summen, das durch die Luft schwebte, wie ein ferner Herzschlag. Andere berichteten, daß fremde Menschen an ihre Türen klopften und sagten: “Du hast das Zeichen, komm heim!” Im November desselben Jahres besuchten zwei Reporter das Gelände, auf dem eins das Schwarzwaldhaus gestanden hatte.
Es war inzwischen zu einem verfallenen Hügel geworden, überwuchert von Moos und Birken. Doch als sie mit einer Kamera den alten Brunnen hinabfilmten, zeigte die Aufnahme für den Bruchteil einer Sekunde etwas, dass sie nicht erklärten konnten.
Ein Gesicht, blass und unbewegt, mit Augen, die direkt in die Linse blickten. Die Kamera fiel aus der Hand, die Aufnahme endete. Die Reporter kehrten nie zurück. Heute mehr als ein Jahrhundert nach Friedrich Schwarzwalz verschwinden, bleibt sein Vermächtnis ein offenes Geheimnis. Die Akten des Bundeskriminalamts tragen noch immer den Vermerkfall aktiv, doch niemand spricht mehr darüber.
In manchen Nächten, wenn der Nebel durch die Täl zieht, sagen die Alten, man könne aus dem Wald Gesang hören. Dumpf, rhythmisch, alt. Und wer genau hinhört, meint eine Stimme zu vernehmen, tief und ruhig. Das Blut schläft nicht. Und vielleicht irgendwo unter der Erde des Thüringerwaldes schläft es wirklich nicht. Vielleicht wartet es nur. M.